Genf, 22.11.2016, Eishockey Schweizer Cup, HC Genf Servette - HC Davos, Davos Torhueter Joren van Pottelberghe (Pascal Muller/EQ Images)

Zwei Facts, die Davoser Fans optimistisch stimmen

Der HCD steht zur Zeit auf dem 6. Tabellenrang. Zeit, die Entwicklung des Teams genauer unter die Lupe zu nehmen.

(Wer keine Zahlen lesen will – am Ende des Artikels hat es eine Zusammenfassung)

 

Mit 38 Punkten aus 26 Spielen liegt Davos vier Punkte hinter dem Viertplatzierten Lausanne, und fünf Punkte vor dem Neuntplatzierten Biel. Also gemütlich zwischen Playoff-Heimrecht und Playouts.

 

Vor ein paar Wochen sah das noch ganz anders: Die Davoser Inkonstanz bereitete den Fans Sorgen. Vor allem die Situation im Tor löste bei einigen Anhängern bereits Angstzustände aus. Mittlerweile haben sich die Gemüter etwas beruhigt, die Fans wissen aber immer noch nicht so genau, wo sie mit dem neuen HCD stehen. Ein Gespräch zwischen Rudi Rational und Egon Emotional:

 

Egon: „Ist der Sturm immer noch so schwach?“

 

Rudi: Nein. Die Stürmer treffen wieder regelmässig(er): 76 Tore sind die sechstbeste Bilanz der NLA. Und die Davoser schiessen oft aufs Tor – mehr als der Schnitt. Der Sturm funktioniert soweit. Vorne gibt es eigentlich nur eine Auffälligkeit: Der HCD trifft nicht mehr mit der gleich hohen Kadenz wie das in diesem Jahrzehnt bisher gängig war.

 

Jahr Trefferquote NLA Rang
2016/17 9.31% Nr. 4
2015/16 12.41% Nr. 1
2014/15 10.73% Nr. 1
2013/14 10.33% Nr. 2
2012/13 10.98% Nr. 2
2011/12 11.66% Nr. 1
2010/11 13.69% Nr. 1

 

In den letzten Jahren war der HCD stets die torgefährlichste Mannschaft der Liga. Die Trefferquote fiel in den letzten acht Jahren nie unter 10%. In dieser Saison treffen die Davoser ‚nur’ mit 9.31%. Das ist immer noch der viertbeste Wert der Liga und über dem Ligaschnitt. Aber es ist halt nicht mehr die gewohnte Davoser Effizienz.

 

„Was machen schon 1% Unterschied in der Trefferquote aus?“

 

Viel. Eine 1%-bessere Trefferquote macht schlussendlich rund 0.31 Tore pro Spiel aus. Das ist nicht zu verachten. Ende Saison resultieren aus den addierten (potentiellen) Toren eine grosse Differenz: Man kann sagen, dass drei Extra-Tore 1 Punkt wert sind, und sechs Extra-Tore 2 Punkte ergeben. Trifft ein Team also die ganze Saison über mit 1% weniger, dann sind das am Ende rund 17 Tore oder ca. fünf Punkte weniger in der Rangliste. Und fünf Punkte in der Tabelle entscheiden einiges: Das war letzte Saison der Unterschied vom 7. Rang zum 10. Rang (Playouts). Oder der Unterschied zwischen dem 4. Rang und dem 2. Rang (Playoff-Heimrecht).

 

1% ist nicht wenig.

 

„Der HCD hat keinen Killer-Instinkt. Bohonos muss zurückkommen!“

 

Nein. Der HCD trifft zwar nicht mehr so gut wie früher. Das ist aber kein Grund zur Sorge. Schlussendlich wurde schon etliche Male erwiesen, dass eine tiefe/hohe Trefferquote nicht ‚sustainable’, also nicht über lange Dauer haltbar ist. Ein Stürmer mag mal eine Phase haben, wo die Pucks einfach reinfallen. Und auf der anderen Seite kann es Zeiten geben, da scheint das Tor wie zugemauert. Über den Verlauf einer Saison pendeln sich die Trefferquoten aber immer wieder ein – und zwar irgendwo zwischen 8% und 12%.

Genf, 22.11.2016, Eishockey Schweizer Cup, HC Genf Servette - HC Davos, Davos Torhueter Joren van Pottelberghe (Pascal Muller/EQ Images)
Genf, 22.11.2016, Eishockey Schweizer Cup, HC Genf Servette – HC Davos, Davos Torhueter Joren van Pottelberghe (Pascal Muller/EQ Images)

 

„Ok, die Trefferquote pendelt sich also ein. Aber wie sieht es im Kasten aus? Die beiden Grünschnäbel sind nicht mehr als Ersatz-Goalies!“

 

Geduld. Eine ähnliche Entwicklung kann man bei den Rookie-Goalies beobachten. Anfang Saison noch mit extrem schwankenden und teilweise beunruhigenden Auftritten, haben sich Senn und JvP etabliert. Beide Goalies liegen zwar weiterhin unter dem Ligaschnitt: Senn steht bei 90.8% (2.80 GAA), JvP bei 90.1% (2.99 GAA). Doch beide Goalies haben in den letzten Auftritten ihren Aufwärtstrend unterstrichen. Seit dem 1:8 Debakel gegen Lausanne Mitte Oktober hat kein Gegner mehr als drei Treffer gegen Davos erzielen können. Das sind mittlerweile 12 Partien in Serie, in denen die beiden Rookies überzeugt haben.

