Ein Kommentar zur Flüchtlingskrise von alt-Ständerat Christoffel Brändli.
2011 prägte die FDP bei rund 20’000 Asylgesuchen den Begriff «Asylchaos». Als die SVP in diesem Jahr bei über 30’000 Asylgesuchen diesen Begriff aufnahm, wehrten sich die andern Parteien inklusive FDP gegen diesen Begriff mit den Worten: «Populistisch, typisch SVP, es gibt kein Asylchaos!», tönte es bei den andern Parteien. Dabei schrieb die FDP noch 2011 durchaus Kluges zur Asylsituation, wie es das seinerzeitige Pressecommunique der FDP zeigt: «Im Asylbereich herrscht Chaos. Der Vollzug ist faktisch kollabiert. Asylverfahren dauern Jahre und verunmöglichen den Vollzug bei negativen Entscheiden. Die meisten Probleme sind rein organisatorisch und können rasch behoben werden. Eine Gesetzesänderung dazu ist nicht nötig.»
Neues Gesetz statt Vollzug
Das war vor den Wahlen 2011. Statt die Probleme in der Folge anzugehen, hat man sie weiter vor sich hergeschoben. Mit einer sehr fragwürdigen Gesetzesrevision versucht man nun, den Eindruck zu erwecken, man packe die Probleme an. Neu wird sogar behauptet, diese Revision bringe die lang verlangten raschen Verfahren. Das ist natürlich Unsinn: Die Verfahren können heute schon rascher abgewickelt werden. Es geht hier um ein Vollzugsproblem, nicht um ein gesetzgeberisches Problem. Der neue Gesetzesentwurf sieht nun vor, dass jedem Flüchtling ein Gratisanwalt zur Seite gestellt wird, um seine Position zu stärken. Das ist vielleicht das bisher grösste Arbeitsbeschaffungsprogramm für Anwälte, bestimmt aber kein Konzept zur Beschleunigung der Verfahren. Zudem soll das EJPD berechtigt werden, Enteignungen durchzuführen, um Flüchtlinge unterzubringen. Parlamentarier liebäugeln schon damit, Hotels zur Unterbringung der Flüchtlingsströme zu enteignen.
EU und Deutschland verantwortlich
Die heutigen Flüchtlingssröme nach Europa sind nicht zufällig entstanden. Die EU sowie die Grossmächte haben es unterlassen, vor Ort Hilfe zu leisten und zur Eindämmung der kriegerischen Ereignisse die notwendigen Massnahmen zu treffen. Erst in jüngster Zeit ging man zaghaft daran, die Türkei und andere Länder vor Ort bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme zu unterstützen. Das ist ein Anfang, auf den richtigen Weg zu kommen. Er steht im Gegensatz zur unsinnigen Einladung von Bundeskanzlerin Merkel an alle flüchtenden Menschen nach Deutschland bzw. in die EU zu fliehen. Das Debakel dieser Akündigung hat sich dann auch sehr rasch in Deutschland eingestellt. Mit rigorosen Massnahmen versucht man gegenwärtig die Fehlentwicklung zu korrigieren: konsequentes Abweisen an der Grenze all jener, die sich nicht auf den Flüchtlingsstatus berufen können und Verteilung der Ankommenden auf andere Länder. Dabei nimmt man in Kauf, das Dublin-Abkommen krass zu verletzen. Begrenzung der Zuwanderung wird offensichtlich in der EU, wenn es um die eigenen Interessen geht, plötzlich salonfähig!
Schweiz auf Merkelkurs
Und was tut die Schweiz? Sie lässt Bundesrat Ueli Maurer mitteilen, dass in den Schweizer Kasernen Platz für 50’000 Flüchtlinge bereit stehen. Die Justizministerin taucht ab oder gibt sich – wie Frau Merkel – als gute Gastgeberin gegenüber den Flüchtlingen. Man lässt die Grenzen offen und vermeidet kritische Stimmen. Diese offizielle Haltung der Schweiz hat mit dazu beigetragen, dass vor einer Woche innert vier Tagen über 1400 neue Flüchtlinge in unser Land kamen.
