BÜNDNER PERLEN: «Hedgehog – Open Minded» (2013)

Hin und wieder gibt es Platten aus Graubünden, die nie eine grosse Medienaufmerksamkeit erhalten haben oder vielleicht schon in Vergessenheit geraten sind. Dieses neue Gefäss, exklusiv auf GRHeute, wühlt durch alte LP-Kisten, entstaubt CD-Sammlungen und widmet grossen Werken eine kurze, aber ausführliche Plattenkritik mit einem gehörigen Schuss Nostalgie.

Einerseits zur Erinnerung, anderseits zur Aufstockung jeder Tonträgersammlung, aber vor allem um aufzuzeigen, welch vielfältige Bündner Musikszene wir doch haben. Diese Perlen dürfen in keiner kompletten Bündner Musiksammlung fehlen. Willkommen zu den Bündner Perlen.

Lange Zeit war mir die Prättigauer Musikszene ein wenig suspekt. Ich kannte nicht wirklich jemanden. In dem Tal in dem ich aufgewachsen bin, passierte meistens nicht viel. Schon früh hängte ich mich an den Nippel der Churer Kulturszene und jammerte nachher zu Hause in Jenaz über zu wenig Respekt und Wahrnehmung. Doch das änderte sich bald, als ich selbst anfing Rap zu produzieren. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte ich im Prättigau nur die Gypsiband Mala mit Frieder Torp, Wambo’s Country Band, deren Namen ich inzwischen vergessen habe, natürlich AndaRojo und Coni Allemann, sowie die Swiss Zirpen, die wie ich aus Jenaz sind. Das Prättigau ist nicht gerade als DAS Kulturtal bekannt. Vor allem populär sind im Prättigau die Stile Schlager und Country. Mit beiden konnte ich nicht wirklich was anfangen, da mich früh schon der Rockvirus gepackt hatte. Mit meiner ersten richtigen Band Virus of the Cactus haben wir dann auch nur drei Mal im Prättigau gespielt und jedes Mal war es sosolala.

Doch durch meine Kompilationserie Bock uf Rap entdeckte ich weitere Protagonisten von moderner Musik im Prättigau. Es gab ja schliesslich den Polenta Jam, Marten und Sniff, von denen einer mit mir sogar zur Schule gegangen war, Cyphermaischter und eben Hedgehog.

Damals war ich nicht nur neu am Rappen, sondern auch ziemlich unbewandert in der Rapszene Schweiz. Dies ist heute ja ein wenig anderst zum Glück. Ich hatte mit der ersten Ausgabe Bock uf Rap einige tolle Acts an Land gezogen, doch wollte mit Bock uf Rap 2 weiter hinaus. Also packte ich die Chance beim Schopf und sprach mit Reto Fuhrer vom Orangeshop. Er war seit Jahren beim P-Jam dabei und kannte viele der Acts persönlich. So bat ich ihn ums Vermitteln von Künstlern. Er holte mir dann neben seinen Luzerner Jungs Mic One und Mic Young, Cyphermaischter und eben Hedgehog auf die CD 2012. Es verging wenig Zeit und ich lernte die Rapper auch persönlich kennen.

Lustigerweise war das ziemlich das einzige Mal, dass meine Frau einen Musiker schon vor mir kannte. Dies hatte den Grund, dass meine Frau Corina, genau wie Sandro Gansner, ebenfalls aus Seewis oder wie ich es gerne nenne Säääwis kommt. Sie hatte ihn glaube ich vom Sehen her aus der Schule gekannt.

Hedgehog war für mich immer ein Sonnenschein in der von Missgunst und Hass zerfressenen Rapszene. Er war offen für neue Künstler und hielt sich nie für etwas besseres. Wie soll ich sagen, ich mochte ihn sofort, da er nicht nur als Rapper stark war, sondern auch an jedem Event, den ich organisierte anzutreffen war. Es sind solch kleine Details wie Konzertbesuche, die sich bei mir ins Gedächtnis einbrennen als respektvolle Geste. Ich persönlich nehme mir leider oft zu wenig Zeit junge Künstler an Konzerten zu besuchen, da mein Terminplan in der Regel bis zum Rand voll ist.

