«Ferien machen gesund – jedenfalls manchmal…»

«Feriae»: Schon die alten Römer kannten einen Begriff für Fest- und Ruhetage, an denen keine Geschäfte betrieben werden durften und die Leute feiern oder sich einfach ausruhen konnten. Sind Ferien aber wirklich erholsam und dadurch auch gesund? «Ja, aber», sagt Urlaubsforscher Professor Martin Lohmann.

Herr Lohmann, Sie sind Ferienforscher. Was erforschen Sie?

Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen in Lüneburg und Kiel kümmern wir uns um die Nachfrageseite des Tourismus, also die Kunden. Uns interessieren dabei sowohl das Verhalten wie dessen Hintergründe (Motive, Images, Einstellungen), aber auch die Effekte des Ferienmachens: Was kommt dabei raus?

Zur Gretchenfrage: Sind oder machen Ferien gesund?

Die knappe Antwort lautet: Ja, jedenfalls manchmal. Tatsächlich berichten über sieben Millionen deutsche Urlauber, von ihrer Reise 2018 gesünder zurückgekehrt zu sein. Weitere Wirkungen beziehen sich auf Vorstufen oder Bedingungen der Gesundheit, vor allem Erholung und neue Kraft schöpfen. So betrachtet, ist Tourismus ein sehr wichtiger Baustein für Gesundheit und Wohlbefinden einer Gesellschaft. Für weitere Einsichten braucht es dann natürlich eine detailliertere Analyse, wer, wann, unter welchen Bedingungen, usw.

Wie misst man die Gesundheitseffekte von Ferien überhaupt?

In vielen Fällen kann man Menschen ganz einfach danach fragen. Gesundheit wird dann verstanden als «sich gesund fühlen». Das haben wir in den hier erwähnten Untersuchungen auch so gemacht. Will man ganz bestimmte Bereiche in den Fokus nehmen, etwa körperliche Fitness oder die Behandlung von Atemwegserkrankungen, dann muss die Messung in Abhängigkeit von den Symptomen und der Zielsetzungen erfolgen und medizinische bzw. psychophysiologische Parameter einschliessen.

Welches sind die wichtigsten positiven Effekte von Ferien?

Von Erholung berichten 77% der Urlaubsreisenden. In die gleiche Richtung geht «frische Kraft schöpfen» (52%). 13% – das sind die vorhin erwähnten sieben Millionen deutschen Urlauber – sagen, sie seien «gesünder» von der Reise zurückgekehrt. Häufig genannt werden auch soziale Aspekte, wie die Stärkung des Zusammenhalts in der Familie oder mit dem Partner (43%). Ein dritter Bereich ist der, etwas Neues kennen gelernt zu haben (51%). Schöne Erlebnisse und Glücksmomente sind nicht nur eine Erfahrung im Moment, sie werden quasi wieder verwendet: Als schöne Erinnerungen, von denen man später noch zehren kann, und als Gegenstand von Erzählungen im Freundeskreis.

Gibt es diese Effekte nur in den Köpfen der Ferienreisenden oder sind sie auch wissenschaftlich nachweisbar?

Man kann sie wissenschaftlich «in den Köpfen» der Ferienmenschen nachweisen, das ist keine Frage des «oder». Man kann sie auch in psychophysiologischen Daten zeigen, etwa mit Indikatoren für den körperlichen Trainingszustand wie etwa Pulsfrequenz oder Blutdruck in Beanspruchungssituationen.

Die meisten Menschen hätten vermutlich gern mehr Ferien. Sind mehr Ferien für sie auch wirklich besser oder verpuffen die positiven Effekte mit zunehmender Dauer der Ferien?

In Deutschland ist es so, dass nur ein Teil der Urlaubstage für Urlaubsreisen genutzt werden. Es gibt also auch wirklich gute Gründe, zuhause zu bleiben. Im Hinblick auf die Erholung wären grundsätzlich mehr Ferien besser, und zwar als häufigere und kürzere Unterbrechungen des Arbeitsalltages. Nun ist aber Erholung nicht alleine der Massstab, die Arbeit und der Alltag haben ja auch ihren Wert, und Erholung ist ja auch nicht der einzige Effekt des Verreisens. Glücksmomente sind wahrscheinlicher bei längeren Reisen in unbekannte Orte.

Vor dem Hintergrund des Klimawandels wird heftig über Fernreisen diskutiert. Sie würden der Natur zu viel schaden, wird gesagt. Gibt es auch aus gesundheitlicher Sicht Argumente für oder gegen längere Reisen?

