«Leben sie ein paar Stunden in der Vergangenheit»

Das Jubiläumsfest Forum Zehngerichtebund hat die zehn Gerichte von damals in der Arena Klosters und im Dorf der Dörfer zusammengeführt. Drinnen wie draussen – im Dorf der Dörfer – wurden Geschichten von damals erzählt. Mit Musik, Tanz und Theater. «Leben sie ein paar Stunden in der Vergangenheit», sagt Stefan Hediger, der OK-Präsident des Tages.

Der Tag beginnt mit Tambourenschlägen im Dorf der Dörfer, gleich neben der Arena Klosters. Christoph Luzi, der Chef von Klosters800, dem Fest, dass sich das Dorf zum Jubiläum geschenkt hat, steht auf dem Tisch und sagt: «Es ist einzigartig, was wir hier erleben dürfen.» Es gibt Apero mit Chips, Wein und Orangensaft. Der Davoser Landammann Philipp Wilhelm ist da und der gewählte Regierungsrat Martin Bühler, den sein Vater «der Junior» nennt. Es gibt die Drinnen-Geschichten – und die Draussen-Geschichten.

Eine der Draussen-Geschichten ist folgende: Ueli Bühler – der besagte Vater von Martin Bühler – ist ein lebendiges Lexikon des Fideriser Bades. Er erzählt davon, wie das Bad 1464 erstmals urkundlich erwähnt wird und vor allem deutsche Touristen kamen, wie der Wilhelm Tell Graubündens, Jürg Jenatsch, eine konspirative Sitzung ebendorf abhielt und Napoleon einen späteren Besitzer nur deshalb vor dem Tod verschonte, weil dieser französisch sprechen konnte. Und vom Fideriser Mineralwasser, das nur deshalb nicht berühmt wie Valser oder Passugger wurde, weil es «einfach keinen guten Geschmack hatte. Es war gesund, aber es war nicht fein», sagt Ueli Bühler. Obwohl man es sogar mit Orangen- und Zitronengeschmack anreicherte.

Fürst Peter von Belfort

Eine weitere Draussen-Geschichte ist die Fürstenkugel von Belfort. Die Ruine Belfort thront heute noch auf einem Felsen auf der Strasse von Lenzerheide nach Alvaneu. Gebaut wurde sie von den Freiherren von Vaz, die allerdings noch keine Kugel bei sich trugen. Die Kugel kam erst in der Gegenwart: Das Hotel Belfort in Alvaneu feierte ein Jubiläum, und kreierte rundherum die Geschichte von Fürst Peter, wie Thomas Kolleger, der damals an vorderster Front dabei war, sagt. Er regierte von 2007 bis 2008. «Mittlerweile ist er leider verstorben, aber er regierte mit viel Umsicht.» Die Fürstenkugel, die eigens dafür erstellt wurde, ist heute im Staatsarchiv des Kantons Graubünden gelagert und darf nur für spezielle Zwecke ausgeliehen werden.

Ein Fahnenmarsch trennt das Dorf der Dörfer und das Forum Zehngerichtebund. Am Schluss spielen Tambouren und Piccolos; sie werden mit tosendem Applaus in der Arena empfangen. Gegenüber ist die Chilbi im Gang, die Vereine des Dorfes holen die Familien, so sie nicht selbst am Anlass beschäftigt sind, auf den Platz. Neben der Arena findet Welttennis statt, eine leise Welt, der Kontrast könnte grösser nicht sein.

Eine der Drinnen-Geschichte ist, wie der Davoser Landammann Philipp Wilhelm jeweils den Lehensbrief im Auge hat, «bevor ich mich zum Regieren hinsetze». Dass Davos, das im Zehngerichtebund eine spezielle Rolle spielte, grösser ist als zum Beispiel die Kantone Appenzell Innerrhoden und Ob- und Nidwalden. Eine szenische Lesung von Schauspieler Ursina Hartmann und Musiker Reto Senn – ausgedacht von Ursina Trautmann – bringt das Damals auf die Bühne: «Nächster Halt: Mittelalter.» Eine Reise über den Pass ohne Stau, bis nach Chiavenna, wo der Viehmarkt auch ein Heiratsmarkt war.

Von Fürschlössern und Chöttihammertalern

Spannend war auch die Drinnen-Geschichte des Gerichts Castels. Dazu eine Frage (der Redaktion, nicht des Gerichtsvertreters, alt Landammann Luzi Bardill): Wer kennt das Pendant zum Fürschlösser ohne zu googeln? Es ist der Chöttihammertaler, der gemeine Prättigauer. Diese mögen das Wort zwar offenbar nicht, aber Luzi Bardill erzählte die Geschichte vom Kettenhammermörder Hans Valär und seinem Opfer Paul Klaas so anschaulich und witzig, dass man schon fast liebevoll auf das Chöttihammertal schaut, wenn man nach all den Festivitäten durch das Schloss (die Chlus) fährt und wieder zum gemeinen Fürschlösser (von jenseits der Chlus) wird.

Natürlich waren alle anderen Beiträge der Mitglieder des Zehngerichtebundes auch sehr spannend – allein, sie alle aufzuzählen, würde den Rahmen hier sprengen. Darum noch einmal Kurzfutter: Klosterser Kinder liessen in einem rührenden Theater das Wildmannli aufleben, aus Belfort erfuhr man die Tatsache, dass Militärguetzli-Erfinder Josef Laim von ebenda stammte, die Churwaldner  Gemeindepräsidentin und «Ignazio Cassis der Jodler», Karin Niederberger, jodelte mit Handorgelbegleiter Walter Lippuner, Maienfeld liess zwei Männer die Geschichte von der Traube zum Wein spielen – «Früher war wimmeln eine reine Frauenangelegenheit. Männer bekamen 30 Kreuzer, Frauen 20. Lohnungleichheit ist eine alte Geschichte und hat sich bewährt.» oder auch: «Wo der Wein ist, sind auch die Experten nicht weit.» -, Seewis, das heuer 400 Jahre Ermordung von Pater Fidelis begeht und sich rühmt, der einzige Ort zu sein, in dem es zwei Denkmäler gibt: Eins für den ermordeten Pater Fidelis, der aus Sicht der Kirche einen Märtyrertod starb und heilig gesprochen wurde, und eins für diejenigen, die ihn ermodet haben.

«Die paar Stunden Vergangenheit» begannen, wie sie aufgehört haben: Mit dem Fahnenmarsch der Zehn Gerichte, Tambouren und Piccolos. Draussen schien noch immer die Sonne. Die Arena wurde umgebaut: Von der Geschichte in die Gegenwart. Am Abend füllte Megawatt die Halle und brachte das Dorf zum Beben. Er habe, hatte Stefan Hediger anfangs in einem Gespräch gesagt, gemerkt, dass die Prättigauer ein Volk seien, mit dem man zu Gange kommen könne. Am Montag beginnt für ihn wieder ein anderes Leben: Dann ist er nicht mehr der OK-Präsident des Forum Zehngerichtebundes, sondern Präsident des Regionalgerichtes Prättigau/Davos.

(Bilder: GRHeute)