 

„Ok, seis drum. Mich hast du noch nicht überzeugt.“

 

Die Entwicklung des HCD stimmt, und zwei Advanced Stats unterstreichen diesen Optimismus eindrücklich.

 

„Die Rede ist von der Corsi Statistik, gell?“

 

Unter anderem.

 

„Erklär mir das nochmals.“

 

Die Basis-Statistik in der Analytics-Community heisst Corsi (benannt nach dem Goalie Trainer Jim Corsi. Wer mehr dazu lesen will, findet hier und hier eine detaillierte Erklärung). Die Logik: Wenn ich Tore schiesse, gewinne ich. Wenn ich aufs Tor schiesse, habe ich die Scheibe. Wenn ich die Scheibe habe, hat der Gegner die Scheibe nicht. Wenn der Gegner die Scheibe nicht hat, kann er keine Schüsse generieren und keine Tore erzielen, ergo nicht gewinnen. Das heisst: Je mehr Schüsse ich generiere, desto höher ist die Chance, dass ich gewinne.

 

Einfach gesagt misst Corsi alle Schüsse aufs Tor – egal ob diese vom Goalie gehalten werden, neben das Tor gehen oder geblockt werden. «Corsi For» misst alle Schüsse, die ein Team abgegeben hat, «Corsi Against» misst alle gegnerischen Schüsse. Die Differenz ergibt den CF%.

 

„Hä? Ich brauch ein konkretes Beispiel.“

 

Ok: Team A schiesst fünfmal direkt aufs Tor, dreimal daneben und zweimal wird ein Schuss geblockt. Das ergibt 5+3+2 = CF 10.

Team B wiederum schiesst viermal auf das Tor, viermal daneben und ein Schuss wird geblockt. Das ergibt ein CA von 4+4+1= CF 9.

Die Differenz wird im Verhältnis angegeben: CF%. Beim obigen Beispiel (10:9) hat Team A ein CF% von 55%, Team B ein CF% von 45%.

(Ein Wert über 50% ist positiv, ein Wert unter 50% ist negativ.)

grh_cf_161128

Der HCD hat zurzeit mit CF% 52.5% den zweitbesten CF% Wert der Liga. Nur die ZSC Lions dominieren das Schussverhältnis noch mehr.

 

„Aha, ok. Kann sich der HCD mit diesen Zahlen etwas kaufen?“

 

Es ist ein geniales Zeichen für die Davoser Fans: Es ist erwiesen, dass Teams mit positiven Corsi Werten mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit (über 65%) die Playoffs erreichen bzw. erfolgreich sind. Kein anderer Wert ist verlässlicher als ein positiver CF%, keine andere Statistik ist derart aussagekräftig für die Zukunft.

 

Einfach gesagt: Davos generiert mehr Schüsse als der Gegner. Daraus resultieren mehr Torchancen. Daraus resultieren mehr Tore und mehr Siege.

 

Am anderen Ende des Spektrums stehen Teams wie der SCB (45.5%), die vorne wenig generieren und zur Zeit auf Leonardo Genonis Rücken reiten. Oder der EHC Kloten (44.5%), der zur Zeit eine (unhaltbare) hohe Trefferquote aufweist. Fans dieser beiden Teams müssen sich viel mehr Sorgen machen, dass diese individuellen Strähnen irgendwann reissen und die Teams in ein Loch fallen werden.

 

„Hehe, immerhin etwas, wo wir besser als die Berner sind.“

 

Ja, als Davoser Fan darf man optimistisch sein: Ein hoher CF% zeigt, dass Davos das Spiel macht und es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Chancen in Tore und Siege umgewandelt werden.

 

 

„Heisst das, der HCD hat einfach viel Pech oder wenig Glück?“

 

Richtig. Denn der zweite Wert, der die Davoser positiv stimmen sollte, ist der sogenannte PDO.

 

„PDO? Klingt wie post-menstruale Syndrome.“

Der PDO misst das „Glück“ eines Teams, und die Statistik ist banal, die schnallst sogar du: Alle Schüsse und alle Saves (der gesamten Liga über eine ganze Saison) müssen am Ende addiert 100% ergeben. Ganz egal, wie erfolgreich ein einzelnes Team ist, am Ende der Saison landet der PDO immer bei 100%. Der PDO berechnet sich einfach: Die Trefferquote aller Stürmer wird zur Fangquote addiert.

 

„Kannst du das mal in einem Beispiel formulieren?“

 

Team A trifft wie verrückt und erzielt aus 20 Schüssen 4 Tore. Das ergibt eine Trefferquote von 20%. Gleichzeitig lässt der Goalie von 20 gegnerischen Schüssen nur 2 rein. Das ergibt eine Fangquote von 90%. Addiert ergibt sich ein PDO für Team A von 20% + 90% = 110%. Und entsprechend einen PDO für Team B von 80% + 10% = 90%.

