Die Terroranschläge in Paris haben im Grunde nur eins gezeigt: Die Welt und Europa hat den Krieg. Ob wir das wollen oder nicht. Wenn sich zwei Gruppen gegenüberstehen und die eine will um jeden Preis eine Auseinandersetzung mit der andern, dann lässt sich diese nicht verhindern.
Wie schon bei 9/11 schwankt die Gemütslage in den Tagen danach auf einem Spektrum zwischen «Jetzt wird zurückgeschlagen» und «Jetzt bloss nicht zu impulsiv reagieren». Die Solidaritätsbezeugungen auf der ganzen Welt – von Schweigeminuten an Sportanlässen in Samoa über tausendfache Profil-Bild-Einfärbungen auf Facebook – zeigen, dass die Welt an sich geeint ist, gegen den Terror ankämpfen zu wollen. Nur wie das gehen soll, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Geht man den harten Weg und wählt den «traditionellen» Krieg (sprich auch Einsätze von Bodentruppen), würde dies sicher kein kurzes Abenteuer werden. Im Gegenteil: Es wäre vielleicht möglich, einen «Krieg» gegen aussen zu gewinnen – à la Irak. Das Problem, in den betroffenen Regionen noch verhasster zu werden und damit noch mehr Kollateralschäden herauf zu beschwören, wäre allerdings ein Fass ohne Boden und würde möglicherweise auf jahrzehntelange Intervention ohne Erfolgsgarantie hinauslaufen.
Neben den Verfechtern einer harten Linie gibt es auch eine ganze Lawine von Beschwichtigern, die befürchten, dass jede kleinste Reaktion einen Bumerang-Effekt auslösen könnte. Zu einem guten Teil ist bei diesen Stimmen auch ein Verdrängungseffekt erkennbar. Bloss kein Krieg, nicht noch mehr Tote, bloss nicht überreagieren, mit gemeinsamer Solidarität und Einheit antworten – das die schön klingenden Worte derjenigen, die eine Tatsache nicht wahrhaben wollen: Was man auch immer auf friedlichem Weg versuchen wird, das Problem wird nicht von selbst weggehen, ganz gleich, wie nett wir sein werden. Die IS ist nicht mehr nur eine etwas grössere RAF, der man in den 70er Jahren mit gesellschaftlicher Ächtung den Schneid abkaufen konnte. Zu gross sind die Reihen der islamistischen Gotteskrieger, zu entschlossen sind die gefährlichen Massen, und zu weit weg (oder zu nah), um sie identifizieren oder orten zu können.
Die Haltung, dass wir in Zukunft mit Terroranschlägen wohl einfach leben müssen, ist inakzeptabel. Klar, müssen wir davon ausgehen, dass Europa in Zukunft noch öfters ins Mark getroffen wird. Dass wir uns mit diesem Gedanken aber arrangieren sollten, darf keine Option sein.
Europa hat bös gesündigt in der Vergangenheit: Die Kolonisierungen haben in vielen Regionen der Welt einen üblen Boden gesät. Dazu kommt, dass wir den Schaden als Anhängsel des dominanten kulturellen Bruders USA in den letzten 50 Jahren noch vergrössert haben. Trotzdem ist die Vergangenheit keine Rechtfertigung für die Täter von heute, die erlittenen Demütigungen mit Terror zu revanchieren. Das wäre, wie wenn Israel wegen des Holocausts Deutschland angreifen würde und man dies aus schlechtem Gewissen akzeptieren müsste. Unmöglich!
Eine Tatsache sollte heute allen klar sein: Wir müssen uns auf einen jahrzehntelangen Kampf einstellen, der uns möglicherweise auch alle überleben wird. In erster Linie werden in Europa wohl ‹Law and Order› ausgebaut und gestärkt. Mehr Kontrollen sollen die Schweiz und Europa sicherer machen, es «drohen» amerikanische Zustände. Komfortabel ist das für die EinwohnerInnen nicht, aber – wie die USA zeigt – hilft der Schutzmantel ein wenig. Im Gegensatz zu den USA haben die Terroristen in Europa aber faktisch freien Zugang, ob mit oder Grenzkontrollen. Es kann deshalb keine Lösung sein, sich nur mit Kerzen und humanistischen Musenalp-Sprüchen Mut zu machen und in Schockstarre auf den nächsten Schlag zu warten.
«Wenn du auf die linke Wange getroffen wirst, dann halte auch die rechte hin», tönt zwar auch heute noch edel. Und ja, es gibt die Mahatma Ghandis und Dalai Lamas, die mit ihrer Gelassenheit und ihrem gewaltlosen Widerstand Erfolge feierten. Angesichts der Brutalität der IS – man denke nicht nur an die Terroranschläge, sondern auch an die inszenierten Enthauptungen der letzten Jahre – fehlt mir allerdings der Glaube, dass dies die richtige Strategie im Umgang mit der IS ist.
Europa ist das nicht. Viel eher wirkt Europa zurzeit wie ein Rudel Schafe, das sich ganz nah aneinender drängt, wenn wieder mal ein Wolf im Revier aufgetaucht ist. Man betrauert und solidarisiert sich mit dem letzten gerissenen Schaf und hofft darauf, auch beim nächsten Mal in der Masse untertauchen zu können und verschont zu werden.
Was Europa braucht, sind keine wortstarken Mutterschafe, sondern ein paar eigene Wölfe – oder zumindest Hirtenhunde -, die der Entschlossenheit der Terroristen die Stirn bieten.
(Bild: Gerard Cazade/EQ Images)