Seit ich denken richtig denken kann, mache ich Musik und seit ich Musik mache, möchte ich der Welt etwas hinterlassen. Meine grösste Angst in diesem Leben ist es, irgendwann zu sterben und niemand kriegt es mit.
Vor kurzem habe ich aus der Zeitung erfahren, dass mein Sekundarlehrer Ivo Holenstein im jungen Alter von gerade mal 52 Jahren gestorben ist. Er ist mir als cooler Lehrer in Erinnerung geblieben, der mein Musikwissen schätzte und Talent in jungen Menschen auch abseits von Algebra und Geometrie erkannt hat. Ich weiss, es sind bereits mehr als zehn Jahre vergangen, seit ich aus der Schule bin und doch stimmt es mich sehr nachdenklich, wie vergänglich das Leben doch ist. In meiner Jugendzeit habe ich viele prägende Menschen um mich herum verloren. Sehr prägend war sicherlich meine erste richtige Kollegin aus Kindertagen Manuela Mathis, die sich mit 18 von einer Brücke stürzte. Dann natürlich meine Grossmutter Rosmarie, die viel zu früh von uns gegangen ist und in meinem Herz ein regelrechtes Loch hinterlassen hat. Denn der Nachbarjunge Marcel Gartmann, der im Wald tödlich verunfallt war und Edi Gander, der mir viel von seiner Lebensphilosophie mit auf den Weg gab. Sie alle waren prägend für mich. Ich habe zu ihnen aufgeschaut und sie in einem gewissen Mass angehimmelt. Wenn es wirklich einen Gott gibt, dann nimmt er immer die Besten zu früh. Doch das Leben geht weiter und oftmals vergisst man die Zeit mit der Person schnell. Ich jedoch konnte das nie… Ich habe x Lieder über meine Grossmutter und Manuela geschrieben. Ausserdem habe ich mir bei meiner Ehrerbietung für Edi Gander regelmässig die Zähne ausgebissen, da ich nie die passenden Worte fand.
Doch zurück zum Thema: Was werde ich mal hinterlassen?
Alles was ich künstlerisch bewegte, sollte einem Gemeinschaftszweck dienen. Ich startete als Konzertveranstalter, buchte Bands, die ich nicht einmal kannte und wollte Freude und ein Zusammengehörigkeitsgefühl erschaffen. Das Gleiche bei den Bock uf Rock-, Bock uf Rap- und Bock uf Metal-Samplern, nie war eine CD für mich da, um mich selbst zu repräsentieren. Das war der Punkt, der mir in den Plattenkritiken immer am meisten weh getan hat. Man warf mir regelmässig vor, ich wolle nur meine Bands in den Fokus stellen und mich selbst profilieren. Das kann ich zu 100% verneinen, denn ich habe bei diversen Produktionen sehr viel Geld aus dem eigenen Sack draufgelegt und phasenweise kaum eine Möglichkeit gesehen über die Runden zu kommen.
Das war mir aber auch egal, denn ich wollte die Szene fördern. Ich wollte, dass die Bands untereinander Konzerte abtauschen nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stärker.“ Diese Haltung transportierte ich in den Song Ussterbendi Art, welchen ich immer noch sehr gerne live spiele.
Aber eben, ich war als Förderer der Szene bekannt wie ein bunter Hund, meine eigene Musik wollte jedoch niemand hören. Mondlandig floppte, Dunkelblau wurde besser verkauft, doch schaffte den Sprung in die Hitparade nicht. Das war für mich nicht sonderlich schlimm, da ich Musik aus Leidenschaft produziere, doch bei Wikipedia gibt es nur Fakten und keinen Szenerespekt. Ähnlich sieht es bei der eigenen Familie aus. Die Frage ist einfach, rentiert eine Produktion, die 15’000 Franken gekostet hat (Dunkelblau), bei Verkaufszahlen unter 100 Stück? Meine Eltern waren nie begeistert von den Samplern und meiner Tätigkeit im Kultursektor, da es nie wirklich nennenswerte Erfolge ausserhalb der Zeitung gab. Allerspätestens bei Bock uf Rock 4/Bock uf Rap 1 biss ich einmal dermassen in den sauren Apfel, dass mir meine Mutter sogar finanziell aushelfen musste. Ich hatte mich dermassen verkalkuliert, dass ich der Suisa satte 4500.- abdrücken musste. Das war die Zeit in der ich noch einen Lehrlingslohn hatte und das Geld nicht gerade auf der hohen Kante lag. Mühsam war dann jeden Monat das Geld step by step und zähneknirschend zurück zu zahlen angesagt. Das tat sehr weh.
Ich muss in diesem Punkt noch ein wenig ausholen. Bei meiner Familie hatte Musik nie eine hohe Priorität oder eine tragende Rolle gespielt. Für meinen Vater Alois war Musik nie mehr als eine Begleiterscheinung zum im Radio die Minuten zwischen den Nachrichten zu füllen. Mein Bruder Matthias hatte immer schon so viele Tonträger, wie ich in einem normalen Gang in ein Geschäft neu kaufe. Zu ihm gibt es noch eine lustige Anekdote: Er kaufte eine Gitarre, entschied sich aber für Playback-CDs zum Unterrichten. Danach schenkte er mir das Baby, wofür ich ihm heute noch sehr dankbar bin und ich habe auf ihr viele Songs komponiert. Ja, Musik war nie sein Ding. Meine Schwester Heidi mochte Linard Bardill und hin und wieder ein bisschen Radio-Sound, aber mehr war da nicht. Mama Jacintha mochte ebenfalls Radiomusik und nicht mehr. Ich fühlte mich mit meiner Musikversessenheit zum Teil ein wenig wie ein Alien in meiner eigenen Familie. Das war aber nicht so schlimm.
