Dies ist eine Blogbeitrag der HTW Chur.
Auf den ersten Blick scheint die Digitalisierung im Tourismus weniger fortgeschritten zu sein als in anderen Branchen. Während das Schlagwort Industrie 4.0, welches die Automatisierung von Prozessen, die Vernetzung von Dingen bzw. Organisationen und die systematische Nutzung von grossen Datenmengen beschreibt, längst etabliert ist, hat die Tourismusindustrie kein entsprechendes begriffliches Pendant zu bieten. Nach wie vor schaut diese kleinstrukturierte Dienstleistungsbranche neidvoll auf die technologischen Entwicklungen in Produktion und Handel sowie auf das Innovationstempo, das die Big Five (Google, Apple, Amazon, Facebook und Microsoft) vorgeben. Dabei hält die Digitalisierung gerade für jene kleinen Tourismusunternehmen, die sich heute noch als Zaungast fühlen, ein enormes Verbesserungs- und Vernetzungspotential bereit.
Von der Inspirations- bis zur Reflexionsphase haben sich entlang der gesamten Customer Journey mittlerweile viele nützliche Tools und Best Practices entwickelt, die es zu nutzen gilt. Sowohl am Frontend im Kontakt mit dem Gast, als auch im Backend bei den innerbetrieblichen Prozessen existiert eine Vielzahl möglicher Aktionsfelder zur Digitalisierung, welche in ihrer Gesamtheit als Tourismus 4.0 die Branche tiefgreifend revolutionieren werden.
Am meisten fortgeschritten ist die technologische Entwicklung sicherlich beim digitalen Marketing & Sales, in den Phasen vor der Buchung rund um die Informationssuche und Reiseplanung. Die leichte Auffindbarkeit und ansprechende Präsentation des eigenen Angebotes sind dabei zentrale Treiber. Dementsprechend viele Media-Agenturen bieten ihre Dienste für Webdesign, Suchmaschinenoptimierung, Content-Produktion, Online Marketing und Social Media Marketing an. Damit das Agenturbriefing stimmt oder selbst die richtigen Schritte unternommen werden können, bedarf es einer genauen Kenntnis der anvisierten Zielgruppen. Eine solche Market Intelligence kann nur erwachsen, wenn entlang der Customer Journey an allen Kontaktpunkten die Kunden- und Besucherdaten aufgezeichnet, systematisch analysiert und idealerweise mit denen anderer Leistungsträger vernetzt werden. Big Data, also «dumme Daten», alleine nützen nichts. Es kommt darauf an die richtigen Fragen zu stellen, um diejenigen Auswerteroutinen anzustossen, welche zu nachhaltigen Service Innovationen führen.
In der Buchungsphase kommen je nach Branche unterschiedliche Tools und Plattformen zum Einsatz. Die Zahl der Systemprovider und wichtigen Portale bleibt aber überschaubar und demgemäss entstehen hohe Abhängigkeiten, aus denen man sich nur durch attraktive Direktbuchungsmöglichkeiten und zusätzlichen Incentives lösen kann. Das richtige Pricing stellt eine besondere Herausforderung dar. Nur wer mittels smarter Tools zeitnah auf solide Markt- und Wettbewerbsinformationen zurückgreifen kann, wird seine Systeme richtig kalibrieren können, damit von Nachfragespitzen besonders profitiert werden kann, ohne wertvolle Stammkunden zu verärgern. Mit der Buchbarkeit auf möglichst allen Kanälen und dem Angebots-Packaging wachsen ebenfalls die Anfordernisse an die Vernetzung der internen und externen Systeme mit geeigneten Schnittstellen. Was in der Industrie als Industrial Data Space (IDS) schon längst Standard ist, fehlt im Tourismus noch weitgehend. Die Branche kämpft vielerorts mit Insellösungen von Kleinstanbietern, die kaum weiterentwickelt und schlecht supportet werden. Eine Initiative zu einem einheitlichen Tourism Data Space (TDS) und mehr Open-Source-Lösungen täte hier Not.