Doch zurück zur Musik. 2013 war es soweit, Hedgehog kündete sein Debütalbum an und ich sass ratlos zu Hause rum. Überall wurde das Album gehyped und ich konnte es mit meinem Handy nicht einmal runter laden, geschweige denn die CD im Laden kaufen. So kam die Zeit, dass ich ein wenig später mir ein Iphone kaufte und neben dem ebenfalls nur digital erschienenen «Wurzle und Chrone» des Winterthurgauers Kollektivs Phumaso &  Smack, eben auch das Debüt von Hedgehog mir sofort zog.

Meistens wenn ich ein Album herunter lade und es x-mal gehört habe, verschwindet es irgendwann wieder von meinem Gerät. Doch bei diesem von mir heute besprochenen Album war es irgendwie anderst. Dies ist heute noch auf meinem Iphone, nicht aus Heimatverbundenheit mit dem anderen Prättigauner, sondern einfach weil es richtig gute Bauchmusik ist. Nicht zu überproduziert oder dergleichen, einfach so für den Moment perfekt. Darum ist es heute noch auf meinem Gerät vertreten.

Also hören wir nochmals rein:

«Kum in mini Welt»
Herzlich willkommen in der Welt von Sandy Hedgehog Gansner. Die Gitarren knallen, die Beats sind pumpend und die Raps frisch aus dem Prättigau. Ein gelungenes Intro, das Lust auf mehr macht und voller Earcatchers ist.

«Lauf»
Der erste Hit, der mir aufzeigte, dass Mundartrap auch ganz schön rocken kann. Hedge hat da mächtige Schreie mit Druck in der Hook, was mich von Anfang an fesselte. Das Video dazu lässt sich auch ganz gut ansehen. Besonders gelungen finde ich hier, wie er seinen Jungs von Fix Finest Liebe bekundet ohne kitschig oder aufgesetzt zu wirken. Eine Ode an die Freundschaft, eine grosse Liebe für’s Spiel und das Touren ist hald schon etwas geiles. Der Track hat auch Aufmunterungspotenzial bei Nieder- und Rückschlägen. Geile Crew, grosse Hymne, Rap’n’Roll!

«Mars»
Dieses Lied könnte fast nicht lustiger sein, denn der Titel bezieht sich zweideutig auf’s Zucker in den Arsch blasen. Leicht sexistisch, aber nie plump ist es ein Liebeslied der etwas anderen Art. Der Beat konnte gerade so gut von Blink 182 stammen und hat mich mit meinem Rockhintergrund von Anfang an ziemlich abgeholt. Ich hoffe sehr, dass er den ins Liverepertoire nimmt, sobald seine Band ready für Auftritte ist.

«Kunnd Ziit kunnt Raat»
Der nachdenkliche Track ist ein wenig ruhiger gehalten. Hier erzählt er seine Geschichte oder die besser gesagt, die Geschichte von vielen, die zweifeln an sich selbst und ihren Talenten. Doch eben mit der Zeit gehen Türen auf und es kommt Rat. Ein schönes Zwischendurch, jedoch ein Track, der ein wenig verleidet beim x-ten Mal durchhören.

«Hüt nit mora» feat. Cyphermaischter
Jetzt kommt er endlich, ein erster Hedgehog-Klassiker! Der beschwingte Popsong ist eine Livegranate und sehr zu meiner Freude auch auf Bock uf Rap Vol. 2 vertreten. Rap muss nicht immer agressiv und negativ eingefärbt sein. Hier ist das perfekte Gegenstück. Das Stück verbreiten auch im Winter eine unglaubliche Stimmung und lässt einem trotz schlechtem Wetter lächeln. Auch der Part von Cyphermaischter passt wie die Faust auf’s Auge auf diesen Track. Genial!

«Fiir mi»
Es wird rhytmisch und Sandy brilliert auf dem fernöstlichen Beat, der stark an «Chef vo dr Schwiiz» von Gimma erinnert. Der Track macht Spass und lässt Golden Ära-Rap aufleben. Hier kommen automatisch Erinnerungen an andere Acts und doch bleibt Hedge autentisch. Feiere ich!

