«Simon Kindschi steht in den NHL-Notizbüchern»

Heute Freitag Nacht findet in der NHL der Entry Draft – mit eventueller Bündner Beteiligung – statt.

Die Schweiz konnte in den letzten Jahren regelmässig Spieler hervorbringen, die in der ersten Runde gedraftet wurden. Heute Nacht ist es wieder soweit: Die NHL Teams ziehen der Reihe nach die besten Talente der Welt. GRHeute hat dazu den Experten schlechthin interviewt. Thomas Roost ist seit 1997 der offizielle Schweizer NHL-Scout für Central Scouting und gilt als Kenner der zukünftigen Stars. Seine Meinung und seine Reports werden weltweit geschätzt.

GRHeute: Hallo Thomas, vielen Dank, dass du dir Zeit für die Fragen nimmst.

Thomas Roost: Hallo Graubünden! Selbstverständlich, ich freu mich, über den Draft und die Schweizer Perspektiven Auskunft zu geben.

Letztes Jahr war die Rede von einem Jahrzehnt-Draft, dieses Jahr hört man ähnliche Töne. Ist das die normale Euphorie, die entsteht? Wie stark stufst du die Draft-Klasse dieses Jahr ein? 

Ein Talent wie Connor McDavid (First Overall Draft Pick 2015, die Red.) kommt nur alle zehn Jahre in einen Draft. Matthews ist nicht ganz in der Klasse eines Sydney Crosby oder Connor McDavid, wenigstens nicht aus heutiger Sicht. Aber der Draft mit Matthews, Laine, Puljujärvi ist besser als die Drafts 2012, 2013 und 2014. Dieses Jahr ist mehr «top heavy», d.h. die Spieler ganz zuoberst auf der Rangliste sind etwas besser als üblich. Allerdings beurteile ich die Tiefe in diesem Draft als nicht unbedingt gegeben. Die Spieler ab Position vier sind nicht besser als in anderen Drafts, vermutlich sogar eher etwas schwächer als in anderen Jahren.

Dieses Jahr scheint es wohl keinen Schweizer Erstrunden-Pick zu geben. Das wäre erst das dritte Mal seit 2008, und das erste Mal seit…

Seit 2012.

Genau. Was denkst du: Reisst die dreijährige Schweizer Serie?

In diesem Jahr gibt es sehr sicher keinen frühen Schweizer Pick. Es ist sogar möglich, dass in diesem Jahr gar kein Schweizer gezogen wird. Hoffnungslos ist es aber nicht: Suter, Riat, Miranda, Stadler haben alle gewisse Chancen, gedraftet zu werden. Aber eine Nullnummer würde leider auch nicht überraschen und dies ist alarmierend.

Hm. Also nicht einmal Top 100?

Top 100 würde mehr oder weniger bedeuten, dass sie in den ersten drei Runden gezogen werden und dies würde mich doch sehr überraschen. Falls überhaupt sehe ich für die Schweiz nur Spätrundenpicks in diesem Jahr. Allerdings braucht es nur eine einzige Organisation, die dies etwas anders sieht und schon werde ich Lügen gestraft. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Als Bündner fällt Simon Kindschi vom HCD auf. Letztes Jahr wurde der stämmige Davoser Verteidiger von keinem Team gezogen. Dieses Jahr ist seine letzte Chance. Hat er noch eine Chance auf eine Zukunft in der NHL?

Kindschi hat noch immer kleine Chancen auf eine NHL-Berücksichtigung, sei es als Draft oder dann später als Free Agent. Er wird immer mal wieder in Scoutingkreisen diskutiert und steht in vielen NHL-Notizbüchern als «player to follow». Dazu muss man allerdings wissen, dass in den Notizbüchern der Scouts immer sehr viele Spieler aus verschiedenen Ländern aufgeführt sind, und nur ein Bruchteil davon taucht dann irgendwann mal in der NHL auf.

Klingt nicht hoffnungsvoll. Wie sieht die Situation für die Schweiz nächstes Jahr aus?

Im nächsten Jahr schaut es aus heutiger Sicht leider auch nicht viel besser aus, obwohl die Spieler mit Jahrgang 1999 noch ein Jahr Zeit haben, sich positiv zu entwickeln. Solche Entwicklungen im Draft-Jahr sieht man nicht selten, d.h. noch ist nicht aller Tage Abend.

Zudem kommt 2017 mit Nico Hischier zumindest ein Schweizer Gross-Talent.

Ja, Hischier ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Er ist tatsächlich ein Ausnahmetalent für Schweizer Verhältnisse. Nico Hischier hat sich in den letzten 18 Monaten körperlich anständig entwickelt, zudem ist er ein sehr guter Allroundathlet, der auch in anderen Sportarten reüssieren würde. Seine grösste Stärke ist sein Spielverständnis, er ist ein unglaublich smarter Spieler, mit guter Technik und soliden läuferischen Fähigkeiten.

Wie kann man ihn mit anderen Schweizer Spielern vergleichen?

Er ist für mich der smarteste Schweizer Hockey-Junior, den ich je gescoutet habe. Ich würde ihn aber nicht unbedingt mit Connor McDavid vergleichen: Das Spielverständnis ist auf ähnlichem Niveau, aber bei McDavid sticht vor allem sein unglaublicher Speed hervor als eines seiner Markenzeichen; im Speedbereich hat Nico Hischier hingegen noch Luft nach oben.

Du bist seit zwei Jahrzehnten der offizielle Scout der NHL in der Schweiz. Da sind bestimmt enge Kontakte entstanden. Gibt es eigentlich Teams, die den Fokus vemehrt auf den Schweizer Markt oder deine Arbeit legen?

Ich könnte keine Teams nennen, die speziell ein Augenmerk auf den Schweizer Markt legen. Die Nationalität spielt beim Scouting von Spielern keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Alle Teams suchen gute Spieler, aber ob dies Kanadier, Schweizer oder Afrikaner sind, ist egal.

Wer erhält eigentlich deine Reports?

Meine Inputs fliessen immer direkt ins NHL-Central-Scouting-System mit ein. Alle General Managers der Teams haben Zugang zu diesen Reports und Einschätzungen. Diese dienen den einzelnen Teams als Zweitmeinung in Ergänzung zu den Reports der teameigenen Scouts.grh_nhl_draft_auston_matthews

War die Situation aufgrund von Auston Matthews dieses Jahr für dich persönlich etwas spezieller?

Ja. In diesem Jahr wurde ich von verschiedensten Seiten – auch von nordamerikanischen Medien – wegen Auston Matthews kontaktiert.

Bleiben wir in der Schweiz: Die NLA ist nicht bekannt dafür, Talente zu entwickeln. Wie hoch sind die Chancen, dass nun nach Matthews weitere nordamerikanische Jung-Talente in die NLA kommen? 

Theoretisch ist es möglich, dass es Nachahmer-Aktionen geben könnte. Allerdings muss man berücksichtigen, dass es sehr selten ist, dass ein hochkarätiges Jungtalent mit einem Geburtstag im Frühherbst die Möglichkeit in Betracht zieht, in seinem Draft-Jahr in Europa spielen zu wollen. Solche Konstellationen sind selten. In diesem Jahr gibt es weniger als eine Handvoll Spieler, die in Frage kommen könnten, diese sind aber nicht von der Klasse eines Auston Matthews. Ich beurteile sie doch immerhin als gut genug, um bereits durchschnittliche Ausländerleistungen abliefern zu können; so dominant wie Matthews wären sie aber nicht.

Zum Abschluss noch ein Blick auf die kommende Saison: Du amtest auch als Scout des EHC Biel. Wie gross ist die «Angst» vor einem Karriere-Einbruch von Jonas Hiller, wie das damals Aebischer erleben musste?

Es wäre naiv, diese Angst komplett zu negieren, dieses Risikopotenzial ist gegeben. Ich glaube aber, dass das Chancenpotenzial das Risikopotenzial übersteigt und die Wahrscheinlichkeit des negativen Szenarios ist ziemlich gering. Aus diesen Gründen ist die Verpflichtung von Hiller für Biel als sehr positiv zu bewerten. Es ist ja sonst für ein Team wie Biel fast gänzlich unmöglich, Schweizer Topspieler verpflichten zu können, weil die allesamt in Zürich, Lugano, Zug, Davos, Bern oder Genf landen. Biel muss versuchen, andere Wege zu beschreiten, z.B. mit unterschätzten NLB-Spielern, Nachwuchsspielern mit Potenzial oder eben auch mal ein kleines Risiko eingehen, wie mit der Verpflichtung von Hiller.

That’s it. Ich danke dir vielmals, dass du dir die Zeit genommen hast.

Vielen Dank. Ich wünsche allen einen spannenden NHL Draft.

 

(Der NHL Draft findet dieses Jahr in Buffalo statt. Die erste Runde beginnt heute Nacht um 00.30 Uhr, die Runden 2-7 finden am Samstag ab 16.00 Uhr statt.)

 

(Bild: Brace Hemmelgarn/Icon SMI, Melanie Duchene, Pascal Muller/EQ Images)