Beim Erleben vor Ort werden abgesehen von einzelnen, meist wenig komfortablen Apps und digitalen Gästekarten die Möglichkeiten der digitalen Unterstützung zur Perfektionierung des Gästeaufenthaltes und zur nahtlosen Zusammenarbeit der Leistungsträger entschieden zu wenig genutzt. Das heisst nicht, dass alle Ferienfreuden etwas Digitales haben müssen, setzt aber ein gelungenes Produkt- und Servicedesign voraus, das ein reibungsloses Wechselspiel von analogen und digitalen Touchpoints ermöglicht. Deutlich zu wenig Beachtung wird der Optimierung der internen Prozesse durch die Vernetzung der Betriebe beim Einkauf und beim Personaleinsatz geschenkt. Mit digitalen inputseitigen Kooperationen bei der Waren- und Personalbewirtschaftung können enorme Einsparpotentiale ausgeschöpft und die Fixkostenbasis dauerhaft gesenkt werden, ohne dass die Servicequalität leidet. Im Gegenteil, durch die digitale Unterstützung bei der Prozessautomation entstehen für die Gastgeber beachtliche Freiheitsgrade, die es erlauben mehr Zeit für die persönliche Betreuung der Kunden zu haben.
Bewertungsplattformen bieten zwischenzeitlich mehr als nur Gästekommentare und Noten in Form von Sternen und Punkten. Mit ihren integrierten Such- und Vergleichsmöglichkeiten und Dialogfunktionen dienen sie als wichtiges Instrument im Online-Marketing und bedürfen besonderer Aufmerksamkeit jedes Leistungsanbieters, damit die Onlinereputation stimmt. In der Phase des Bewertens und Reflektierens kommt es besonders darauf an, dass der Informationsfluss aus den Bewertungen nach innen gewährleistet ist. Mit einer detaillierten Aufbereitung der Feedbacks in einem digital gestützten strategischen Führungssystem lassen sich Fortschritte erzielen, um echte kundenzentrierte Produkte und Dienstleistungen zu kreieren und somit Wettbewerbsvorteile aufzubauen.
Das Voranbringen der digitalen Transformation im Tourismus 4.0 ist nicht nur Aufgabe einiger Weniger, sondern muss alle Mitarbeitenden in den Unternehmen involvieren, um zu nachhaltigem Erfolg zu führen. Von den Betriebsinhabern und Führungskräften wird deshalb Voraussicht und Digital Leadership verlangt, um die Aktionsfelder im Tourismus 4.0 zu überblicken und zu verstehen, wie mittels geeigneter digitaler Strategien die Klaviatur der einzelnen Aktions-Buttons richtig gespielt werden kann. Um eine perfekte Konzertierung der Massnahmen zur Digitalisierung zu erreichen, wird es ein Weg der kleinen Schritte sein, den man selbst mit gut aus- und weitergebildeten Mitarbeitenden gehen muss, welche ihre digitale Mitgestaltungskompetenz entfalten können und dürfen. Darauf zu warten, dass in einem Big Bang die digitale Transformation des Unternehmens mit Hilfe eines Lösungsanbieters von aussen gelingt, ist jedenfalls ein Trugschluss.
Wollen Sie mehr über Tourismus 4.0 erfahren, dann besuchen Sie uns an unserer Digitaltour in Chur, Davos, Samedan, Laax oder Scuol oder bilden Sie sich mit dem CAS Tourismus 4.0 weiter.
Norbert Hörburger ist am Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) als stellvertretender Leiter Forschung & Dienstleistung sowie als Leiter Weiterbildung beschäftigt. Er ist für den Aufbau des Weiterbildungsangebots CAS Tourismus 4.0 verantwortlich, das im Mai 2019 startet.
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