Morgen Abend ist es soweit: Die ersten Spieler und Coaches der 23-köpfigen Delegation der FA Raetia fliegen zur Fussball-WM der nicht anerkannten Staaten nach Abchasien. Ein abenteuerliches Erlebnis steht bevor.
«Ossi» wird er genannt, ist Churer, 27 Jahre alt, spielt zurzeit «nur» noch aktiv in der 5. Liga und ist Stürmer in der rätischen Fussball-Nationalmannschaft. Seinen vollständigen Namen will er zurzeit lieber nicht veröffentlicht sehen – aus gutem Grund.
Ossi will nicht unnötig provozieren. Am Wochenende startet in Abchasien die Fussball-WM der unabhängigen Staaten, sprich: der Regionen, die nicht als Nationen von der Fifa anerkannt sind. Gastgeber Abchasien steht dabei stellvertretend für den Weltverband CONifa (Confederation of Independent Associations). Die Region gehört eigentlich zu Georgien, ist aber traditionell eigenständig und verwaltet sich selbst. Russland und verschiedene Kleinstaaten haben Abchasien als eigenständige Nation anerkannt, nicht aber die Staatengemeinschaft und schon gar nicht die Fifa. Kein Wunder, hat Georgien keine Freude an der WM der «Abtrünnigen». So hat der georgische Botschafter das Eidgenössiche Amt für auswärtige Angelegenheiten (EDA) kontaktiert und gewarnt, die Einreise nach Abchasien über die russische Grenze sei nach georgischem Recht illegal. Das EDA wiederum informierte das Bundesamt für Sport, das wiederum die FA Raetia und gleichzeitig die Bündner Regierung in Kenntnis setzte. – Zur Kenntnis genommen. Namen und Bild einen Tag vor der Einreise ins Netz zu stellen, das will Ossi aber nicht.
«Wir haben eine neue Route planen müssen», so Ossi, der sich auf seine zweite WM freut. Gespielt wird im neuen 4300 Zuschauer fassenden Dinamo-Stadion in Sukhumi, der Hauptstadt von Abchasien.
Bei der letzten Austragung im irakischen Teil von Kurdistan – oder, je nach Perspektive, im kurdischen Teil Iraks – seien sie wie Stars behandelt worden. «Es war eine ‹huara geili Erfahrig», so der Haustechniker, «es begann schon am Flughafen. Wir hatten einen separaten Check-in, wurden mit dem Car und einer Polizei-Eskorte abgeholt.» Er sei froh, dass sie nicht gesehen wurden, als sie durch die Wüste fuhren, lacht er: «In einer Tageszeitung stand, die Schweiz kämpfe im Irak». Das Erlebnis sei grossartig gewesen, die Spiele vor 2-3000 Zuschauern hervorragend organisiert, und «die Leute im Irak waren unglaublich freundlich». Am Ende wurde gar ein Kinofilm des Abenteuers draus («Anpfiff in Kurdistan – wie wir fast Weltmeister wurden»).
Für die FA Raetia ist die WM der Höhepunkt des Vereinsjahres. Auslandsreisen sind den Bündner Fussballern allerdings nicht fremd. Ob im Irgendwo in Rumänien, auf einer Insel vor England oder auf Malta – lange Reisen gehören für die Rätier dazu. Das letzte Spiel allerdings, am 6. September vergangenen Jahres, fand an der Churer Ringstrasse statt. Im WM-Qualifikationsspiel schlugen sie das Reich der Franken gleich mit 6:0 – Karl der Grosse hätte sich im Grabe umgedreht. Die Rätier können nun Abchasien erobern.
Die Mitglieder der CONifa sind eine interessante Mischung. Zum einen sind Nationen dabei, die ernsthaft politische Eigenständigkeit und Anerkennung anstreben (wie zum Beispiel Tibet oder Zanzibar) und die auch beachtliche fussballerische Qualität aufweisen. Zum andern sind Regionen im Verband dabei, deren Mitgliedschaft rein historisch begründet sind (wie das ehemals eigenständige Alt Fry Rätien, das bis zum Einmarsch Napoleons Bestand hatte und unabhängig war, die englische Isle of Man oder die Grafschaft Nizza).
Zwischen Ernst und Klamauk
Wie ernst ist das Ganze? «Zuerst wird man oft belächelt», räumt Ossi ein, «wenn man dann aber mehr erzählt, interessiert es die meisten.» Schliesslich gäbe es Spieler in einigen Kadern, die schon 2. Bundesliga gespielt hätten oder Nationen wie das irakische Kurdistan, in der die besten Spieler dieses riesigen ‹Landes› stehen und die gemäss Ossi etwa auf dem Level eines schwächeren NLA-Teams spielten. «Die Spiele werden ernsthaft geführt. Das Niveau ist gut, das Gefälle ist aber sehr gross», führt er aus und zieht einen Vergleich, «wir hatten an der letzten WM Spieler im Team, die schon 1. Liga gespielt haben, und die hatten auch grosse Mühe.» Ein 1:0-Sieg gegen Tamil Eelam und drei hohe Zu-Null-Niederlagen war damals, 2012, die Ausbeute der Schweizer. Der Kantersieg gegen die Franken im letzten Herbst hat den Rätiern nun aber Mut gemacht. «Ziel ist es, jedes Spiel zu gewinnen», sagt Ossi. Die Gruppengegner Padania aus Nord-Italien und Nord-Zypern schätzt er vom Kader her allerdings stärker ein.
Wer will in Zukunft für die Nati spielen?
Für die Zukunft hofft der Fussballfan deshalb auf bessere Spieler für die FA Raetia. «Es wäre gut, wenn wir das Niveau steigern könnten», so Ossi. Der Zugang zu einem Probetraining, das noch für dieses Jahr in Planung ist, stehe allen offen. Die Belohnung ist verlockend: Der WM-Trip kostet die Spieler dieses Jahr gerade mal 400 Franken, für die WM-Teilnahme 2012 im irakischen Kurdistan mussten sie gar nichts bezahlen.
Nun zählt aber erstmal die grosse WM der «Kleinen». Nach der grossen Eröffnungsfeier am Samstag treffen die Rätier am Sonntag um 9 Uhr morgens Schweizer Zeit (Lokalzeit 11 Uhr) auf Padania, einem Zusammenschluss von acht norditalienischen Regionen und einer der grossen Turnierfavoriten. Am Dienstag schliesslich kommt es zur selben Zeit zum Showdown mit Nord-Zypern. Alle Spiele sind im Online-Stream live zu sehen. GRHeute wird von den Auftritten der Rätier berichten.
Hopp Rätia!
(Bilder: GRHeute/Wikipedia)