Fall Quadroni: Was wusste die SP Graubünden?

Lange glichen die Regierungsratswahlen 2018 einem unspektakulären Pflichtprogramm für die Kandidaten. Bis der «Fall Quadroni» eine unheimliche Eigendynamik entwickelte und Graubünden in den Grundfesten erschütterte. Erst letzte Woche sickerten immer mehr Storys ans Tageslicht, die den Fall erneut in einem anderen Licht erscheinen lässt – zu spät für die Wahlen 2018?

Als die Online-Zeitung Republik Ende April die Baukartell-Geschichte in einer personalisierten Artikel-Serie aufwärmte, hätte wohl niemand gedacht, dass diese unseren Kanton bis ins Mark erschüttern würde. Plötzlich war Graubünden ein House of Cards, ein Kanton, der von korrupten Politikern und Unternehmern unterwandert ist. Keine Frage, die Verfehlungen in der Baubranche sind ein Riesenskandal – mit unlauteren Mitteln Steuergelder abzuzwacken ist ein No-Go, das hart bestraft werden muss.

Die Worte in der Online-Zeitung Republik sassen – vor allem auch, weil sie perfekt getimt waren, da sie durch den gleichzeitigen Entscheid der Weko in der öffentlichen Wahrnehmung quasi legitimiert wurden. Mit Whistleblower Adam Quadroni, der sich in Robin-Hood-Manier für die Gerechtigkeit einsetzt. Und vielen «bösen» Bürgerlichen, angefangen bei BDP-Regierungsratskandidat Andreas Felix (der daraufhin zurücktrat) über seinen Parteikollegen, Regierungsrat Jon Domenic Parolini (der von den Verfehlungen wusste) über CVP-Ständerat Stefan Engler (damals zuständiger Regierungsrat) bis zu den damaligen Polizeiverantwortlichen, FDP-Regierungsrat Christian Rathgeb und dem SVP-Kandidaten Walter Schlegel, die den Kopf für die bildhaft brutal geschilderte Verhaftung Quadronis hinhalten müssen.

Die Profiteure des Republik-Artikels

Schadlos davon kamen fast nur die CVP, die sofort Lunte roch, einen zweiten Regierungsratssitz zu erobern. Und die SP, die mit Peter Peyer ihren Sitz in der Bündner Exekutive verteidigen will. Und dann schlug auch noch die Stunde des Künstlers Linard Bardill, der sich im Schatten des allgemeinen Misstrauens Hoffnungen auf einen Jobwechsel machte und eine überraschende Last-Minute-Kandidatur bekannt gab. Dass Protestwähler heutzutage viel bewegen können, ist nicht erst seit Donald Trumps Wahl in den USA bekannt. 

Adam Quadroni.

Erst in den letzten beiden Wochen lösten offene Fragen die Schockstarre aus der zugegebenermassen spannenden Räubergeschichte ab. Der Blick machte zuerst bekannt, dass Whistleblower Adam Quadroni selbst in mehrere Betrugsfälle involviert war und ist. Und die Weltwoche setzte letzte Woche noch einen drauf, als sie von mehreren weiteren moralischen und möglicherweise stafrechtlichen Vergehen des Engadiners berichtete. «Falscher Heiliger», titelte die Wochenzeitung. Er habe das halbe Tal über den Tisch gezogen und gar seine Geschwister um ihr Erbe gebracht, werfen ihm Einwohner aus seiner Wohngemeinde Ramosch vor. 

Wer ist Adam Quadroni wirklich?

