Susanna Fanzun – von A bis Z dabei

Es ist bitterkalt an diesem Märznachmittag. Der Wind bläst ins Gesicht, das Thermometer zeigt weit unter Minus 15 Grad an. Die Sonne steht schon tief und wird bald untergehen. Susanna Fanzun hat sich Zeit genommen, um über ihre Arbeit und Projekte zu sprechen. Damit wird sie auch  von sich erzählen. 

Die spannenden Geschichten sind vor der Tür
Sie kommt gerade von Dreharbeiten zu einer Dokumentation über den Künstler Gaudenz Signorell, der zur Zeit eine grosse Ausstellung im Bündner Kunstmuseum hat, zurück. 

Im 2015 gelang der freischaffenden Regisseurin, Autorin und Filmemacherin mit „Kühe, Käse und drei Kinder“ ein kleines Meisterwerk, das ihr schweizweit und über die Landesgrenzen hinaus Aufmerksamkeit bescherte. 

„Damit hatte ich nicht gerechnet“, sagt sie heute.

Reisen bildet und inspiriert
Die Engadinerin reiste in jungen Jahren viel in der Welt umher. USA, Europa und Indien waren einige Stationen. „Indien war für mich als junge Reisende ein flash, farbig, stark in den Gerüchen,“ blickt Fanzun zurück. Dort reiste sie mit einer Freundin und traf auch die Künstler Steivan Liun Könz und Cesare Ferronato. Das Leben im fernen Lande liess sie die Heimat und das Verhältnis zu ihrer Kindheit ganz neu erfahren. Erlebnisse der damaligen Zeit setzt sie heute in ihrem aktuellen Projekt gekonnt als Stilmittel ein. 

Im 2001, zum 100 Jahr Jubiläum von Alberto Giacometti, erstellte Fanzun den kurzen Dokumentarfilm „Nos Alberto“ für ihren damaligen Arbeitgeber RTR. Seither liess sie die Idee, einen Film über die Künstlerfamilie zu machen, nicht mehr los. Seit 5 Jahren arbeitet sie an der Geschichte für einen Kino-Dokumentarfilm.

Unter anderem wird in dem Film der Frage nachgegangen, welche Bedeutung die Familie, der Zusammenhalt und die Familienkultur der Giacomettis auf das Gelingen der Künstlerkarrieren der Kinder hatte. Es ist für Fanzun beeindruckend, dass aus einer Familie und einem Bergtal so viele Talente hervorgegangen sind. Sie zitiert die Sozialwissenschaftler Andreas Lange und Kurt Lüscher, welche konstatieren: „Die Familie ist der bevorzugte Ort der Entstehung von Humanvermögen“. Das treffe bei der Familie Giacometti in besonderem Masse zu.

„Was ist das für eine Familie, die einen Alberto hervorgebracht hat?“, ist eine Leitfrage für Fanzun. «Die Familie ist prägend für einen Menschen. Das gesamte Ambiente selbiger begleitet uns in irgendeiner Form ein Leben lang.» Das schwingt mit, wenn Fanzun von ihrer Familie erzählt. Vom Leben in Chur und im Engadin. Dann wird deutlich, wie wichtig die Familie auch für sie als Ehefrau und Mutter zweier Teenager ist. 

Ebenso wird im Film der Frage nachgegangen, was die Heimat, das Bergell, ein raues Bergtal, für Chancen aber auch Erschwernisse für die Jugend, früher wie heute birgt.

Vor gut fünf Jahren interviewte Fanzun den 2016 verstorbenen Schweizer Fotografen Ernst Scheidegger. Er war nicht nur Fotograf, sondern auch Freund von Alberto Giacometti, der in seinem Pariser Atelier ein und aus ging. Das war der Start zu ihrem neuen Dokumentarfilm über die Künstlerfamilie Giacometti. Fast zeitgleich machte Fanzun  sich dann mit ihrer Firma Pisoc Pictures selbstständig.  

Grosse Motivation bei Freischaffenden
Susanna Fanzun schätzt die Selbstständigkeit nach wie vor und liebt dabei auch die Phasen der Arbeit im Team. Die Arbeit mit Toningenieuren, Produzenten, Schnitt, Kamermännern und – frauen, all das sei wie eine Seilschaft. „Ich schätze die Motivation bei freischaffenden Kolleginnen und Kollegen sehr. Sie setzen sich über ihre Aufgabe hinaus ein, denken mit. Das Team ist ganz wichtig für den kreativen Prozess“, meint Fanzun. Auf die Frage, ob es nicht auch zu Schwierigkeiten in einem solchen Prozess kommt, sagt sie: „Das ist der gute Moment, wenn es schwierig wird. Dann frage ich mich, wie überzeuge ich ihn oder sie jetzt? Und wo muss ich dann von meiner Idee ablassen und loslassen?“

