Auf dem Julierpass fand die Premiere der diesjährigen Passionskonzerte statt. Origen lud zu einem meditativen Konzertabend mit Sakralmusik der Renaissance und zeitgenössischen Kompositionen. Die Inszenierung im Roten Turm lehnte sich an alte kultische Formen an, liess das Sängerensemble auf der schwebenden Bühne förmlich ins Grab sinken. Die Konzerte werden bis Freitag gegeben – und sind ausverkauft.
Mit den gestern begonnen Passionskonzerten beschliesst Origen die Wintersaison am Julierpass. Die Idee ist einfach und bestechend: die erwachende, stürmische Natur des Bergfrühlings bildet den Hintergrund für ein vokales Programm, das von Tod und Auferstehung erzählt. Der Julierturm mit seinen hohen Logenfenstern verbindet die sakrale Musik mit der grossartigen Landschaft am Pass und erschafft ein einzigartiges Zusammenspiel von Natur und Kultur. Am Premierenabend spielte das Wetter mit: wer aus Chur kommend auf den Julier fuhr, erlebte das Phänomen Wetterscheide. Auf der Nordflanke wurde Sturmschnee geboten, auf dem Pass lichtete sich der Himmel und zeigte einen prachtvollen Sonnenuntergang.
Neuinterpretation von sakralen Riten zur Karwoche
Intendant Giovanni Netzer führte in den Abend ein und sprach von der sakralen Symbolik der Karwoche, etwa von der Karmette, den sogenannten „Tenebrae“, in denen Kerzen sinnbildlich für den erwarteten Tod Jesu in strengem Ritual gelöscht werden. Einzig die Christuskerze brennt bis zum Ende der Karwoche weiter. Wenn der Erlöser seinen Kopf zum Sterben neige erlösche auch das letzte Licht. – Netzer interpretiert den Ritus neu. Vom Tod Jesu und vom damit verbundenen kosmischen Ende der Welt erzähle die echte Sonne, die hinter den Schneebergen untergeht und den Turm in Dunkelheit hüllt. Die Kerzen lässt der Liturgiewissenschaftler bis zum Ende des Konzertes brennen, als Zeichen der Hoffnung, die sich im Gesang zur Fusswaschung, dem „Ubi caritas ed amor“, spiegelt. Das sorgfältig gestaltete Licht im Turm (Jorge Bompadre) spielte mit der Dämmerung und verwandelte den Innenraum zusehends in ein surreales, von Wolkenschatten übersätes Labyrinth.
Musik der englischen und spanischen Renaissance
Das Vokalensemble unter der Leitung von Maximilian Vogler sang sakrale Werke der Renaissance von Tomas Luis de Victoria, Alfonso Ferrabosco, Giaches de Wert und durchsetzte sie mit Kompositionen zeitgenössischer Tondichter, etwa dem Gesang „Most holy mother of God“ von Arvo Pärt oder dem „Ubi caritas“ von Ola Gjeilo, einem jungen norwegischen Komponisten, der in Amerika lebt. Dem fünfköpfigen Vokalensemble gehören Maximilian Vogler, Johannes Hill, Martin Logar, Florian Sievers und Sönke Tams Freier an. Die Sänger interpretierten die Vokalwerke in szenischer Einfachheit und höchster Konzentration, einander zugeordnet, auf einer kreisförmigen Bank. Die Bühne war von Kerzenlicht erleuchtet und senkte sich, in symbolischen Dreierschritten, dem Turmboden zu. Das Publikum, das für die Passionskonzerte ausschliesslich in den drei oberen Turmrängen platziert war, sah die Bühne förmlich in der Schwärze der Nacht verschwinden – ein bildhaft umgesetztes „ins Grab sinken“, das vom Tode Christi und vom Untergang der Welt erzählt, ohne aufgesetzte Theatralik, aber mit der starken Hoffnung auf die ein Weiterleben der Schöpfung am Ende der Tage.
Weitere Informationen gibt es unter www.origen.ch
(Quelle/Bild: zVg