Wahlystem auf Zeit

Die Parteien klopfen sich auf die Schulter: Endlich kommen wir von unserem widerrechlichen Wahlsystem für den Grossen Rat ab und erhalten ein Wahlsystem, dass die bestehenden (grossen) Parteien die Sitze im Grossen Rat sichert! Dazu gab es wohl bei der Abstimmung keine Alternative: Ein Nein hätte nicht bedeutet, dass das bestehende Wahlrecht bestehen bleibt, sondern dass die Regierung über Notrecht eine Lösung hätte festlegen müssen. Ein Jahr vor der Wahl wäre dies abenteuerlich gewesen. Das Ja zu einem fragwürdigen Wahlsystem ist das Ergebnis davon, dass man sich zu lang Zeit gelassen hat, das Thema «Wahlsystem für den Gossen Rat» ernsthaft anzugehen.

Wo liegen Mängel im neuen Wahlsystems?

  1. Nur Parteimitglieder der traditionellen Parteien haben eine Chance, in den Grossen Rat gewählt zu werden. Das ist bedenklich, wenn man weiss, dass heute nur noch rund 10% der Stimmberechtigten einer politischen Partei angehören. Rund 90% der Stimmberechtigten sind deshalb von einer Wahl in den Grossen Rat ausgeschlossen, es sei denn, sie treten gegen den eigenen Willen einer Partei bei.
  2. Die 3%-Klausel verhindert neuen Gruppierungen den Einsteig, haben sie doch nur eine Chance, wenn sie dieses Quorum im ganzen Kanton erreichen. Eine Gruppierung junger Leute, die in Chur zum Beispiel 10% der Stimmen erreicht, ist weg vom Fenster, weil es für sie kaum möglich ist, im ganzen Kanton 3% der Stimmen zu sammeln.
  3. Die heutige Kreiseinteilung bleibt vorläufig bestehen. Eine Anpassung an die vom Bundesgericht festgelegte Mindestgrösse wäre rechtlich unabdingbar gewesen.
  4. Wenig Verständnis wird man damit ernten, wenn nicht gewählte Kandidaten als gewählt, gewählte Kandidaten in einem andern Kreis als nicht gewählt erklärt, um dem Proporz-Gedanken Rechnung zu tragen.
  5. Weitere Mängel werden spätestens 2022, wenn das neue Wahlsystem die Feuertaufe erlebt, zutage treten.

Heute eine Diskussion über diese gravierenden Mängel des neuen Wahlsystems zu führen, bringt nichts. Für die Wahlen 2022 ist der gesetzliche Rahmen gesetzt, allerdings ist offensichtlich, dass es eine Lösung auf Zeit ist. Die Diskussionen über unser Wahlsystem für den Grossen Rat werden deshalb sicher weitergehen. Wichtig wird es sein, dass aufgrund der praktischen Erfahrungen bei dieser Wahl sehr schnell eine sachliche Analyse durchgeführt wird und allenfalls zu Tage tretende Mängel rasch behoben werden. Dann haben wir die Chance, in absehbarer Zeit ein sachgerechtes Wahlsystem zu erhalten. Es ist zu hoffen, dass für diesen Schritt nicht gleich Zeit vertrödelt wird wie zur Aufhebung unseres widerrechtlichen, alten Wahlsystems.

 

(Bild: zVg.)