Immer wieder blitzt die Begeisterung von Fanzun bei ihren Erläuterungen auf. „Ich liebe auch die ruhigen Phasen des Projektes, die den grossen Teil der Arbeit ausmachen. Die Recherche, das Entdecken, die Kontakte mit noch lebenden Zeitzeugen, das sich Vertiefen in der Literatur, im sehr unterschiedlichen künstlerischen Werk der Giacomettis.“ Bei der Erarbeitung des Produktionsdossiers arbeitet sie eng mit ihrer Mitarbeiterin in der Produktion zusammen. Der grosse kreative Prozess ist das Schreiben der Drehvorlage.  Das passiert im stillen Kämmerlein. „Das ist eine ruhige und intensive Phase. Da geht es nicht nur darum, Entdeckungen und Informationen zu vermitteln. Es geht um das Gefühl, das in der Luft schwebt. Das ist es, was die Geschichte und letztlich das Projekt vorantreibt.“

Das Projekt muss überzeugen
Begeisterung braucht es schliesslich auch bei der Finanzierung ihrer Projekte. Filme zu produzieren ist sehr teuer und ohne Geld kann man keine Filme machen. „Am Ende muss das Projekt überzeugen. Ich freue mich enorm, wenn ich sehe, dass der Funke überspringt und Menschen wertvolles Geld für das Projekt sprechen.“ Viel Geduld und Ausdauer ist dabei gefragt, denn die Finanzierung ist noch nicht gesichert.

In Graubünden Filme zu finanzieren, ist noch schwieriger wie in finanzstarken, städtischen Regionen, wo oftmals das Wohnen vor Ort die Voraussetzung für eine Eingabe ist. Die möglichen Unterstützerinnen und Unterstützer sind rarer im Engadin. Dennoch findet Fanzun es wichtig, dass sie als filmschaffende Frau ihre Geschichten auch aus der peripheren Region erzählt. Aus familiären Gründen kam sie vor 19 Jahren als Filmemacherin zurück ins Engadin. Es war für sie selbstverständlich, dass sie dort weiter Filme machen würde. Denn gute Geschichten gibt es auch da, wie ihr jüngstes Projekt zeigt. Damit ist Fanzun von A bis Z bei den Projekten engagiert.

Zeitzeugen stehen im Mittelpunkt
Im Film begibt sich Giacomo Dolfi, das Patenkind von Alberto Giacometti, auf eine familiäre Spurensuche. Diese Reise wird für ihn gleichzeitig auch zu einer persönlichen, inneren Reise. Die wichtigsten Zeugen, die Giacomo begegnet sind Nelda Moggi-Negrini, Alberto Giacomettis Model im Bergell, Casimiro Di Crescenzo, Giacomettikenner und wohnhaft in Venedig, sowie Eberhard W.Kornfeld, Freund von Alberto Giacometti, Galerist und Kunstsammler. Er begegnet aber auch unbekannten Menschen.

Bei ihren Recherchen stiess Fanzun unter anderem darauf, dass Nelda Moggi-Negrini in Müstair im Münstertal bis vor Kurzem am Kiosk einer Tankstelle arbeitete. Vermutlich habe manch ein Kunstkenner bei ihr getankt, ohne zu wissen, wer sie ist.

Eberhard W. Kornfeld, heute im 95. Lebensjahr, antwortete auf Fanzuns Anfrage mit: „Kommen sie bald, solange ich noch lebe.“ Diese Dreharbeiten wurden daraufhin vorgezogen. „Es sind wahrlich Schätze, die sich in so einem Moment auftun. Ich kann Geschichte fixieren. Meine Arbeit als Filmemacherin macht Sinn und freut mich zutiefst.“

Die Prägung des Menschen
In einer Zeit, als das Papier noch wertvoll war, durfte Fanzun als Mädchen die Papierabschnitte ihres Vaters zum Zeichnen nutzen. „Diese sahen dann aus wie jene Streifen der Illustrationen aus den Engadiner Märchenbüchern“, erinnert sich Fanzun. Heute könnte man das mit einem Storybord beim Film vergleichen. Aber auch die Besuche bei ihrer Tante in Italien waren wichtige Einflussgeber für Fanzun und ihr heutiges Schaffen. „Der Kiosk der Tante am Gardasee war ein Eldorado für uns Kinder. Während der Mittagspause zogen wir die Storen des geschlossenen Tabacchis leicht hoch, damit ein paar Strahlen Sonnenlicht in den Raum drangen und wir Hefte und Comics lesen konnten.“ Neben der Familie waren es auch die zahlreichen Reisen in Europa, Nordafrika und eben Indien, die Fanzun prägten. Ein altes Sprichwort ist damit bestätigt. Es braucht Wurzeln und Flügel für den Menschen. 

Informationen und Trailer auf www.3kinder.ch.

 

(Bilder: Mayk Wendt/ zVg.)