Natürlich, solche Argumente gibt es in beide Richtungen. Die Lösung muss am Ende immer individuell erfolgen. Mit einem Kleinkind eine Reise an das Tote Meer zu machen, kann im Hinblick auf die Gesundheit eine völlig blödsinnige Idee sein; für einen Psoriasiskranken kann das im Hinblick auf die Gesundheit ganz hervorragend sein. Grundsätzlich sind mit einer Fernreise immer eine ganze Reihe von körperlichen und psychischen Strapazen verbunden, und man sollte abwägen, ob die zu erwartenden Effekte diese wert sind.

Gibt es auch negative Effekte für die Feriengäste durch die Ferien? Aspekte der Ferien, die generell ungesund sind?

Unbedingt, wir hatten ja gerade schon die Strapazen erwähnt, die sich ja kaum vermeiden lassen, wenn man unterwegs ist. Dazu gehören auch Herausforderungen bei der Anpassung an ein ungewohntes Klima, das fremde Essen, die ungewohnte soziale Umgebung. All das kann sich auch auf die Gesundheit negativ auswirken. Allerdings sind die daraus resultierenden Effekte nicht generell ungesund, sondern abhängig vom Reisenden und den Belastungen und vom Zweck der Reise. Wer auf den Mount Everest will, wird fraglos ungesunde Aspekte für sein Ziel in Kauf nehmen.

In der Alpenregion erlebt der Gesundheitstourismus eine Renaissance – zumindest in den Köpfen der Touristiker. Entspricht das überhaupt einem Bedürfnis?

Ja und nein gleichermassen. Gesundheit ist ein ganz wichtiges Thema in den meisten westlichen Gesellschaften. Den Urlaub aber im Wesentlichen der Erhaltung oder Verbesserung der Gesundheit zu widmen – Gesundheit also quasi zum Ferienthema zu machen – findet tendenziell immer weniger Freunde. Urlaub soll immer weniger einem Zweck dienen, sondern sich eher „frei“ anfühlen. Es geht also weniger darum, Gesundheitsurlaube anzubieten, da sind die Marktchancen nicht gerade üppig. Es ist aber wichtig und erfolgversprechend, Produkte und Produktbestandteile anzubieten, die mit körperlicher und mentaler Gesundheit zu tun haben. Viel Bewegungsmöglichkeiten, perfekte Möglichkeiten zu entspannen, gesunde, regionale Küche usw.

Obwohl die Ferien tendenziell immer länger werden, scheint die Ferienzeit immer knapper zu werden. Sind die Konsumenten überhaupt bereit, Ferienzeit für ihre Gesundheit einzusetzen?

Nein, sind sie nicht, jedenfalls nicht in grosser oder wachsender Zahl. Gesundheit ist mehr Nebeneffekt als zentrales Urlaubsthema.

Touristiker beschwören das steigende Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung. Menschen aller Schichten würden sich der Selbstverantwortung mehr und mehr bewusst. Nun würden sie aktiv beginnen, etwas für ihre Gesundheit zu tun. Stellen Sie das auch so fest?

In der Entwicklung der touristischen Nachfrage in Deutschland ist eher das Gegenteil sichtbar. Das Gesundheitsbewusstsein wird eher im Alltag relevant, im Urlaub wollen manche ja gerade auch mal über die Stränge schlagen und auch die eigenen guten Vorsätze mal beiseitelassen. Dennoch (oder gerade deswegen?) haben die Ferien nachher positive Effekte auf gesundheitsförderliche Aspekte.

Was müssten die Anbieter in den Bergregionen ändern, um das Interesse der Konsumenten an Gesundheitsangeboten im Urlaub zu steigern?

Da kann man wirklich nicht alle über einen Kamm scheren, schon gar nicht aus einer externen Perspektive. Eine Empfehlung kann ich dennoch geben: realistische Kundenorientierung ist eine unbedingte Voraussetzung für erfolgversprechende Angebotsentwicklung.

Wie machen Sie persönlich am liebsten Ferien?

Ganz verschieden, was die Destinationen und Unterkünfte angeht, meist aber mit viel Bewegung, vor allem Wandern und das am liebsten in den Bergen. Am Strand liegen kann ich auch zuhause an der Ostsee.

 

 

Info

Der Ferienforscher Martin Lohmann (63) ist Professor für Wirtschaftspsychologie, insbesondere Tourismuswirtschaft und –psychologie an der Leuphana Universität in Lüneburg (D). Ausserdem leitet er in Kiel das NIT, Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa. Als Dozent lehrt er auch am MCI in Innsbruck und der Universität Bern. An der Konferenz «Gesundheit & Tourismus» vom 11. September im Kongress- und Kulturzentrum Pontresina stellt er Ergebnisse der aktuellen «Reiseanalyse 2019» vor, einer jährlichen Studie über die deutsche Tourismusnachfrage. Anmeldungen und weitere Infos gibts hier

 

(Symbolbild: Pixabay, Interview: zVg.)