In der Rubrik «Musik jenseits der Berge» besprechen wir in unregelmässigen Abständen Bands, die keinen oder nur einen minimalen Bezug zu Graubünden haben. In der zweiten Ausgabe haben wir uns mit dem neuen Werk «Campione» des Kultkollektivs Möchtegang auseinander gesetzt.
Die Überraschung war gross, als sich vor knapp drei Jahren die Rapper C.mEE aus dem Kanton Schwyz, die Winterthurgauer Smack und Phumaso, die Zuger Jungs von Fratelli-B und die Raplegende Bandit aus dem Zigerschlitz zur Möchtegang zusammenschlossen. Der anfängliche Überraschungseffekt wurde rasch zu einem unaufhaltbaren Hype, der die Band direkt in die Hitparade beförderte und ihnen eine Tour quer durch die Schweiz ermöglichte.
Auf dieser Tour zum Album «Mittwoch Nami» habe ich die Jungs sicherlich bereits fünf Mal live gesehen und jedes Mal war es einzigartig, überraschend und ein verdammtes Live-Spektakel. Die Messlatte für das zweite Album war also offiziell ziemlich hoch gesetzt.
Doch schon beim ersten Song wird klar, dass die Jungs noch viel mehr Hunger haben und mit dem neuen Album mächtig für Aufruhr in der ganzen Deutschschweiz sorgen werden. Denn, kompromisslos wie eh und je gehen die Jungs hier ans Werk. Keine Radiosingle, keine Popstimme im Refrain (ausser beim «Letschte Song») und brennende Rhymes, anstatt Liebeslieder über Frauen in roten Kleidern. Nach diesem Rezept reissen sie gerade die Membranen meiner Boxen ein und ich feiere es total.
Während das Debüt zum Teil ein wenig kurz wirkte, ist die neue Scheibe sehr durchdacht und hält mit seinen 15 Tracks und einer Spieldauer von mehr als 57 Minuten ein richtiges Rapbrett bereit. Nur ein witziges Skit, der Rest ist voller Musik und man darf sagen, dass sich das Warten auf den Zweitling definitiv gelohnt hat.
Das ganz klare und reisserische «Die beschti Rapcrew» lässt skilltechnisch keine Wünsche offen. Das Statement zur aktuellen Lage im Schweizer Rap zeigt sofort, was an Einzigartigkeit ohne die Möchtis gefehlt hat. Denn das Zusammenspiel der verschiedenen Charaktere der Möchtegang zeigt wie facettenreich ein Thema behandelt werden kann, ohne eintönig zu werden. Herzlich willkommen zurück!
Es geht beschwingt und sommerlich weiter mit dem Ohrwurm «Vino Ticino», der als erster Vorgeschmack auf’s Album veröffentlicht wurde und Lust auf Ferien macht. Ausserdem erzählt der Track wie die Platte entstanden ist. Wie schon der Vorgänger, wurde dieses Album wieder im Tessin im Ferienhaus der Telli-Brüder aufgenommen.
Ich bin kein grosser Wein-Fan, doch jetzt verspüre ich grossen Drang wieder ein Mal in die Ferien zu fahren. Stimmungsvoll und mit amüsanten Video.
Nach dem Skit über Rappernamen lassen die Rapper in «A.K.A.» eine Horde an neuen Namen auf die Meute los. Dieser Track erinnert mich irgendwie an den Track «So viel meh» vom ersten Album, weil er auch mit den vielen Gesichtern der Rapper spielt. Sie zeigen ihre Vielseitigkeit und das auf eine humorvolle, ziemlich unterhaltende Art und Weise.
Dann folgt mit «Arrogant» eine der fettesten Nummern des ganzen Albums. Klappernde Wild-West-Pianos vermischt mit dem hart pumpenden Beat plus dem Text über den feinen Unterschied von den Möchtis zur Konkurrenz, das ist die perfekte Mischung zur Entstehung von einem Liveklassiker. Auf den freue ich mich jetzt schon!
Der nächste Song auf der CD ist dann der inzwischen bereits allseits beliebte «Aber ebe». Der feine Abschluss mit der Vergangenheit und mit Leuten, die einem immer wieder mit gutem Rat zu Hilfe eilen wollen, ist ein richtiger Partytrack geworden. Das endlos gute Video zum Track zeigt ihren feinen Sinn für Humor. Bei diesem Song ist ebenfalls einer der besten Momente von Bandit versteckt. Doch hört und seht selbst:
«#MGMKDM» ist Highspeedrap für’s Lehrbuch. Spannend wie sie den indisch angehauchten Beat mit ihrer Zungenfertigkeit überrollen, als wäre es das Einfachste auf der Welt. Sehr fett! Hätte echt nicht gedacht, das Chandro von den Tellis den Part auf ihrem letzten Album nochmals toppen könnte. Doch hier legt er wieder einmal los wie ein Maschinengewehr.
«All uf 180» ist Sozialkritik pur. In der schnelllebigen Zeit von heute den Kopf noch beisammen zu halten, ist eine Mammutaufgabe. Doch die Möchtis stehen für Entspannung ein und fordern die Hörer dazu auf, auch mal einen Gang runter zu schalten. Interessant ist hier die indirekte Kritik von Flap an Interpreten wie Dodo, Steff la Cheffe und Lo & Leduc. Dies würden viele sicherlich nicht so offen kommunizieren. Doch ich halte viel von den Möchtis, weil sie nie ein Blatt vor den Mund nehmen.
