Sie sorgen für ihre Eltern, für das behinderte Kind oder für die demente Partnerin. Sie kümmern sich aus Liebe, Zuneigung und Verantwortungsbewusstsein. Sie sind unverzichtbar, um den immer grösser werdenden Bedarf an Pflege- und Betreuungsleistungen längerfristig sicherzustellen, und sie sind zahlreich. Sie, das sind betreuende und pflegende Angehörige. Nach wie vor sind das mehrheitlich Frauen, auch bei uns in Graubünden. Schätzungsweise 6000 Menschen betreuen und pflegen Familienangehörige oder Verwandte. Zwei Drittel davon sind Frauen, ein Drittel Männer. Dazu kommt eine nicht zu unterschätzende Anzahl Kinder und Jugendliche, die sich oft im Verborgenen um kranke Eltern kümmern. Sie alle tragen eine Menge zu unserem Wohlstand bei und nehme dabei Benachteiligung in Kauf.
Betreuende Angehörige sind stark darin, für andere da zu sein. Zeit für sich selbst bleibt oft kaum mehr übrig. Das bringt viele an den Rand ihrer Kräfte und macht krank. Nebst Erschöpfung und Vereinsamung kommt es oft auch zu finanziellen Problemen, weil Betreuende im Beruf kürzer treten oder die Arbeitstätigkeit ganz aufgeben müssen. Es drohen ihnen finanzielle Einbussen, etwa in Form einer geringeren Rente. Sorgearbeit stellt heutzutage in der Schweiz ein Armutsrisiko dar.
Mit der Zunahme der Erwerbstätigkeit der Frauen müssen wir uns die Frage stellen, wer die unbezahlte Care Arbeit zukünftig leisten soll und wie die Nachteile hinsichtlich sozialer Absicherungen ausgemerzt werden können.
Wie können betreuende Angehörige wirksam unterstützt werden? Angehörige müssen die Möglichkeit haben, sich zu erholen, sich zu vernetzen, Erfahrungen auszutauschen und sich weiterzubilden, damit sie in ihrer Aufgabe gestärkt und bestärkt werden. Sie müssen einen einfachen Zugang zu nötigen Informationen haben. Sie brauchen jemanden, der zuhört und sie in schwierigen Situationen kompetent beraten kann. Sie müssen in Krisensituationen unkompliziert und flexibel auf Entlastungsangebote wie Tagestrukturen und Ferienbetten in Pflegeheimen zurückgreifen können. Sie brauchen Wertschätzung und die Haltung in Politik und Gesellschaft, dass ihre Arbeit nicht Privatsache ist, sondern eine unverzichtbare, gesellschaftliche Leistung. Über all das muss gesprochen werden. Deshalb findet jedes Jahr am 30. Oktober der Tag der pflegenden Angehörigen statt. Das ist die Gelegenheit, die unbezahlte Care-Arbeit ins Zentrum zu rücken und dafür zu danken.
Es besteht Handlungsbedarf. Das hat auch der Bund erkannt. Der Bundesrat hat dem Parlament 2019 eine Gesetzesvorlage mit drei handfesten arbeitsrechtlichen und versicherungstechnischen Massnahmen überwiesen
- Arbeitgeber sollen bei Kurz-Absenzen für die Pflege von Angehörigen zu einer Lohnfortzahlung verpflichtet werden.
- Eltern schwerkranker Kindern soll ein Pflegeurlaub von maximal 14 Wochen gewährt werden. Der Lohnausfall würde wie beim Mutterschaftsurlaub über das Erwerbsersatzgesetz finanziert.
- Der Anspruch auf Betreuungsgutschriften für die AHV soll ausgeweitet werden. Heute haben pflegende Angehörige darauf Anspruch, wenn die pflegebedürftige Person eine Hilflosenentschädigung für mittlere oder schwere Hilflosigkeit beansprucht. Künftig soll dies bereits bei leichter Hilflosigkeit gewährt werden.
Auch in Graubünden wird vorwärts gemacht. Der Kanton arbeitet mit verschiedenen bewährten Anlaufstellen, wie Pro Senectute, Alzheimer GR, Rotes Kreuz GR oder Palliativ GR zusammen. Zudem wird noch dieses Jahr eine kantonale Informationsplattform aufgeschaltet und Vernetzungsanlässe sind geplant. Als Vermittlungsstelle für alle Fragen der Angehörigen hat Curvita, der Verein für pflegende Angehörige, einen Leistungsauftrag des Kantons erhalten.
Das sind Schritte in die richtige Richtung, sie sind dringend und notwendig. Es braucht aber mehr. Damit Pflege und Betreuung zu Hause überhaupt möglich ist, braucht es im ganzen Kanton eine ausreichende medizinische Versorgung und genügend Spitex Leistungen, eine dezentrale ambulante Versorgung. Langfristig wird kein Weg an starken Gesundheitsversorgungsregionen vorbeiführen. Hier sind die Hausaufgaben noch nicht gemacht.
Es braucht alle. Der Staat alleine kann es aber nicht richten. In unseren Dörfern und Regionen braucht es das Stärken und Entwickeln einer positiven Sorgekultur. So wie es laut einem afrikanischen Sprichwort ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf – ein breites Unterstützungssystem – um Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, zu umsorgen. Gute Bespiele aus kleinen und grossen Gemeinden gibt es dazu. Besuchsdienste, gemeinsame Mittagessen und Aktivitäten vor Ort, entlasten Angehörige bei ihrer anspruchsvollen Aufgabe, damit der Wunsch vieler älterer und kranker Menschen in Erfüllung geht, nämlich möglichst lange zu Hause leben zu können.
(Bild: GRHeute)