Die Rhätische Bahn hat an ihrer Generalversammlung in Pontresina die Churer FDP-Grossrätin Vera Stiffler in den Verwaltungsrat gewählt. Ihre Heimreise geriet zu einem Triumphzug.
«Ich bin einfach nur happy», sagt Vera Stiffler irgendwo zwischen Pontresina und Chur. «Das Schönste, was man mir gesagt hat, war: willkommen zurück.» Auch Verwaltungsratspräsident Stefan Engler hatte ihr das gesagt, irgendwann am Nachmittag vor 388 Aktionärinnen und Aktionären im Kultur- und Kongresszentrum Pontresina. In einem früheren Leben war Vera Stiffler Leiterin Marketing-Kommunikation bei der RhB. Deshalb auch: «Willkommen zurück.»
Vera Stiffler wurde vom Kanton als Verwaltungsrätin vorgeschlagen. Vor zwei Monaten bekam sie einen entsprechenden Anruf. «Ich habe sofort zugesagt», sagt sie irgendwo zwischen Pontresina und Chur. RhB-Direktor Renato Fasciati war zwar nicht den Prozess involviert, glaubt aber, dass sie wegen ihrer Kompetenz in Marketing und Kommunkation angefragt wurde. «Wir haben für alles Spezialisten», sagt Renato Fasciati. «Wir haben Juristen, wir haben Infrastruktur-Fachleute, und jetzt eine Spezialistin für Marketing und Kommunikation.»
«Ich habe mich, als man Frauen für Kommissionen suchte, gemeldet», sagt Vera Stiffler irgendwo zwischen Pontresina und Chur. «Ich habe mir gesagt, ich könne ja nicht eine grosse Klappe haben und mich dann nicht melden.» Ob sie wegen ihrer Kompetenzen gewählt wurde oder ob sie gewählt wurde, weil sie eine Frau ist, weiss Vera Stiffler auch nicht. «Ich hoffe nur, dass ich nicht einfach nur die Frau im Verwaltungsrat bin.»
Vera Stiffler hat zu ihrer Wahl einen Blumenstrauss bekommen; er identifiziert sie auf dem Weg zum Bahnhof und im Zug nach Chur bei allen als «die neue im Veraltungsrat». Es ist wie ein grosser Bahnhof, wie er sonst von langer Hand für Bundesräte geplant wird, die in ihrer Heimatstadt gefeiert werden. Der grosse Bahnhof in Pontresina entsteht spontan: Viele gehen auf Vera Stiffler zu, schütteln ihr die Hand. «Endlich wieder eine Frau im Verwaltungsrat», sagt eine andere Frau. «Ja», sagt Vera Stiffler. «Ich habe das genossen», sagt sie später, irgendwo zwischen Pontresina und Chur. «Es ist wirklich wie heimkommen.»
Ein Steinbock auf Schienen
Pontresina hat ein Wahrzeichen: Die Steinböcke, die im Frühsommer auf Tuchfühlung zur Bevölkerung gehen. «Wir haben ein spezielles Verhältnis zum Steinbock», sagt Stefan Engler zu Beginn der Generalversammlung. «Er ist der Inbegriff des Hochgebirges und hält allen Widerständen stand.» Es brauche wenig Fantasie, um die Verwandtschaft zwischen Tier und Mensch auszumachen. Und neu ist das Wappentier Graubündens auch mit den Maschinen verwandt: Das neue Rollmaterial, das ab nächstem Jahr auf der Schmalspurbahn im Kanton unterwegs ist, trägt den Namen Capricorn. Steinbock.
Hätte der britische Schriftsteller John Ruskin vor über 100 Jahren anders geschrieben, wenn er gewusst hätte, dass einst ein Steinbock auf den Schienen fahren würde? «Eine Fahrt mit der Eisenbahn kann ich nicht empfehlen, man fühlt sich dabei wie ein Paket», zitiert Regierungsrat Mario Cavigelli John Ruskin, und fügt an: «Was ist erlebnisreicher: Die Fahrt hier her oder die Generalversammlung selbst? Diplomatisch könnte man sagen: Beides.» Die RhB sei ein innovatives Unternehmen.
Es ist eine RhB-Generalversammlung wie im Bilderbuch; der Bayrische Rundfunk war da und machte Filmaufnahmen, die Aktionärinnen und Aktionäre sind im Begriff, alles durchzuwinken: Jahresrechnung, Wahl des Verwaltungsrats, Décharge. Doch dann erhebt sich die Stimme eines zornigen Mannes: «Der Geschäftsbericht ist nichts als ein Hochglanzbericht mit Selbstbeweihräucherungen. Fake News!» Er verweist auf die Doppelrolle von Stefan Engler als Verwaltungsratspräsident der RhB und als Verwaltungsrat des Baugeschäfts Lazzarini, das in den Skandal um das Baukartell verwickelt ist.
Stefan Engler und auch Renato Fasciati erklären, was sie schon einige Male erklärt haben: Dass Stefan Engler immer in den Ausstand getreten ist, noch nicht mal bei Beratungen dabei war und das Zimmer verlassen hat. Dass verschiedene Arbeiten billiger waren als der Kostenveranschlag vermuten hätte lassen. Dass es nach bisherigem Kenntnisstand keine Garantieren gibt, dass die RhB nicht betroffen ist, weil die Weko entsprechende Anfragen bisher nicht beantwortet hat. Und dass Stefan Engler zum Schutz der RhB und allfälligen Interessenkonflikten per 31. Mai aus dem Verwaltungsrat der Lazzarini ausgeschieden ist. «Die Anschuldigungen werden durch das Aussprechen nicht wahrer», sagt Renato Fasciati.
Dann werden die Anträge doch noch durchgewunken. Die Jahresrechnung wird genehmigt, dem Verwaltungsrat die Décharge erteilt. Neben Vera Stiffler werden Martin Büttikofer und Renzo Simoni in den Verwaltungsrat gewählt. Hans-Jürg Spillmann, Benno Burtscher und Heinz Dudli werden verabschiedet.
Auf dem Vorplatz spielt zum Abschied die RhB-Musik. Es gibt Fleisch, Käse, Wein und Bier. Im Zug von Pontresina nach Chur verteilen Hostessen Mineralwasser. Vera Stiffler hat ihre erste Sitzung im Verwaltungsrat am 20. Juni.
(Bilder: swiss-image.ch/Andy Mettler)