Quadroni selbst ritt bis dahin als Märtyrer auf einer schweizweiten Sympathiewelle und erwirtschaftete durch eine Crowdfunding-Aktion von Dritten über eine Viertelmillion Franken. Er muss sich aber die Frage gefallen lassen, ob er den Baukartell-Skandal auch gestanden hätte, wenn er sich – wie jahrelang zuvor – weiter an der Tafel mit Steuergeldern hätte bedienen können. Aber gut, Quadroni deckte den vielleicht grössten Steuerskandal in der Geschichte Graubündens auf, dafür gebührt ihm Respekt und Lob. Ob Quadroni aber wirklich der Saubermann ist, als der er wochenlang in allen Medien ungefiltert dargestellt wurde, ist nach heutigem Stand zumindest zu bezweifeln. Womit wir bei einer grossen Schwäche des Republik-Artikels sind: Immer wieder schreiben die Autoren, sie seien von verschiedenster Seite vor Quadroni gewarnt worden. Und immer wieder wischten sie die Bedenken weg und betonten, sie hätten im Gespräch einen anderen Eindruck von ihm gewonnen. Dass ihnen das Bauchgefühl sage, er sei durch und durch ehrlich und sage die Wahrheit. Als ob sie sich selbst davon überzeugen wollten, wenn sie es nur genug oft wiederholten. Schon in den Tagen nach der Erscheinung des Artikels kamen dagegen Unwahrheiten ans Tageslicht, die Glaubwürdigkeit des Whistleblowers nahm ernsten Schaden. Da war die öffentliche Meinung allerdings schon gemacht.  

Die Weltwoche schrieb letzte Woche über mehrere Verfehlungen Quadronis.

Ein genauerer Blick auf die Berichterstattung im Fall Quadroni zeigt weitere Risse in der Fassade des Bündner Sommerkrimis 2018: Wie eingangs erwähnt, war der Baukartell-Skandal im Grunde bekannt. Gion-Mattias Durband, einer der Autoren des Republik-Artikels, hatte schon lange zuvor in anderen Medien über die Verfehlungen berichtet, unter anderem bei seinem früheren Arbeitgeber Südostschweiz. Durband war im Februar einer der zahlreichen Journalisten, die in den letzten Monaten und Jahren bei der Südostschweiz die Koffer packen mussten. Dass er seine Geschichte mitnahm und diese erst dann gross rauskam, als er in einem anderen Medium darüber berichtete, kam bei der Südostschweiz alles andere als gut an. Schimpftiraden von Patron Hanspeter Lebrument und CEO Andrea Masüger erreichten allerdings nur das Gegenteil und zementierten im Unterland das Bild eines eingeschworenen Gauner-Kantons nur noch mehr.

Verschwörungstheorien oder doch mehr?

Als Co-Autorin des Republik-Artikel wird Anja Conzett genannt. Conzett ist in Graubünden keine Unbekannte, sass die Journalistin doch vor nicht allzu langer Zeit im Parteivorstand der SP Graubünden. Auf Anfrage von GRHeute betonte sie, sie sei nur an einer einzigen Parteisitzung dabei gewesen und habe 2016 ihren Rücktritt erklärt. Gemäss einem Artikel des Bündner Tagblatts  wurde die Journalistin aber erst beim Parteitag vom 25. März 2017 im SP-Vorstand ersetzt, was Conzett gestern Abend bestätigte. Kein Wunder, wurden in den letzten Tagen Verschwörungstheorien laut, zumal die SP Graubünden aus der Republik-Geschichte umgehend und proaktiv Kapital geschlagen hatte.

Anja Conzett: Verstrickungen in die SP?

Allerdings: Wer sich derart hoch aufs moralische Ross hebt, muss sich nicht wundern, wenn dessen eigene Rolle hinterfragt wird. Immerhin hat sich Kandidat Peter Peyer mit dem Skandal praktisch die Wahl gesichert, und mit dem Protest-Stimmen-Sammler Linard Bardill rückt nun plötzlich gar die Möglichkeit einer Verdopplung der linken Sitze im Regierungsrat in den Bereich des Möglichen.  

«Die Sache stinkt gewaltig»

Der Artikel in der Republik ist spannend und wühlt auf: Der Kern, der Bauskandal, ist unbestritten, auch wenn die Tatsachen schon vorher bekannt waren. Neu war die Vermischung des Baukartells mit der Verhaftung Quadronis. Der Artikel suggeriert, dass die Verhaftung Quadronis im Zusammenhang mit dem Bauskandal steht – ohne einen Beweis dafür zu liefern. Co-Autorin Anja Conzett stellt auf Anfrage von GRHeute einen Zusammenhang von Kartellskandal und Verhaftung in Abrede, dies habe sie nie behauptet. Für mehrere Bürgerliche, die sich bei GRHeute gemeldet haben, «stinkt die Sache gewaltig». Schliesslich hätte Peter Peyer am meisten vom Skandal profitiert, da praktisch alle anderen Kandidaten «pauschal-verdächtigt» worden sein – insbesondere die politischen Gegner, FDP-Regierungsrat Christian Rathgeb und SVP-Kandidat Walter Schlegel. Besonders praktisch für die Sozialdemokraten, dass sich die Gegenseite wegen der laufenden Ermittlungen nicht äussern durfte. 

