Am Calanda, hoch über meiner Heimatgemeinde Haldenstein liegt Batänja, eine ehemalige Walser Siedlung die bis in die 1880er-Jahre ganzjährig bewohnt war. Die insgesamt 17 Hütten und Ställe formieren sich zu einem kleinen Dörfchen im Schutz eines Bannwaldes.
Die Wiesen sind in Privatbesitz. Der Wald, die Weiden, das Wasser und der Zufahrtsweg sind im Besitz der «Korporation» an welcher die Batänjer sogenannte «Losrechte» als Eigentumsanteil besitzen. Meine Schwester und mein Bruder besitzen auf Batänja je eine Hütte mit dazu gehörenden Wiesen und auch Losrechten am Gemeinschaftseigentum.
Als «ständiger Gast» meiner Schwester bin ich oft auf Batänja und habe seit meiner Jugend eine enge Beziehung zu dem Maiensäss unserer Familie.
Der Unterhalt des Gemeinschaftseigentums obliegt der Korporation, also der Gesamtheit aller Eigentümer. Das jährliche «Gmeiwärch» am Zufahrtsweg ist Ausdruck dieser gemeinsamen Pflicht. Auf rund drei Kilometern einer teilweise steilen Bergwegstrecke gilt es die Fahrspuren auszubessern, Querabschläge zu reinigen oder zu ersetzen, Äste zu kappen oder Laub aus dem Weg über die Böschung hinaus zu wischen. Diese Arbeiten machen alle gemeinsam, in der Regel an einem oder zwei Samstagen pro Jahr. Jene die nicht können oder wollen, haben einen finanziellen Ersatzbeitrag zu leisten.
Jeder und Jede bringt sich mit seiner ganz persönlichen Arbeitsleistung ein. Die Frauen und Kinder kappen die Stauden und kleinen Bäumchen am Wegrand, die Senioren wischen das Laub aus dem Weg über die Böschung und die Männer reinigen und ersetzen die Querabschläge oder bessern mit zugeführtem Kies Schlaglöcher aus. Jeder und Jede so wie es ihm möglich ist; im Wissen, dass die anfallende Arbeit die Möglichkeiten des Einzelnen übersteigt und nur gemeinsam bewältigt werden kann. Den Nutzen daraus zieht danach wiederum jeder und jede Einzelne für sich, wenn sie über einen passabel befahrbaren Weg jederzeit ihr Maiensäss erreichen, das Brennholz aus dem Wald zur Hütte transportieren oder das Heu ins Tal führen können.
Und die Erkenntnis aus der Geschichte? Der Nutzen für den Einzelnen ist nur da, solange eine genügende Anzahl bereit ist, persönliche Arbeit zu Gunsten aller zu leisten, «Gmeiwärch» eben. Wenn einmal die Mehrzahl nicht mehr kann oder will, nützt auch die finanzielle Ersatzabgabe nichts. Dann ist zwar etwas Geld da, aber die Arbeit nicht gemacht.
Manchmal frage ich mich, ob etwas mehr «Gmeiwärch» nicht auch unserer Gesellschaft guttun würde. Ich meine damit nicht, dass wir den Unterhalt unserer Gemeinde- und Kantonsstrassen oder unserer Autobahnen im Rahmen samstäglicher Kollektivevents umsetzen sollen. Ich meine das mehr in einem auf unsere Denkhaltung übertragenen Sinne.
Als Beispiel können wir die Sicherheit anführen. Die Armee ist nach wie vor das wichtigste sicherheitspolitische Instrument unseres Landes. Ihr Auftrag kann durch den Einzelnen und die Einzelne von uns nicht erfüllt werden. Er ist nur gemeinsam erfüllbar. Der Nutzen, die produzierte Sicherheit, hingegen kommt uns allen zu Gute. Er fällt aber nur an, wenn es genügend Männer und Frauen gibt, die bereit sind, persönlich Dienst zu leisten. Wenn es einmal nur noch solche gibt die zahlen anstatt leisten, dann geht der Nutzen für alle verloren. Dieselben Überlegungen kann man auch anstellen bei der Feuerwehr, bei der Bergrettung, bei der Freiwilligenarbeit, bei der Übernahme eines Amtes im Verein…
«Gmeiwärch»! Dazu gilt es Sorge zu tragen, auch in einer modernen und individualisierten Informationsgesellschaft.
Das Politforum auf GRHeute besteht aus 12 PolitikerInnen aus Graubünden. Jeden Donnerstag nimmt eine/r zu einem aktuellen Thema Stellung.
(Bild: GRHeute)