Von Prof. Dr. Christian Glahn, Leiter Blended Learning Center HTW Chur
Das HTW Blended Learning Center besucht im Rahmen der ersten Studienreise digital learning gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Schweizer FHs in Boston und San Francisco Institutionen und Unternehmen, in denen digitale Lerntechnologien eingesetzt werden.
Im zweiten Teil zum problemorientierten Lernen mit digitalen Technologien stand ein Besuch im ersten FabLab der FabFoundation auf dem Programm. Bei den FabLabs steht weniger die formale Bildung im Vordergrund als das Lernen und Vermitteln als Teil der informellen Gemeinschaftsbildung. Dabei streben die FabLabs die allgemeine Befähigung digitale Technologien und Anwendu g von Produktionstechniken im Alltag an. In diesem Sinn verfolgen die FabLabs nach dem Motto «How to create almost everything» die Befähigung der gesamten Gesellschaft.
Die Aktivitäten in den FabLabs beinhalten immer einen Vermittlungsteil, in denen Interessierte aus allen Altergruppen im Umgang mit verschiedenen Technologien befähigt werden und sich gegenseitig bei der Umsetzung von Projektideen unterstützen. Ein wichtiger Teil der Arbeit in den FabLabs ist eine offene Fehlerkultur. Gerade im Umgang mit den digitalen Technologien ist das wichtig, weil es für viele Ideen noch keine Musterlösungen gibt, oder weil verschiedene Arbeitstechniken und Technologien neu kombiniert werden.
Bildungstechnologien beschleunigen mit LearnLaunch
Die Delegation hat abschliessend den Bildungstechnologie-Accellerator LearnLaunch besucht. LearnLaunch unterstützt ausschliesslich Startups mit bildungstechnologischen Geschäftsideen. LearnLaunch verbindet einen Co-working Space mit einem Business Angel Konzept, um speziell bildungstechnologische Startups durch eine besondere und integrierende Arbeitsumgebung zu entwickeln. Damit soll der besonderen Herausforderung des Bildungsmarktes begegnet werden, die von Startups ein wesentlich längeres Durchhaltevermögen erfordert als in anderen Bereichen. Ein wichtiger Punkt in der Ausrichtung von LearnLauch ist die Entwicklung eines Ökosystems für bildungstechnologische Unternehmen, in dem sie nicht in Konkurrenz stehen, somdern sich gegenseitig ergänzen können.
Bevor ein Startup von LearnLaunch unterstützt wird, sind folgende Kriterien wichtig:
- Analyse der Geschäftsidee in Bezug auf das Markpotential im Bildungssektor.
- Innovative Ideen für einen Bildungssektor.
- Skalierbarkeit der Ideen durch die genutzte Technologie.
- Vision und Ergebnisorientierung des Startup Teams.
In der Diskussion wurde deutlich, dass Bildungstechnologien nicht nur den Lerntools und Inhalte abdecken und auf einen regionalen Markt beschränkt sind. Stattdessen gibt es im Bereich der Schulen, der Universtäten, der Aus- und Weiterbildung und des betrieblichen Lernens viele organisatorische und operative Herausforderungen, die durch Technologien verbessert werden können aber nur indirekt mit Lernprozessen verknüpft sind. Laut LearnLaunch gibt es dabei kaum echte regionale oder nationale Barrieren für eine bestimmte Technologie. Die Barrieren finden sich eher auf adminitrativen und regulatorischen Ebenen. Aus diesem Grund fordert LearnLaunch von ihren Startups eine globale Perspektive auf Lern- und Bildungsprobleme.
Für LearnLaunch ist diese Orientierung nicht nur auf Startups beschränkt. Vielmehr werden auch lokal und regional operierende Institutionen Schwierigkeiten haben, wenn sie in ihren Angeboten die globale Perspektive nicht antizipieren.
Der Mittwoch der Studienreise umfasste den Transfer von Boston nach San Francisco. Am Donnerstag hat sich die Gruppe an der Stanford University Fernlaboratorien im Riedel-Kruse Lab, VR-Lösungen im Virtual Human Interaction Lab und Learning Analytics im Lytics Lab angesehen. Am Nachmittag standen Besuche bei Google und Coursera, bei denen die MOOC Lösungen und Strategien der beiden Firmen diskutiert wurden.