Warum ist häusliche Gewalt kein Thema?

Einen anderen Aspekt ignorierte der Republik-Artikel fast völlig: Quadroni wurde der häuslichen Gewalt bezichtigt, seine Frau flüchtete mit den Kindern, als sich nach seiner Verhaftung die Gelegenheit bot. Vorwürfe, die nicht erst seit der grossen «Me-Too»-Welle sehr ernst zu nehmen sind. Aber in Graubünden laufen die Uhren auch diesbezüglich offenbar etwas anders. Bildhaft ausgeschmückt schrieben die Autoren lieber über die «kriegsartige Verhaftung» als über die Vorwürfe der häuslichen Gewalt. Letzte Woche schliesslich hatte eine Reihe von Bündner Frauen genug. «Beim Verhafteten handelt es sich um eine Person mit Verdacht auf häusliche Gewalt und Gefährdung Dritter. Er selbst hat in der Rundschau festgehalten, dass er seine Kinder schon vor der Festnahme mehr als ein Jahr nicht mehr sehen durfte. Diese aussergewöhnlich strenge Regelung lässt auf ein hohes Gefährdungsrisiko schliessen», schreiben die sieben Unterzeichnenden, unter ihnen auch Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher.

Mehrere Bündnerinnen – darunter Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher – stören sich an der Heroisierung von Adam Quadroni.

Besonders stören sich die Bündnerinnen daran, dass Sympathisanten mit einer Crowdfunding-Aktion über eine Viertelmillion Franken für Quadroni gesammelt haben – obwohl die Vorwürfe wegen häuslicher Gewalt damals bereits bekannt waren. Für die SVP-nahen Unterzeichnenden des offenen Briefes ist nicht Quadroni der Held, sondern die Polizei, die für die Sicherheit der Bündnerinnen und Bündner, auch im Rahmen des Familienschutzes, sorgt: «Wenn nun die Medien im Wahlkampf mit tatsachenwidrigen Behauptungen den Polizeikommandanten Walter Schlegel in seiner Eigenschaft als Regierungsratskandidat in ein kritisches Licht rücken, obwohl er den Einsatz gar nicht direkt verantwortet, erweisen sie dem Schutzbedürfnis der Frauen und Kinder vor Gewalt einen Bärendienst.»

SP-Kandidat Peter Peyer weiss von nichts

SP-Kandidat Peter Peyer gab auf Anfrage zu verstehen, er hätte vor Erscheinen des Republik-Artikels nichts davon gewusst. Dass es aber Seilschaften der Autorin Anja Conzett zur SP Graubünden gibt, lässt sich nicht wegdiskutieren, nicht nur wegen ihrer einstigen Tätigkeit im SP-Vorstand. Von Medien wurde ihre frühere Beziehung zum SP-Grossrat Andri Perl ins Feld geführt, ein Vorwurf, den Conzett besonders verletzt. «Würde dies im umgekehrten Fall je auch einem Mann unterstellt?», fragt die Journalistin und verweist auf Branchenkollegen, die mit Politikerinnen liiert sind und politisch aktiv sind oder waren. Vor einer Integritätsdebatte scheut sich Anja Conzett jedenfalls nicht. Gerade eben hat sie von der Urheberrechtsorganisation Pro Litteris einen Förderpreis über 10’000 Franken erhalten und wurde dabei als «herausragende Vertreterin des Journalismus» bezeichnet.

Die Karten liegen nun jedenfalls alle auf dem Tisch, ein weiterer Akt der Bündner Sommerposse neigt sich dem Ende zu. Am Sonntag werden wir wissen, welches House of Cards noch steht.

 

 

(Bildmontagen: GRHeute)