Das Bundesamt beschönigt: Übers Jahr werden es statt der erwarteten 32’000 insgesamt 34’000 Flüchtlinge sein. Nachdem Deutschland Flüchtlinge nun auch in die Schweiz abschiebt – viele kommen entgegen dem Dublin-Abkommen aus Deutschland –, zeigt sich, dass die Schweiz es verpasst hat, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um die Flüchtlingsströme in geordnete Bahnen zu lenken. Es braucht keine Mathematiker, um die Zahl der anreisenden Flüchtlinge hoch zu rechnen, wahrscheinlich wird sie zwischen 50’000 und 100’000 Personen liegen.
Alle mit dem Recht, von einem Gratisanwalt den Aufenthalt in der Schweiz durchzusetzen.
Lösungsansätze bestehen
In der politischen Diskussion sind dabei immer wieder gute Ansätze zur Diskussion gestellt worden, um der Situation Herr zu werden. Insbesondere geht es um folgende Punkte:
- Echte Flüchtlinge gemäss Genfer Konvention: Hier ist ein Asylverfahren durchzuführen.
- Flüchtlinge, die aus einem EU-Land zu uns kommen: Hier ist das Dublin-Abkommen konsequent durchzusetzen. Das heisst, die Flüchtlinge sind an das Land, aus dem sie kommen, zurückzuweisen.
- Flüchtlinge, die aus einem sicheren Drittstaat kommen: Diese sind konsequent zurückzuführen.
- Flüchtlinge, die vorübergehend nicht in ihr Land zurück können, z.B. Syrer. Ihnen ist ein vorläufiger, befristeter Aufenthalt zu gewähren. Auf keinen Fall dürfen bei dieser Gruppe unterstützt von Gratisanwälten komplizierte Asylverfahren eingeleitet werden.
- Im Verbund mit andern Ländern sind Massnahmen zu treffen, um die Flüchtlingslager in den Ländern im Umfeld der Kriegsgebiete, z.B. in der Türkei, massiv zu unterstützen.
Strategie rasch ändern
Man spürt heute weinig Aktivitäten, um die Flüchtlingsströme in geordnete Bahnen zu lenken, vielmehr nimmt man eine Strategie wahr, die bei Personen in asiatischen und afrikanischen Ländern die Hoffnung weckt, in Europa das Paradies anzutreffen. Die damit ausgelöste Völkerwanderung ist in vielfacher Hinsicht bedenklich: Einerseits führt sie in den Zuwanderungsländern zu enormen Spannungen und einem Vollzugschaos, anderseits – weil vor allem die gut ausgebildeten Personen abwandern – zu einem Vakuum in diesen Ländern, die einen Wiederaufbau fast unmöglich machen. Marschallpläne zum Wiederaufbau sind nur möglich, wenn vor Ort auch die notwendigen Fachkräfte zur Verfügung stehen.
Die Schweiz braucht dringend eine Strategie, um das Chaos, das wahrscheinlich in den nächsten Monaten noch viel grösser wird, zu bewältigen. Es bestehen grosse Zweifel, dass der Wille dazu im Bundesrat und im Parlament besteht. Vielmehr schiebt man die Lösung der Probleme einmal mehr weiter vor sich hin, übt sich in unnötigen Gesetzesrevisionen und weigert sich, im Vollzug endlich Schritte voran zu machen.
Warnungen werden nicht ernst genommen
Deutschland hat in den letzten Wochen erlebt, was es bedeutet, in dieser Frage nicht konsequent zu handeln. Nachdem man in unserem Nachbarland allmählich auf die Welt kommt, besteht die grosse Gefahr, dass sich die Flüchtlingsströme in die Schweiz verlagern. Dies umso mehr, als an den Grenzen nur ungenügende Vorkehrungen für rasche Entscheide getroffen wurden.
Die Warnungen im Inland werden dabei konsequent in den Wind geschlagen. Solange man auf die SVP einschlagen kann, die eine andere Meinung vertritt als die andern Parteien, meint man offenbar, genug zu tun. Dabei ist klar: Wären die Wahlen nicht am 18. Oktober gewesen, sondern drei Monate später, würde die Quittung für das Unvermögen in Bern noch wesentlich krasser ausfallen. Wann erkennt man in Bern endlich, dass es hier nicht um die Verbreitung populistischer Ideen, sondern um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einem Problem geht, das unsere Bevölkerung mit grösster Sorge erfüllt?
(Bild: Flüchtlinge in Kroatien warten auf die Weiterreise nach Westeuropa – EQ Images/Davor Puklavec)