Stanford University Labs -Fernlaboratorien, Virtueller Realität und Learning Analytics
Am Vormittag waren wir auf dem Standford Campus. Dort gibt es viele Initiativen, die sich mit den verschiedenen Formen von digitalen Technologien und Lernen befassen. Leider hatten wir nur drei Stunden Zeit und konnte deshalb nur einen kleinen Einblick in die Aktivitäten bekommen.
Fernlaboratorien zur Verbindung von Lernen und Forschung
Die erste Station in Stanford war das mikrobiologische Riedel-Kruse Lab. Eigentlich unter dem Thema „Gamification» wurden Konzepte zur Verwendung einfacher Technologien zur Durchführung einfacher mikrobiologischer Experimente an drei Beispielen vorgestellt, die im Lab umgesetzt wurden.
Das erste Beispiel war eine Lösung mit dem ein Smart Phone in ein Mikroskop verwandelt werden kann. Dazu wird ein einfaches Linsensystem vor der Smart Phone Kamera fixiert. Der Präparatträger wird durch ein Stativ aus dem 3D Drucker unter der Linse fixiert. Damit können mit dem Smart Phone nicht nur Fotos generiert werden, sondern bei lebenden Präparaten auch Videos aufgezeichnet werden. Mit besonderen Apps können dann zusätzliche Experimente auf dem Smart Phone vorbereitet und durchgeführt werden. Solche Apps können auch spielerische Elemente enthalten, wie mit der App Microbe-Soccer demonstriert wurde.
Das zweite Beispiel waren Fernlaboratorien, mit denen Studierende vorgegebene Experimente mit echten Proben durchführen können. Diese Experimente können orts- und zeitunabhängig über das Internet durchgeführt werden, so dass die Studierenden nicht an die Öffnungszeiten eines Labors gebunden sind und auch nicht an der Stanford Universität studieren müssen.
Diese Fernlaboratorien sind derzeit mit einem Experiment zum Verhalten von fotosensitiven Mikroorganismen eingerichtet. Das Fernlaboratorium erlaubt die Fernsteuerung der Lichtquellen sowie die Aufzeichnung und Auswertung der Reaktionen von Einzellern auf die Lichtimpulse.
Das dritte Beispiel war ein Experiment, in dem Studierende per Touch-Bildschirm Licht in unterschiedlichen Wellenlängen auf Teile des Präparats ausrichten können. Auch mit diesem Experiment können die Studierenden das Verhalten von Mikroorganismen in Bezug auf unterschiedliche Wellenlängen untersuchen. Auch bei diesem Aufbau müssen die Studierenden nicht im Labor anwesend sein, sondern können das Experiment fernsteuern und anpassen.
Auch dieses Experiment wurde mit handelsüblicher und kostengünstiger Technologie realisiert. Dadurch kann es leicht nachgebaut und in mehreren Ausführungen angeboten werden.
Die grosse Herausforderung an solche Fernlaboratorien ist die Flexibilität: Die Studierenden können nur einem vorgegebenen Rahmen mit dem Experiment arbeiten, ohne anwesend zu sein. Variationen des Experiments sind nur bedingt möglich. Mit Hilfe von Robotertechnologie liesse sich die Flexibilität wahrscheinlich erreichen, aber es wurden erst erste Schritte unternommen, so dass die Erfahrungen nur grob skizziert wurden. Einen LEGO-Prototypen für ein solches Roboterlab wurde gezeigt, konnte aber aus zeitlichen Gründen nicht demonstriert werden.
Immersion in virtuelle Welten für das Lernen
Die zweite Station in Stanford war das Virtual Human Interaction Lab. In diesem Forschungslab wird die Immersion in virtuellen 3D-Welten untersucht. Mit Hilfe von Head-up Displays (HUD) können Menschen in fast fotorealistische virtuelle Welten eintauchen. Je mehr Sinne (z.B. sehen, hören, tasten) in solchen Umgebungen angesprochen werden, je schwieriger fällt es Menschen zwischen dem physischen Raum in dem sich ihr Körper befindet und dem virtuellen Raum zu unterscheiden.
