In der Vielfalt liegt ein grosses Potential. Aktuelle Herausforderungen wie die Digitalisierung benötigen eine umfassende Sicht auf die Kundenbedürfnisse. Dies gelingt mit der Perspektivenvielfalt gemischter Teams am besten.
Organisationen, welche die Vielfalt ihrer Kundinnen und Kunden intern bei ihrem Personal abbilden, sind innovativer. Nichtdestotrotz werden die vielfältigen Potentiale noch zu wenig genutzt. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass in den meisten Organisationen die Vielfalt mit zunehmender Hierarchiestufe markant abnimmt. Vorstände sind nach wie vor weitgehend homogen.
In Deutschland beispielsweise sind im März 2017 die Vorstände bezüglich Alter, Herkunft und Geschlecht nahezu identisch. Im Durchschnitt sind die Vorstände 53 Jahre alt und 76 Prozent stammen aus Deutschland. Von den 676 Vorständen börsenkotierter Unternehmen gibt es mehr Vorstandsmitglieder, die Thomas oder Michael heissen (49) als Frauen (46). Unter den Vorstandsmitgliedern liegt der Anteil Männer bei 93 Prozent, jener der Frauen bei 7 Prozent und 5 Prozent der CEOs heissen Thomas.
Weshalb wird das Potential der Vielfalt nicht gezielter genutzt? Die Antwort ist vielschichtig. Neben verschiedenen u. a. strukturellen Faktoren sind Stereotypen relevant. Sie reduzieren Komplexität, verhindern jedoch oft die Ausschöpfung von Potentialen, indem sie unsere Wahrnehmung und das Handeln beeinflussen. Der gezielte Umgang mit den oft unbewussten «unconcious biases» trägt zur Förderung gemischter Teams bei.
Eine Studie, die dies auf eindrückliche Weise aufzeigt, ist in den 1970er Jahren bei einer Reihe Orchestern in den USA durchgeführt worden. Die Probespiele zur Leistungsbeurteilung von Bewerbenden wurden hinter einem Vorhang gemacht. Obwohl es Skepsis gab und Einwände, dass sowieso nur auf die Musikqualität geachtet werde und nicht darauf wie jemand aussähe. Es zeigte sich, dass der Vorhang half die gemischten Teams in den Orchestern zu fördern. Damals waren durchschnittlich jeweils fünf Prozent Frauen vertreten, heute sind es vierzig Prozent. Interessant wäre auch zu sehen, ob die Vielfalt in anderen Dimensionen zugenommen hat. Der Vorhang steht symbolisch dafür, dass einfache, gezielte Massnahmen viel bewirken und den bremsenden Einfluss von Rollenklischees verringern können. Diese Vorteile lassen sich insbesondere im Rahmen von Auswahl- und Personalentwicklungsprozessen nutzen.
Vielfalt ist mehrdimensional. Die Kerndimensionen von Diversity umfassen: Alter, Geschlecht, ethnisch-kulturelle Zugehörigkeit, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierung sowie physische und psychische Fähigkeiten. Weiter gibt es äussere und organisationale Dimensionen.
Diversity Management fördert Vielfalt durch Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen. Um das eingangs erwähnte Beispiel zu beleuchten: Obwohl bei Arbeitnehmenden und Hochschul- absolventinnen und -absolventen eine ausgewogene Durchmischung bezüglich Geschlecht besteht, nimmt die Vielfalt ab, sobald Leitungsteams betrachtet werden. Besonders markant ist der Unterschied bei arbeitstätigen Eltern.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen ist somit ein essenzieller Beitrag um Vielfalt auf allen Ebenen zu erhöhen. Massnahmen in diesem Bereich wirken sich auch positiv auf die Ausschöpfung des vorhandenen Fachkräftepotentials aus. Ein Beispiel wäre jenes Potential aus den insgesamt 50‘000 Hochschulabsolventinnen, die aktuell ausschliesslich Familienarbeit leisten. Dieses Potential könnte mit flexiblen Arbeitsmodellen besser genutzt werden. Weitere Vorteile für Arbeitgebende sind, dass das interne Potential vermehrt ausgeschöpft wird und die Attraktivität für potentielle Mitarbeitende und Talente steigt.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie und flexible Arbeitsmodelle sind heute mehr denn je ein Thema: So zeigte der Universum Swiss Student Survey 2013, dass 45% der Berufseinsteiger und 65% der Berufseinsteigerinnen als erstes Karriereziel eine ausgewogene Work-Life-Balance nennen. Dabei geht es neben der Betreuung von Kindern auch um Erholung oder um die persönliche Entfaltung.