«Nüt meh wert»
Diesen Song hätte ich mir ein paar Jahre zuvor gewünscht, als ich gerade aus der eigenen Beziehung geschmissen wurde. Dieser Song ist ganz grosses Kino und jedem zu empfehlen, der gerade um eine oder einen Verflossene(n) trauert. Wahnsinnig viel Tiefgang und Emotionen. Er kann es auch in melancholisch und das besser und ehrlicher als viele vor ihm. Für mich der Trennungssong schlechthin.

«Unerreicht» feat. Flyn
Bei diesem Song hat Horscht gezaubert und Flyn und Hedgehog geben sich die Ehre über die Hymne. Der geht in eine ähnliche Richtung wie der Vorgänger, doch legt durch das dynamische Zusammenspiel der zwei Zurückgelassenen nochmals eine Scheibe drauf. Bittersüss und doch immer wieder sehr hörenswert. Ein wahrer Hit eben!

«Letter»
Es beginnt mit einem feinem Piano und verwandelt sich durch Streicher und den Beat zu einem Seelenstriptease. Die Vertonung eines Abschiedsbrief ist hoch emotional und steigert sich von Zeile zu Zeile zu einem emotionalen Sturm. Grandioser Storytelling Rap.

«Story»
Aber da geht noch mehr. Auf diesem Lied über einen Popbeat erklärt er, warum er diese Geschichten alle erzählt. Herzblutmusik ohne kommerziellen Absichten. Musik wegen der Musik und um den Traum der Musik Wirklichkeit werden zu lassen. Gefällt sehr gut, vor allem wegen dem Refrain mit viel Mitsingcharakter.

«Was i han»
Sich zufrieden geben mit dem eigenen Weg und möglichst sich selbst bleiben. Mit dieser Message im Gepäck zeigt sich Hedgehog stolz über das Erreichte und lebt im Jetzt. Das Selbstbewusstsein schwappt auf die Hörer rüber, ohne sich in Selbstbeweihräucherung zu verlieren oder gar arrogant zu wirken. Aufmunterend und positiv!

«Winter»
Die Hymne zur Saison hat mich beim ersten Hören des Albums doch ein wenig überrascht, da ich dachte, Hedgehog wäre doch eher der Sommermensch mit seiner positiven Art. Der Song kommt ganz nah an «Immer denn» von No Future. Wintersport ist etwas grossartiges, wenn man angefressen ist. Das rockt ziemlich mit viel Drang nach vorne. Wenn ein Song auf die Playlist von jedem Boarder und Skifahrer gehört, dann ist diese rockende Ode an den Winter sehr zu empfehlen. Rock’n’Rap!

«Hai»
Als ob er noch nicht genug Hits auf dem Album hätte, packt er als Abschluss nochmals einen Überhit auf die Scheibe. Eine Hymne an den Sommer, das pubertäre Verhalten und das Schätzen von Freundschaft. Wenn es episch wird, will man an einer Party nie nach Hause. Hier ist der ultimative Soundtrack für Grillabende, Open Air Konzerte oder Treffen mit den besten Leuten. Hedgehog’s Überhit bringt den Sommer zurück und lässt einem geduldig auf das erste Schmelzen des Schnees warten.

Schlussfazit:
Sandro Gansner aka Hedgehog hat mit seinem Debüt «Open Minded» nicht nur gezeigt, welch umgänglicher Typ er ist, sondern er hat auch ein regelrechtes Hitfeuerwerk online gestellt. Das Album wirkt spontan, positiv, frisch und verdammt ehrlich, was es für mich zu einer echten Bündner Perle macht. Im Prättigau entstehen auch moderne Soundtracks, fernab von Country und Schlager. Dieses Album ist der beste Beweis dafür!

Als kleinen Bonus möchte ich noch gerne diesen Song als Zeitdokument aufführen, den er gemeinsam mit C.mEe und Hyphen von Breitbild aufgenommen hat und der ebenfalls zu dieser Zeit herauskam: