Gestern startete ein weiteres Bündner Kulturgut auf Leinwand: Heidi. Mit Bruno Ganz als Alpöhi und einer zauberhaften Anouk Steffen als Heidi.
Man kann Heidi nicht sehen, ohne an Schellen-Ursli zu denken. In beiden Fällen dominieren wunderschöne Landschaftsaufnahmen den Film, in beiden müssen Kinder Tiere hüten, beide leben zumindest im Sommer im Maiensäss. So wie es bei Bauernfamilien in Graubünden früher üblich war und teilweise heute noch ist. Und beide kommen nicht aus privilegierten Familien.
Die Geschichte von Heidi muss man nicht erzählen, die ist hinlänglich bekannt. Anouk Steffen als Heidi ist nach Jonas Hartmann und Julia Jeker eine weitere Neuentdeckung im kantonalen Kulturschaffen. Wie sie zum Alpöhi – gespielt von Bruno Ganz – sagt, «sie will mich doch auch nicht», als Tante Dete sie beim Alpöhi zurück lässt und der ihr unmissverständlich klar macht, dass in seinem Herz kein Platz ist für ein Kind, ist herzzerreissend.
Überhaupt, das Herz. Das vom Alpöhi scheint versteinert; Bruno Ganz bringt das meisterlich rüber. Während seine Darstellungen von Figuren, die Hochdeutsch sprechen, nach einer Weile kaum mehr anzuhören sind, weil er diese typische überdeutliche Theaterstimme spricht, ist das beim Alpöhi kein Problem. Überhaupt spricht der Alpöhi nicht viel. Aber seine Mimik! Man kann richtig miterleben, wie er sein versteinertes Herz nach und nach öffnet und sogar weint, als Heidi ihn in Richtung Frankfurt verlässt.
In Frankfurt, man weiss es, geht es Heidi nicht gut. Und Klara geht es bald ohne Heidi nicht mehr gut. Die krankheitsbedingte Isolation tut Klara nicht gut, das merkt Heidi schnell und entführt ihre Freundin in die Draussen-Welt. Was das mit Klara macht oder wie es weiter gehen soll – darüber lässt der Film den Zuschauer im Unklaren.
Überhaupt muss man bemängeln, dass die Szenen teilweise sehr kurz gehalten werden, als ob man zuviel Material in zu wenig Zeit hätte pressen müssen. (Das Gegenteil vom Schellen-Ursli: Dort gäbe die Original-Geschichte zu wenig für 90 Minuten her.) Weil aber nun wirklich jedes Kind und jeder Erwachsene das Heidi kennt, stört das gar nicht, der Kopf zeigt dem roten Faden automatisch, wo es lang geht. Und ja: Auch im Film kann Klara am Schluss laufen.
Der Film spielt übrigens in einem ‚Engadiner Dorf‘; es sieht fast so aus wie beim Schellen-Ursli. Auch die Darsteller sprechen sich mit dem romanischen «Bun di» oder «Allegra» an, was angesichts der Tatsache, dass Heidi hoch über Maienfeld lebt und dort keiner «Bun di» oder «Allegra» sagt, eher komisch wirkt.
«Du musst selbst herausfinden, ob du deinen eigenen Augen traust oder ob du dem Gewäsch der Leute glauben willst», sagt der Alpöhi einmal zum Heidi. Das ist die Botschaft, das Mantra des Films und wird in abgeänderter Form immer wieder wiederholt – bis man es am Schluss verinnerlicht hat.
Alles in allem ist Heidi ein wunderschöner Film und Kindern, die nie in Maienfeld waren, ist sowieso egal, wie sich die Leute anreden. Ganz sicher ein Film, den man mit der Familie sehen kann – während das Christkindli den Baum schmückt oder wenn man nach den Feiertagen die eigene Filter-Bubble wieder mal verlassen muss.
(Bild: Pressebild)