„La femme et le TGV“ erzählt von einem Zug, der aus Frankreich bis in die Schweiz fährt, wo eine Frau dem vorbeifahrenden Zug, seinen Fahrgästen und Lokführern, täglich zuwinkt, bei gutem und bei schlechtem Wetter. Sie erzählt von einsamen Lokführern, die aus dem Fenster ihres Führerstandes Briefe in den Garten der Frau werfen, und von einer Frau, die in ihrer kleinen Welt gefangen scheint. Es ist eine Geschichte über Begegnung trotz hoher Geschwindigkeit und unterschiedlicher Lebenssituationen.
Die Geschichte der Frau, die dem vorbeibrausenden Zug täglich zugewunken hat, wurde nun vom Bündner Giacun Caduff verfilmt. Wie so oft in der Schweizer Filmwelt mit grossem und unermüdlichem Einsatz, verbunden mit Zweifel und zahlreichen Unwegsamkeiten, aber die Mühe hat sich gelohnt: Dieses Kleinod der Filmkunst hat eine Oscar Nominierung erhalten, die grösste Auszeichnung der Filmwelt.
Was aber, wenn die Frau nicht jeden Tag dem TGV zugewunken hätte? Niemals hätten die Lokführer die Frau in wenigen Zeilen wissen lassen, dass sie und ihr Winken zwischen Paris und der Schweiz der einzige Lichtblick im tristen Lokführeralltag waren. Die Fahrgäste, die die Strecke öfter fuhren, hätten sich niemals extra einen Fensterplatz reserviert, um für einen kurzen Moment an dem Glück der winkenden Frau teilzuhaben.
Genau dieser Zug fuhr bis vor ein paar Jahren noch bis nach Chur, und öffnete damit den Bündnern den Weg nach Paris und weiter nach London. Doch die Dinge änderten sich, heute fährt der Zug nur noch bis nach Zürich. Aber der Film erzählt uns anschaulich, dass uns das Reisen zwischen zwei Welten gegeben ist. Neue Gerüche, die Wärme der Sonne auf unserer Haut, der Wind in unseren Haaren, das Gefühl von Freiheit und Sinnhaftigkeit – dies alles lässt uns mehr als alles andere die Tiefe des Lebens spüren. Und hier schliesst sich der Kreis, hier sind wir nun beim Tourismus. Der Bahnhof Chur ist das Tor zum Kanton Graubünden, er ist der Ort, an dem für einen grossen Teil der Bündner Feriengäste für eine kurze Zeit die Freiheit beginnt, die Sinnhaftigkeit, das Angekommen sein – bei sich selbst.
Das Verhalten der winkenden Frau und das der rasenden Lokführer, die aufeinander zugehen, auch wenn es noch so unmöglich erscheint, wird so zur Metapher für den Tourismus. Egal von wo unsere Gäste kommen mögen, wie klein und eng wir unsere Welt empfinden, und wieviel Aufwand es benötigt, um diesen Austausch aufrecht zu halten: Im Tourismus geht es darum, Barrieren aufzumachen, auf einander zuzugehen, und eine Verbindung aufzubauen und einzugehen, wie widrig die Umstände auch scheinen mögen.
Der Film des Bündner Filmproduzenten Caduff verleiht dem Bahnhof Chur eine neue Bedeutung. Er soll nicht nur mit seinen Neonlichtern in die kalte Nacht hinaus scheinen, sondern vielmehr als Eingangstor für unsere Feriengäste weit in die Welt hinaus leuchten, verbunden mit dem Versprechen, dass bei uns eintreffende Gäste stets willkommen sind. Und wenn wieder einmal der Heilsbringer Schnee im Winter ausbleibt, so vermag sicher ein herzliches Zuwinken und freundliches „Allegra“ wärmer leuchten als die nüchterne Bahnhofsbeleuchtung.
Für alle die Bündner, die ein Stück Hollywood in Chur erleben möchten: „La Femme et le TGV“ ist am 02.04.17 in den Churer Kinos zu sehen.