Der Druck auf den «Corona-Lockdown» steigt

Die harte Corona-Linie, ausgelöst durch den zweiten Lockdown des Bundesrats, stösst je länger, je mehr auf Widerstand. Auch in Graubünden wächst die Besorgnis über die Folgen.

Von politischer Seite lancierte die SVP diese Woche eine Petition für die Beendigung des neuerlichen Lockdowns. Glaubt man diversen Medien, sollen sich im Bundesrat zumindest die beiden SVP-Vertreter Ueli Maurer und Guy Parmelin schon im Januar zumindest gegen die Ladenschliessungen gewehrt haben. «Es ist bis heute nicht belegt, dass die Geschäfte ein Treiber der Infektionen sind», zitiert der ‚Blick› Maurers Generalsekretariat. Die pauschale Begründung, dass damit Kontakte vermieden würden, reichten angesichts der massiven wirtschaftlichen Schäden nicht aus. Maurers Departement wirft Gesundheitsminister Alain Berset eine «einseitige Strategie» vor, die zu sehr auf «umfangreiche Schliessungen mit massiven Folgekosten» fokussiere. Gewerbeverbands-Präsident und CVP-Nationalrat Fabio Regazzi fordert vom Bundesrat – angesichts der seit längerem sinkenden Ansteckungszahlen – die Beendigung des Lockdowns auf den 1. März: «Die Lockdown-Strategie ist gescheitert.»

Die Corona-Kritikerinnen und -Kritiker abseits der Politik werden insgesamt auch «lauter». Gemäss einer Studie der Universität Basel lassen sie sich keiner politischen Gruppierung zuordnen, sind keine in sich homogene Gruppe. Es scheint aber, dass der Widerstand nach einem Jahr des mehrheitlichen Lockdowns auch in Graubünden grösser wird. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sowie auf die psychische Gesundheit und Moral der Bevölkerung zieht auch im Tourismuskanton tiefgreifende Folgen nach sich. Entnervte und frustrierte Kommentare von Usern in den sozialen Medien zeigen deutlich, dass die restriktiven Massnahmen von vielen – im Gegensatz zum letzten Jahr – nicht mehr nachvollzogen oder mitgetragen werden. 

Wirtschaft 2021 in Graubünden stärker betroffen

Der wirtschaftliche Schaden durch Corona ist auch in Graubünden immens. Berechnungen des Wirtschaftsforums Graubünden zeigen, dass bei allen Unternehmen im Kanton zusammengerechnet für die Jahre 2020 und 2021 «rund 5 Milliarden Franken an Umsatz verloren gehen dürften, der Rückgang der Wertschöpfung dürfte bei 2 Milliarden zu liegen kommen und es ist davon auszugehen, dass 1 Milliarde Franken weniger an Mitteln erwirtschaftet werden.»

Die Dachorganisationen Wirtschaft Graubünden hat in einer Umfrage bei 575 Bündner Unternehmen eruiert, dass sich die wirtschaftliche Lage infolge des zweiten Lockdowns nochmals verschärft habe. «Langsam geht es zahlreichen Betrieben an die Substanz: Investitionen werden gestrichen, Personal abgebaut und das Eigenkapital und die Reserven aufgebraucht. Insbesondere Betriebe im Tourismusbereich dürften einen grossen finanziellen Schaden erleiden», so die Dachorganisationen der Bündner Wirtschaft, die in einem Positionspapier gezielte Verbesserungen der Entschädigungen fordert: Kredite für die Sicherung der Liquidität und Entschädigungen für indirekt Betroffene. Die Organisation glaubt, dass «der wirtschaftliche Schaden aufgrund der Corona-Pandemie 2021 insgesamt in etwa gleich gross sein wird wie 2020, falls sich die Lage im Frühling wieder nachhaltig normalisiert.» Trotzdem sei die Wirtschaft im Kanton im Jahr 2021 insgesamt stärker getroffen, da im Vergleich zum ersten Lockdown der Schaden nun weniger breit unter den Unternehmen verteilt sei. Vom zweiten Lockdown sind vor allem die Tourismusbranchen wie Hotellerie, Gastronomie, Bergbahnen und Zulieferer sowie der Detailhandel in den Tourismusregionen sehr stark betroffen.

Werbeausgaben werden gekürzt

Die Reaktionen der Unternehmen auf die schwierige wirtschaftliche Situation haben sich im Vergleich zum Sommer kaum verändert. Weiterhin haben über die Hälfte der Betriebe Investitionen verschoben und Werbe- und Marketingausgaben gekürzt bzw. haben vor, dies zu tun. Die grössten Unterschiede im Vergleich zum Sommer 2020 sind, dass nun mehr Unternehmen die Personalkosten gesenkt (33%) und Investitionen gestrichen (28%) haben sowie die Verwendung des Eigenkapitals (30%) als Reaktion auf die schlechte wirtschaftliche Lage gesteigert haben. 

In der Beurteilung der staatlichen Corona-Eindämmungsmassnahmen gibt es über alle Branchen hinweg zwei ungefähr gleich grosse Lager: die erste Gruppe findet die Massnahmen zu weitgehend, die andere angemessen. Für eine kleine Minderheit gehen die Massnahmen zu wenig weit. In der Arbeit und Kommunikation im Zusammenhang mit der Corona-Krise erhalten die kantonalen Akteure ein besseres Zeugnis als die nationalen Akteure. 

2/3 wollen mehr Unterstützungsmassnahmen

Für gut zwei Drittel der befragten Unternehmen gehen die wirtschaftlichen Unterstützungsmassnahmen zu wenig weit, ein Drittel finden diese angemessen und nur ein ganz kleiner Teil ist der Meinung, dass diese zu weit gehen. Auch in Branchen, die weniger stark oder gar nicht betroffen sind, spricht sich eine Mehrheit für die Erweiterung der Unterstützungsmassnahmen aus. Diese werden grundsätzlich als gut oder eher gut bewertet, besonders die Kurzarbeitsentschädigungen. Am meisten Verbesserungspotenzial wird bei den aktuellen Härtefallmassnahmen gesehen. Fast die Hälfte der Umfrageteilnehmen ist damit nicht zufrieden.

Härtefallmassnahmen für Indirektbetroffene gefordert

Die Dachorganisationen der Bündner Wirtschaft fordern deshalb in einem Positionspapier gezielte Verbesserungen der Härtefallhilfen. Erstens brauche es bei den aktuellen Härtefallhilfen Anpassungen bei den Obergrenzen und die Handhabung, dass auch teilgeschlossene Betriebe als Härtefälle anerkannt würden. Zweitens brauche es eine Lösung, um indirekt betroffene Betriebe mit weniger als 40% Umsatzrückgang, aber mit hohen Fixkosten und grosser Investitionstätigkeit, zu unterstützen. Solche Betriebe würden durch die aktuellen Härtefallmassnahmen nicht abgedeckt.

Der Druck auf die Verantwortlichen, den Lockdown zeitnah zu beenden, steigt somit weiter. Welche gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen das Corona-Jahr mittel- und langfristig auf die Gesellschaft – insbesondere auch auf die Jugendlichen und Kinder – haben wird, dürfte man allerdings erst in ein paar Jahren sehen. Auf die Frage, ob die Restriktionen die richtige Strategie war, wird man aber wohl nie eine schlüssige Antwort finden.

Zur detaillierten Auswertung der Umfrage und zum Positionspapier der Dachorganisationen der Wirtschaft Graubünden gehts hier

 

(Symbolbild: Pixabay)