Eine Messkampagne des Amts für Natur und Umwelt bringt Klarheit: Pflanzenschutzmittel aus dem Südtirol werden tatsächlich über die Grenze bis nach Valchava hineingetragen. Allerdings nehmen talaufwärts sowohl die Zahl der nachweisbaren Pflanzenschutzmittel als auch die Mengen rasch ab, sodass nicht von schädlichen Auswirkungen ausgegangen werden muss.
Eine bereits 2019 publizierte Untersuchung im Vinschgau (Südtirol) zeigte, dass Pflanzenschutzmittel aus dem Obstanbau über mehrere Kilometer bis in erhöhte Lagen verfrachtet werden. Für das angrenzende Val Müstair – ein auf Biolandwirtschaft ausgerichtetes Tal und gleichzeitig Regionaler Naturpark – stellte sich damit die Frage, wie stark es diesen Luftverfrachtungen ausgesetzt ist.
Grossräumige Verfrachtungen
Die Untersuchungen in Zusammenarbeit mit dem Naturpark Biosfera Val Müstair ergaben, dass Pflanzenschutzmittel, welche beim Obstanbau im Vinschgau eingesetzt werden, durch den Wind bis ins 14 Kilometer entfernte Valchava getragen werden. Dabei nimmt die Belastung mit zunehmender Distanz zum Vinschgau deutlich ab. Die Gesamtbelastung der 2019 gemessenen Pflanzenschutzmittel war im Bereich der Landesgrenze zehnmal, in Müstair 30 Mal und in Valchava 100 Mal kleiner als die im Vorjahr gemessene Gesamtbelastung in Kortsch im Vinschgau. Bei einigen im Ackerbau verwendeten Pflanzenschutzmitteln zeigte sich aber auch, dass Pflanzenschutzmittel nicht ausschliesslich der Verfrachtung über die Luft zugeschrieben werden können, sondern dass sie – wenn auch in geringeren Mengen – auch lokal im Münstertal eingesetzt werden.
Handlungsbedarf bei Pflanzenschutzmitteln
Bei den im Münstertal gemessenen Konzentrationen von Pflanzenschutzmitteln ist die Wahrscheinlichkeit schädlicher Effekte gering. Hinsichtlich der menschlichen Gesundheit geben die Messungen somit keinen Anlass zur Sorge. Da Pflanzenschutzmittel weiträumig verfrachtet werden und bestimmte Wirkstoffe, beispielsweise auf Wasserlebewesen, auch in sehr geringen Dosen schädlich sind, besteht bei der Freisetzung von Pflanzenschutzmitteln dennoch ein grosser Handlungsbedarf.
In der Schweiz ist derzeit ein Absenkpfad für den mengenmässigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Gegenstand von parlamentarischen Beratungen. Auch in Italien wird ein nationaler Aktionsplan zur Reduktion des Pflanzenschutzeinsatzes verfolgt. Um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Münstertal selber zu vermindern, sind für die Programmperiode 2020 bis 2024 des Naturparks Biosfera Val Müstair entsprechende Massnahmen vorgesehen.
Anlass und Methodik der Untersuchungen
Im Südtirol werden rund 10 Prozent der europäischen Äpfel angebaut (jährlich 1,2 Millionen Tonnen), davon jährlich 320 000 Tonnen im Vinschgau. Eine Untersuchung des Umweltinstituts München im Jahr 2018 hat ergeben, dass Pflanzenschutzmittel, welche beim Obstanbau im Vinschgau eingesetzt werden, mehrere Kilometer weit durch die Luft transportiert werden. Das ANU untersuchte deshalb 2019 in Zusammenarbeit mit dem Naturpark Biosfera Val Müstair mit Messungen an drei Standorten mit unterschiedlichen Distanzen zu den intensiv bewirtschafteten Obstplantagen, ob auch ein Pflanzenschutzmitteleintrag aus dem Vinschgau ins benachbarte Münstertal stattfindet. Um die Resultate aus dem Münstertal mit den bereits im Jahr zuvor publizierten Werten aus dem Vinschgau vergleichen zu können, wurde die gleiche Messmethodik mit Passivsammlern des Umweltinstituts München angewendet.
Umstrittene Pflanzenschutzmittel
Der Schutz der Pflanzen vor Schädlingen und Unkräutern begleitet die Entwicklung der Landwirtschaft seit Jahrtausenden. Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel gibt es jedoch erst seit etwa 100 Jahren. Sie werden in der Landwirtschaft und im Obstbau, aber auch in Privatgärten, rege angewendet. Sie erreichen jedoch niemals vollständig ihren eigentlichen Zielort. Wirkstoffe bleiben im Boden, landen in Grund- und Oberflächengewässern oder werden über die Luft verfrachtet. Viele Pflanzschutzmittel sind mittlerweile zu weit verbreiteten Substanzen in Böden, im Grundwasser, in Fliessgewässern und in der Atmosphäre geworden und werden in Pflanzen und Tieren nachgewiesen, welche nicht direkt behandelt wurden. Wegen ihrer Nebenwirkungen sind sie heute sehr umstritten: Einerseits geben Rückstände in Lebensmitteln Anlass zur Sorge hinsichtlich der menschlichen Gesundheit, andererseits gelten sie als eine Hauptursache für das Insektensterben und den Rückgang der Biodiversität.
(Bild: gr.ch)