Tourismus.Total: Und was jetzt?

Erinnern Sie sich noch an folgende Aussage?

„Wir können nicht mehr jedes Tal mit dem öffentlichen Verkehr erschliessen, Brücken bauen für 200 Einwohner.“

Ich behaupte, die meisten haben keine Ahnung, wer dies gesagt hat und in welchem Zusammenhang. Es war Andreas Züllig, Präsident von Hotelleriesuisse, der mit diesem Satz kurz vor dem Nationalfeiertag 2016 provozierte.

Die Botschaft von Züllig war natürlich keineswegs neu, aber brisant wie seit jeher. In meiner Funktion als Präsident der Tourismus-Partei.ch nahm ich dieses heisse Eisen bereits vor Jahresfrist auf und hielt im Namen des Vorstandes der damals neu gegründeten Input-Partei folgendes fest: «Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit (welchen Tourismus können und wollen wir uns in der Schweiz noch leisten?) geht es nicht nur um Neues, sondern auch um alte Zöpfe. Was z.B. seit Jahrzehnten nicht funktioniert, hat keine Daseinsberechtigung mehr und gefährdet letztlich den Wohlstand und die Reputation der Schweiz insgesamt.»

In den Bündner Medien und der heimischen Politik wurden die Forderungen Zülligs von A-Z in der Luft zerrissen. Im Gegensatz dazu stehen die Reaktionen ausserhalb der Bergkantone. Bei einer Onlineumfrage des Tages-Anzeigers war ein Drittel der Teilnehmenden der Meinung, man solle gewisse Täler «im grossen Stil» aufgeben. Spannend, nicht? War da nicht was mit Blick auf die damalige Abstimmung zu den Zweitwohnungen? …

Meines Erachtens wurden sowohl wir als Tourismus-Partei.CH vor einem Jahr als auch Züllig vor zwei Monaten richtig zitiert, aber falsch verstanden. Es geht doch keineswegs um die Aufgabe abgelegener Täler. Vielmehr wird der (notwendige!) Schritt zurück einer nach vorne sein. Die Faszination abgelegener Gebiete kann durch eine geschickte Re-Naturierung sogar gesteigert werden. Die Tourismusförderungs-Strategie unseres schönen Landes muss dual sein und beide Kundenbedürfnisse fokussiert befriedigen: Action und Wellbeeing pur in wenigen grossen, auch international konkurrenzfähigen Tourismusdestinationen und Städten. Im Gegensatz dazu Erholungs- oder Abenteuer-Ferien in den naturbelassenen oder renaturierten Gebieten. Statt ellenlange Wischiwaschi-Positionierungs-Debatten in und zu jedem Tourismusdestinatiönchen braucht es einen Masterplan, der die Tourismusgebiete klar und scharf unterteilt und danach gezielt entwickelt. Der Schritt zurück wird für viele Gebiete die einzige Überlebensstrategie sein und damit endlich ein Schritt nach vorn.

Mit Blick auf den Titel «Und was jetzt?» sind nun aber konkrete Umsetzungsmassnahmen gefordert. Genauso schnell wie die Aussagen der Tourismus-Partei.CH und das «temporäre Feuer» von Andreas Züllig die Medien und die Reaktionen Betroffener hochschnellen liessen, ging man auch wieder zum Alltag zurück. Darin spiegelt sich unsere Handlungsunfähigkeit. In meinen Augen hat in den letzten Jahren weder unsere Regionalpolitik noch das Amt für Wirtschaft und Tourismus oder die Zusammentreffen der kantonalen Tourismusdirektoren – zu denen GRF und AWT regelmässig einladen – Schritte nach vorne oder wie skizziert nach hinten angedacht, geschweige dann riskiert.

Deshalb fordere ich meine Tourismusdirektoren Kollegen auf, die Inhalte der wichtigsten Diskussionspunkte  – und nicht die von den Medien suggerierten und plakatierten Extrem-Positionen – aufzunehmen und innert Jahresfrist zu einem Regionen übergreifenden Massnahmenplan zusammenzufügen. Wer könnte dies besser, als die Destinationschefs, die anlässlich der aktuellen Wertschöpfungsrückgänge längst auch radikalere Neuausrichtungen für die eigenen Ferienregionen im Kopf haben?

 

 

Die Tourismus-total-Expertenrunde von GRHeute berichtet und kommentiert einmal wöchentlich über aktuelle Tourismusthemen für Graubünden. Unverblümt und direkt von der Front.