Sieben Jahre lang hat Benedict Wells am Buch «Vom Ende der Einsamkeit» gearbeitet. Eine siebenjährige Arbeit, die sich durch und durch gelohnt hat. Es geht um die Geschichte von Jules, der als Ich-Erzähler durch einen Teil seines Lebens führt. Er und seine beiden Geschwister Marty und Liz verlieren ihre Eltern bei einem Autounfall, als Jules zehn Jahre alt ist.
Letzte gemeinsame Ferien, ein letztes gemeinsames Weihnachtsfest. Und dann sind sie einfach nicht mehr da. Ein neuer Alltag in einem Internat kehrt ein. Jules, Marty und Liz kommen an. Steigen aus. Werden getrennt. Jeder geht seinen eigenen Weg hinein in die Einsamkeit, wo jeder für sich kämpft. Vom wohlbehüteten, ganz normalen Wahnsinn eines Familienalltages biegen die Leben der drei Geschwister ab. Das Rad dreht weiter. Aber auf einem völlig anderen Pfad.
Beleuchtung vergessener Gefühle
Wann ist ein derartiger Schicksalsschlag überwunden und besteht überhaupt die Möglichkeit, jemals wieder auf den Pfad zurückzukehren, für den man bestimmt war? Das Buch beginnt 1980 mit dem siebenjährigen Jules und endet im Jahr 2014. Der Leser erlebt, wie sich die Hauptprotagonisten in all den Jahren verändern und im Kern doch einfach nur bleiben, wie sie sind. Das Buch setzt sich unter anderem mit dem Thema auseinander, ob Situationen, die auf irgendeine Art und Weise vergiftet wurden, für immer zerstört oder eben doch heilbar sind. Und ob die Zeit zurückgedreht oder aufgehalten werden kann. Dabei beleuchtet der Lauf der Zeit längst vergessene oder verdrängte Gefühle und Momente.
Ist es Liebe?
Und was wäre eine Geschichte ganz ohne die Liebe? Da ist Alva. Das eine Mädchen, das sich Jules seit der Schulzeit angenommen hat und zu seinem Wegbegleiter geworden ist. Ein geheimnisvolles Mädchen, das einmal ganz da ist und dann wieder nicht. Jules und Alva verbindet so etwas wie Freundschaft. Oder ist es eben Liebe? Jules hadert mit einem väterlichen Ratschlag. Mit der Kraft der Worte. Und immer wieder kommt es anders. Und immer wieder steht die Frage im Raum, wann eine Chance wirklich verpasst ist und ob es eine zweite Chance gibt. Oder eine dritte.
Die Kraft von Leben und Tod
«Vom Ende der Einsamkeit». Ein vielversprechender Titel. Ein Buch mit ausgeprägten Charakteren. Eine Geschichte, in der Menschen einander zu verstehen versuchen. Oder sich selbst. Wells, ein brillanter Schriftsteller, schafft es, die Figuren als Leser klar vor sich zu sehen, sie gern zu bekommen, mit ihnen mitzuleiden, mitzuweinen, sich von ihren Stärken und Schwächen und der Kraft des Lebens und des Todes berühren zu lassen. Und mit grosser Wahrscheinlichkeit ist der Leser am Ende dazu animiert, in Wells vorgängige Geschichten versinken zu wollen oder mit «Vom Ende der Einsamkeit» noch einmal von vorne zu beginnen.
(Bild: ZVG)