Als ich erstmals mit 10 Jahren Schlagzeugstöcke in der Hand hielt, wusste ich das war mein Weg. Zuvor hatte ich diverse Sachen wie Fussball, Unihockey, Judo und vieles mehr ausprobiert. Nichts sagte mir wirklich zu, da ich, ich gebe es ja zu, nicht gerade eine einfache Persönlichkeit war und bin. Doch Musik war anders, ich sah rasch Erfolge, übte viel und bekam meine übertriebene Aggressivität durch das Schlagzeug spielen endlich in den Griff. Allerspätestens als ich bei Hans Conzett in den Unterricht ging, wollte ich selbst eine Band haben. Das war 2004 und seit dem hatte ich immer eine Band, zum Teil auch zwei oder drei gleichzeitig. Wer selbst nie vor Leuten ein Konzert gegeben hat, kann sich das nur schwer vorstellen, denn wenn jemand deine Songs mitsingt, dann ist das fast besser als Sex. In der Jugendmusik Jenaz wurde es mir schnell zu leise und so gründete ich nach der Schule Sputnik mit Luciano Giovanoli. Dann kam Sarah Mark hinzu und bald wechselte wir an der Gitarre zu Guitardani Schmid und es folgten erste grosse Konzerte in Chur unter dem neuen Namen Crossbones. Seit diesem Zeitpunkt bin ich nur für wenige Konzerte zurück ins Prättigau gegangen, denn meine Musik fand im Chöttihammertal niemals wirklich eine nennenswerte Anhängerschaft. Auch wenn ich gerne hätte, dass das Prättigau das Non-Plus-Ultra ist der Bündner Musikszene, es stimmt so leider nicht. Mit Country oder Schlager kommt man recht weit, sonst wird man nur belächelt. Wenn ich heute zum Teil hinten bei meinen Eltern bin, fragen die Nachbarn zum Teil, wie es mit meiner Karriere steht. Ich sage dann immer, es geht recht gut voran. Das ist ja auch nicht wirklich gelogen, denn ich habe in meiner bisherigen Karriere über 5000 Tonträger verkauft und trotzdem ist der Fakt recht lustig, dass mich keine Sau zumindest im Prättigau kennt.
Ich habe lange damit gekämpft, dass mein Wirken von vielen nur belächelt wird, bis ich irgendwann fand: Ok, Musik ist ein Hobby, nicht mehr und nicht weniger. Auch wenn ich sehr gerne meinen Lebensunterhalt mit Musik verdienen würde, irgendwann musste ich mir einige Sachen eingestehen. Beispielsweise müsste ich dann Pop-Musik machen, die mir nicht zusagt, Werbungen machen für Dinge, die mir nicht gefallen, aus dem Koffer leben das ganze Jahr, vielleicht nicht mehr frei sein und so weiter. Der grösste Punkt der Geschichte ist sicherlich auch, dass ich schlicht und ergreifend viel zu schlecht an jedem Instrument oder als Sänger bin, um professionell durchzustarten.
Die Musik, die ich heute produziere ist auf einem professionellen Level, wie sie eigentlich die ganz grossen Studios auch produzieren und trotzdem ist es zu 100% ehrlich und meins. Seit ich Musik nur noch für mich mache, fühle ich mich befreit. Ich muss schliesslich niemandem mehr was beweisen. Ich habe mit kurz vor 30 über 15 Tonträger produziert, beinahe 500 Konzerte gespielt und bin zum Glück nie im Drogensumpf gelandet. Ich habe einen geilen Job als Journalist und ein geiles Hobby mit der Musik. Musik ist so oder so ein Glücksspiel, wie es mir der Bassist von Silbermond erst kürzlich in einem Interview ins Mikrophone gesagt hat.
Seit dem ich das mit der Musik so locker sehe, haben sich einige Sachen entwickelt, die ich wahrscheinlich nie erlebt hätte, wenn ich verbissen weiter auf Erfolg gepocht hätte. Dieses Jahr spiele ich als Headliner am Churer Fest, der Pro Infirmis-Song kommt überall sehr gut an. Richtig gute Freundschaften mit Head Smashed und JJD haben sich entwickelt. Ich bin für viele grosse Namen in Musikbusiness eine Koryphäe, wenn es um Musikwissen und Hintergrundgeschichten geht. Der wichtigste Punkt für mich ist aber, dass ich endlich angekommen bin. Ich spüre keinen Druck auf meinen Schultern. Ich muss keine Hits schreiben, ich mache einfach Musik mit guten Leuten und pflege so jahrelange Freundschaften. Im Ausgang werde ich gelobt für was ich alles getan habe für die Szene. Ich bin inzwischen weiter als ich es mir je vorgestellt hätte mit meiner Musik und bei jedem Konzert kommen neue Fans dazu. Das tut gut und vielleicht irgendwann gibt’s einen Minihit inklusive Wikipediaeintrag.
Wenn er kommt, cool. Wenn er nicht kommt, nicht halb so schlimm, denn ich habe in den Herzen von den Menschen, die mir wichtig sind Spuren hinterlassen. Ich dachte lange Zeit, dass das Karma eine Bitch ist, doch bei mir stimmt das nicht. Das Karma ist ein guter Freund geworden. Ich unterstütze weiterhin Bands und Menschen in allen möglichen Belangen ohne die hohle Hand zu machen. So bin ich mit mir im Reinen und muss mir keine Vorwürfe machen. Wenn ich etwas hinterlasse, ist es viel Musik, Lebensfreude und einen normalen Umgang miteinander. Und das hört mit 30 definitiv nicht auf. Man erntet, was man sät und ich bin froh habe ich nie gross Hass gesät.