Privat sind gemischte Teams, welche die Familienarbeit gemeinsam angehen, am zufriedensten.
Eine Studie der Universität Basel zeigt, dass junge Männer sich wünschen, als Väter mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Ebenso würden neun von zehn Männern gerne Teilzeit arbeiten, wie eine andere Studie zeigt. Aktuell arbeiten 17% der Männer in der Schweiz Teilzeit, bei den Frauen liegt der Anteil bei 58.8%. Ein Hindernis für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Männern ist die noch zögerliche Akzeptanz von Männern mit Teilzeitpensen durch das berufliche Umfeld. Hier zeigt sich erneut der potentiell bremsende Einfluss von möglichen Rollenstereotypen.
Das vermehrte Engagement der Väter in der Familienarbeit trägt zur Förderung der Vielfalt auf allen Ebenen bei: Es würde alltäglicher, dass Väter wie Mütter wegen Familienpflichten nicht ununterbrochen am Arbeitsplatz anzutreffen sind. Die Erwerbs- und Karriererisiken bei einer Familiengründung wären ausgeglichener verteilt und die beruflichen Perspektiven von Frauen und Männern langfristig.
Die Vereinbarkeit stärkt somit gemischte Teams im Berufsumfeld und in der Familie und leistet einen Beitrag dazu, dass diese in beiden Bereichen ihr Potential entfalten und verschiedene Perspektiven einbringen können.
Vielfältige Organisationen haben demnach Vorteile bei Mitarbeitenden, Investorinnen und Kunden.
Höchste Zeit also das Potential zu nutzen! So wie der kanadische Premier Justin Trudeau, welcher beim Amtsantritt auf die Frage, weshalb sein vielfältiges Kabinett eine ausgewogene Geschlechtervertretung habe, antwortete: «Because it’s 2015.»
Die HTW Chur als vielfältige Hochschule
«Wir fördern Vielfalt und Chancengleichheit und entwickeln die daraus entstehenden Potentiale.» Diesen Wert schreibt die HTW Chur in ihrem Leitbild fest. Die Angehörigen der HTW Chur studieren, lehren, forschen und arbeiten als vielfältige Persönlichkeiten mit ihren Kompetenzen in mehreren Fachdisziplinen. Die Vielfalt der Studierenden und Mitarbeitenden ist ein wichtiger Beitrag für eine erfolgreiche und innovative Weiterentwicklung der Hochschule. Die HTW Chur fördert deshalb die Vielfalt und die individuellen Potentiale. Dadurch entsteht eine produktive und kreative Zusammenarbeit aller Hochschulangehörigen.
Die Hochschule ermöglicht die Vereinbarkeit von Studium, Beruf, Familie und Privatleben u. a. durch flexible Studien- und Arbeitsmodelle. Um für aktuelle und potentielle Studierende und Mitarbeitende attraktiv zu sein, werden die Rahmenbedingungen weiterentwickelt und Massnahmen umgesetzt. Gemeinsam mit den Teilhochschulen der Fachhochschule Ostschweiz FHO ist die HTW Chur für die Umsetzung des Aktionsplans «Chancengleichheit 2017-2020» verantwortlich.
Die Fachhochschulen sind vom Bund gemäss Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetz (HFKG) beauftragt, für Chancengleichheit und die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu sorgen. Die Fachstelle Diversity der HTW Chur unterstützt die Organe und Ange- hörigen der Hochschule für Technik und Wirtschaft bei der Verwirklichung dieses Auftrags.
Die HTW Chur verfügt über eine neue Diversity-Policy. Die Policy dient als Leitlinie für die Anerkennung, Förderung und Nutzung von Vielfalt und zur Implementierung geeigneter Rahmenbedingungen. Damit Vielfalt und Chancengleichheit an der Hochschule gezielt gefördert und die daraus entstehenden Potentiale optimal genutzt werden.
Sara Dolf-Metzler ist Leiterin Diversity und Gleichstellung der HTW Chur. Sie ist Ökonomin und Business Coach und leitet die Fachstelle Diversity an der HTW Chur.
Dies ist ein Blog-Beitrag der HTW Chur.