Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Reaktionen sind, wenn ich Vorträge zum Churer Tourismus halte. Im Normalfall geht man davon aus, dass Chur, da es die Hauptstadt von Graubünden ist, seine Hauptsaison im Winter hat. Wie kann es auch anders sein, denn rund um Chur befinden sich zahlreiche grosse, renommierte und bekannte Winterdestinationen. Das Wintergeschäft ist nach wie vor die «Cash»-Saison im Bündner Tourismus. Doch Chur ist anders; wer hätte es gedacht?
Churs stärkste Saison liegt klar im Sommer. Mit einem Anteil von 60% bei den Logiernächten ist dies eindeutig belegbar. Weiter zeigen die Zahlen der Stadtführungen, welche zu 70% im Sommer gebucht werden, dass die Tagesgäste die Alpenstadt besonders gerne im Sommer besuchen. Bei unseren Gruppenangeboten sieht dies nicht anders aus. In Chur könnte man quasi sagen, dass der Sommer im Trend liegt, denn auch die Bergbahnen Chur (Brambrüesch) zeigen klar, dass das Potential in der Frequenzsteigerung im Sommer liegt. Ein Beitrag im «10 vor 10» hat kürzlich darüber berichtet.
Als Tourismusverantwortliche von Chur könnten mich diese Fakten eigentlich beruhigen, denn in immer kürzer werdenden und Schnee ärmeren Wintermonaten müssten wir uns in Chur keine Sorgen machen, da unsere Stärke ohnehin im Sommer liegt. Dies möchte ich damit aber nicht zum Ausdruck bringen. Vielmehr zeigt mir dies, dass wir in Graubünden noch viel mehr auf den Sommer setzen müssen und unser Sommer-Potential auf dem internationalen Markt noch vermehrt ins Spiel bringen müssen. Ein wichtiger Vorteil im Sommer ist auch – insbesondere aus Gästesicht – dass man sich im Sommer viel einfacher in den Regionen fortbewegen kann. In den Wintermonaten beschränkt sich der Radius der Aktivitäten vorwiegend auf die Destination, wo man seine Unterkunft hat. Auch die Aktivitäten sind eingeschränkter, zum einen da viele Strassen schneebedeckt und die Tage im Winter deutlich kürzer sind. Im Sommer sieht dies anders aus; Gäste sind ausflugsinteressierter als im Winter. Aufgrund der langen Tage fährt man gerne einmal mit dem Auto in eine andere Destination, macht eine schöne Ausfahrt mit der Rhätischen Bahn oder unternimmt eine aussichtsreiche Wanderung oder Biketour zum nächsten Ort. Kurz gesagt: Im Sommer sind unsere Gäste mobiler.
Aufgrund dieser Tatsache sollten wir Bündner Touristiker vermehrt über unsere Destinationsgrenze hinausschauen und darum besorgt sein, dass unsere eigenen Gäste auch die Destinationen unserer Kollegen besuchen und umgekehrt. Ein intensivierter Austausch und eine nachhaltigere gemeinsame Zusammenarbeit könnte die Bündner Angebotspalette für Gäste attraktiver gestalten und somit noch mehr Reisemotive auslösen. Heute beschränkt sich die Kommunikation in den Destinationen meist und vorwiegend auf die eigenen Angebote vor Ort. Ja, aber weshalb? Hat man Angst, den Gast an eine andere Destination zu verlieren? Würde es der Gast nicht schätzen, wenn er weiss, wie attraktiv die ganze Region ist? Würde es einen Ort nicht noch attraktiver machen, wenn man weiss, wie vielseitig die Region ist? Ich meine schon.
Ich denke, dass wir insbesondere für die Sommermonate diesen Trumpf der vielseitigen Sommerangebote in Graubünden noch vermehrt nutzen sollten. Und ich bin überzeugt, dass wir noch lange nicht unser Potential der Zusammenarbeit ausgeschöpft haben. Und wer weiss, vielleicht schaffen wir es gemeinsam, dass auch der Sommer zu Graubündens «Cash Cow» wird.
Und a propos Zusammenarbeit, da schliesse ich mich den Worten von Pascal Jenny an: Zusammenarbeiten kann man auch ohne Leistungsvereinbarungen. Unter dem Motto «wo ein Wille, da ein Weg» müsste doch noch so einiges möglich sein.
Heute für Sie unverblümt und direkt von der Front: Leonie Liesch, Direktorin von Chur Tourismus.
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