 

„Was heisst denn das wieder? Was soll das mit Glück zu tun haben?“

 

Du weißt ja jetzt, dass die Team-Trefferquoten zwischen 8% und 12% landen. Und es ist erwiesen, dass Teams eine Fangquote zwischen 88% und 92% haben. Ganz egal, wie heiss jemand während einer Phase ist, am Ende der Saison kann man mit diesen Werten rechnen. Das heisst, dass ein Team Ende Saison einen PDO von minimal 96% bis maximal 104% haben wird.

 

„…weiter…“

 

Und jetzt kommt die Krux: Da Eishockey ein rutschiges Spiel ist, das viel auf ‚Lucky Bounces’ basiert, und tiefe/hohe Trefferquoten und tiefe/hohe Fangquoten über lange Dauer nicht haltbar sind, bzw. sich der statistischen Mitte annähern, kann man sagen:

 

Teams mit einem PDO unter 100% leiden am fehlenden Glück. Entweder ist die Scheibe in letzter Zeit nicht gefallen, oder die Goalies haben eine Pechsträhne…

 

„… und Teams mit einem PDO über 100% profitieren zur Zeit entweder vom Abschlussglück oder von einem heissen Goalie.“

 

Genau. Hat ein Team einen PDO über 100%, muss man sich Sorgen machen: Vielleicht treffen die Stürmer bald nicht mehr so gut, oder die Defense hat bald wieder mal etwas mehr Pech.

 

Hat ein Team aber einen PDO unter 100%, so weiss man, dass noch Luft nach oben besteht. Das Abschlussglück wird kommen, die Goalies werden ihre Fangquote verbessern.

 

„Aber es gibt doch gute und schlechte Teams.“

 

Das stimmt. Und der PDO Ende Saison variiert vom besten zum schlechtesten Team. Der Unterschied ist aber marginal. Die extremsten PDOs, die in diesem Jahrzehnt erzielt wurden, lagen alle zwischen 97.1% und 102.8%. Wie gesagt, es pendelt sich ein.

 

„Jetzt schnall ich es. Und wo steht der HCD?“

 

Der PDO des HCD steht bei 98.7%. Das ist ligaweit der zweitschlechteste Wert. Oder eben der zweitbeste, wenn man das Potential im Auge hat. Auf jeden Fall kann der HCD damit rechnen, dass in nächster Zeit besser Fang- oder Trefferquoten kommen werden.

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Am anderen Ende wieder der SCB. Mit einem PDO on 104.2% wird unterstrichen, wie abhängig die Berner derzeit von den Glanzleistungen von Genoni abhängig sind. Eine schlechte Partie des SCB Goalies resultiert in den meisten Fällen in einer Niederlage, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Teams mit derart hohen PDOs sich rückläufig entwickeln.

 

„Hehe. Sehr gut.“

 

Als Davoser Fan darf man optimistisch sein: Ein tiefer PDO zeigt, dass es aufwärts gehen sollte – sei dies mit der Trefferquote oder mit der Fangquote.

 

„Das spielt alles zusammen, ha? Trefferquote, Corsi, PDO…“

 

Jetzt schnallst du es. Wenn der HCD eine normale Trefferquote hält (was wahrscheinlich ist), und die Goalies durchschnittliche Werte erreichen (was realistisch ist), kann der HCD mit der jetzigen Spielart mit rund 30 Toren mehr rechnen bis Ende Saison. 30 Tore sollten in etwa zusätzliche 10 Punkte einbringen.

 

„Cool. Ok, für alle, die das jetzt nicht gelesen haben, fass mal zusammen.“

 

Der HCD ist auf Kurs. Dass Davos nicht an der Spitze der Tabelle steht, liegt daran, dass der HCD immer noch für die Inkonstanz vom Anfang der Saison bezahlt. Die Entwicklung stimmt aber optimistisch: Der HCD dominiert das Schussverhältnis, was der beste Indikator für Puck-Besitz und Erfolg ist. Sobald sich die Trefferquote der Stürmer stabilisiert und die Goalies sich weiterhin positiv entwickeln, kann der HCD noch einen Gang höher schalten.

 

Als Davoser Fan darf man zur Zeit optimistisch sein – die Entwicklung stimmt.

 

(Und wer sich nun fragt, woher diese neuen Statistiken kommen: Nein, der SIHF ist noch nicht soweit, diese Zahlen zu erfassen. Dafür gibt es interessierte, aktive Fans, die in Eigenregie die Advanced Stats der NLA berechnen. Ein solcher Fan ist „NLAStats“ (@Boumatoews), der die Sisyphus-Arbeit betreibt und alle Zahlen auf seinem Blog manuell zusammenfügt. Eine Meisterleistung, die Respekt verdient. Und ein dickes Dankeschön.)

 

(Bild: Pascal Muller/EQ Images, stats: Boumatoews.blogspot.ch)