Der Titel des nächsten Tracks «Gf—t letscht Nacht» hat mich zuerst ein wenig abgeturnt. Doch beim ersten Hören hat er durch seine Beschwingtheit und seinen Witz bei mir recht gut funktioniert. Hier ist nochmals ein Zeitzeuge des Hypes rund ums Debüt.
Dann kommt er endlich, der Track, der mir persönlich am Meisten bedeutet. Denn der «25igscht» ist in der heutigen Zeit für viele Schweizer wie mich ähnlich einem Freudenfest wie Weihnachten. Schön zu hören, dass es bei anderen auch nirgends hin reicht mit dem Geld. Das ist die grosse Kunst der Möchtegang, sie schaffen Bilder mit denen sich eine grosse Schnittmenge der Gesellschaft identifizieren kann, ohne dabei den Zeigefinger zu heben oder gar belehren zu wollen. Beim ersten Album war da der Song «100% Job», der mir heute noch sehr viel bedeutet. Dieses Mal ist es eben diese Ode an den 25., die mich den Rest des Monats jeweils nicht mehr gar so deprimiert zurück lässt, wenn die Kohle mal nicht reicht. Danke!
«Bingo 2» ist als einziger Track total überflüssig auf dem Album. Der erste Teil der «Penis-Saga» hat mir schon nur mässig gefallen, der zweite ist noch ein wenig primitiver und wertet das Album ein wenig ab. Schade.
Aber nicht so schlimm, denn mit «Vo wo ich chum» kommt eine autobiografische Nummer, die den Weg der Jungs von den Wurzeln durch’s Haifischbecken CH-Rap bis zum heutigen Tag beschreibt. Sehr gelungen mit einem Schuss Nostalgie. Schöne Geschichten, die die Jungs hier auftischen.
«Illusione» schlägt in die gleiche Storytelling-Kerbe wie «Vo wo ich chum», was mir sehr zusagt. C.mEE singt wieder mal eine für ihn typische Hook im Stil von «Da muessi dure» vom ersten Album. Melancholie vermischt sich mit einem elektronisch angehauchten Beat, der den Möchtis einen ganz neuen Anstrich gibt und sehr frisch tönt. Gelungene Nummer über Träume, die zu Illusionen wurden.
«Young Merch» heisst der Kultmerchandiser der Möchtegang, der sie an jedes Konzert begleitet. Die Hymne, die sie ihm hier gewidmet haben, ist pure Comedy und ein schöner Freundschaftdienst an den Jüngling.
Dann kommt er, der Song der «Letschte Song», welcher ein grossartiges Outro ist für die gelungene Scheibe. Balladesk ohne schmierig zu wirken, zeigen die Jungs sich dankbar für den Weg, den sie dank der treuen Gefolgschaft einschlagen konnten. Wunderschöne, tiefgründige Zeilen, bei denen man gerne und gebannt zuhört. Hier zeigt sich die Leidenschaft der Jungs, das Leben für die Kunst und dass der Fokus bei ihrer Arbeit nie auf finanzielle Aspekte gerichtet war. Speziell hervorheben möchte ich, die Widmung der letzten Zeile an Yogi, was mich gerade ziemlich heftig getroffen hat. Diese Jungs lieben was sie machen, geben den Fans, was sie wollen und sind dankbar für jeden Anhänger, der oder die sie begleitet auf ihrem Weg. Völlig unabgehoben und ehrlich, bewundernswert.
Schlussfazit:
Die Möchtegang übertrifft ihr bereits grandioses Debütalbum mit dem Zweitwerk «Campione» um Längen. Das gut durchdachte Werk klingt wie aus einem Guss. Ohne sich anzubiedern, schaffen die Jungs es ein Rapalbum auf die Beine zu stellen, welches auch für Mainstreamhörer interessant sein könnte. Hier hört man vielleicht kein «Jung, verdammt», doch ein Dreamteam, dass ihren Traum mit viel Leidenschaft weiter ausbaut und einem zeigt, dass Rap sich nicht umbedingt anpassen muss.
Ich hatte in diesem Jahr schon mal das Gefühl, dass ein Album hoch charten würde, hier ist es wieder genau gleich, denn alles stimmt: Konzept, Songauswahl, Raps, Zusammenspiel, Texte, Musik, etc.
Also bleibt nur zu sagen: Wenn das keine Poleposition in den Charts gibt, fress ich ’nen Besen!
Das Album «Campione» der Möchtegang erscheint am 16. September 2016. Mehr Informationen zu den Möchtis auf ihrer Webseite.
Die Möchtegang auf Tour 2016/2017:
16.9. Hasliberg – Wetterhorn Möchtegang mit Afterparty
1.10. Zug Albumtaufe – Chollerhalle Möchtegang Albumtaufe «Campione»
8.10. Olten – Möchtegang in der Paraiba Bar & Club Olten
15.10. Chur – Palazzo Möchtegang / Liricas Analas / Hedgehog
29.10. Glarus – Möchtegang live at Holästei
5.11. Zürich – Möchtegang live at Kanzlei
12.11. Luzern – Möchtegang – Bar 59, Luzern
26.11. Buchs SG – Möchtegang und Chris Bluemoon live im Chez Fritz Buchs
23.12. Winterthur – Möchtegang im Salzhaus Winterthur
6.1. Thun – Möchtegang in der El Camino Café Bar
7.1. St. Gallen Möchtegang und Chris Bluemoon live in der Grabenhalle
27.1. Davos – Möchtegang Live at Bolgenschanze
(Bild: zVg./Videos: YouTube)