Mit Hilfe dieser Technologien können verschiedene Formen von sozialer und räumlicher Interaktion simuliert werden, in die sich die jeweilige Person im echten Leben nicht bringen könnte. Dazu gehört z.B. die Hautfarbe oder das Geschlecht wechseln. Damit kann der Umgang mit Stereotypen und Rollenbildern bewusst gemacht werden.
Learning Analytics im Lytics Lab
Die letzte Station in Stanford war das Lytics Lab. Dieses Lab befasst sich mit der Nutzung von Daten zur Unterstützung von Lernprozessen. Solche Daten können zur Personalisierung von Lernprozessen und zur Beurteilung von Unterrichtsprozessen verwendet werden. Im Lytics Lab wird versucht, Theorie- und Daten-geleitete Konzepte zu verbinden. Bei der Analyse der Daten hat sich bestätigt, dass der zeitliche Umfang eines Lernangebots nur wenig Einfluss auf den Lernerfolg hat.
Aus Sicht des Lytics Labs ist die moderne Entwicklung von online Lernangeboten von 8 Teildisziplinen beeinflusst.
- Den Fachdisziplinen
- Bildungs- und Kognitionswissenschaften
- Lern- und Nutzererlebnis (User-Experience)
- Lern- und Bildungstechnologien
- Projekt-Management
- Design und Gestaltung
- Software-Entwicklung
- Didaktik
Der Erfolg eines Lernangebots lässt sich vom Zusammenspiel dieser Teildisziplinen herleiten. In Summe bilden diese Teildisziplinen einen Bereich der angewandten Grundlagenforschung. Die Leiterin des Lytics Labs, Candace Thille, bezeichnet diesen Bereich als den sogenannten Pasteur-Quadranten. Einem Bereich der Forschung sowohl die Grundlagenforschung als auch die praktische Anwendbarkeit in den Vordergrund stellt.
Google – Open Online Education
Am Nachmittag hat uns zuerst Google beim Google Education Programm empfangen. Dort wurde Googles Version von MOOCs vorgestellt: Course Builder. Course Builder ist eine Inhaltszentrische Plattform, die durch ein einfaches Identity Management (Nutzerverwaltung) und einer Analyse Komponente ergänzt wird.
Die Idee hinter Google Course Builder ist die Skalierbarkeit von Lernangeboten. Im Vordergrund steht dabei kein besonderes didaktisches Modell, sondern die Verfügbarkeit von Lerninhalten beim gleichzeitigen Verfolgen der Lernaktivitäten. Letzteres kann zum Einen explizit durch Mikro-Tests erreicht werden, die wahlweise direkt in die Lernmaterialien eingebettet werden können; zum Anderen stellt Google Course Builder eine Analysefunktion zur Verfügung, mit der die Aktivität der Lernenden nach verschiedenen Kriterien ausgewertet werden kann. Course Builder wurde für die Google App Engine entwickelt und steht im Quellcode zur Verfügung. Institutionen können damit die Umgebung an ihre Bedürfnisse anpassen und erweitern. Zum Ausführen muss das Ergebnis in der App Engine Umgebung laufen, die separat angemietet werden muss. In dieser Umgebung bleiben alle Daten im Besitz der ausführenden Institution.
Google Course Builder ist jedoch auf einfache Web-basierte Inhalte beschränkt und verfügt über keine Funktionen zur Zusammenarbeit. Um diese Funktionalität in einem Lernmodul anbieten zu können, müssen externe Dienste eingebunden werden. Standardmässig werden die Google Dienste angeboten, z.B. Google Plus für Diskussionen oder Google Drive für den Dateiaustausch. In diesen Fällen verlassen die Lernenden jedoch die Lernumgebung, so dass die Daten aus der jeweils anderen Umgebung nicht mehr im Lernprozess zur Verfügung stehen.
Google Course Builder ist jedoch nicht die einzige Lösung, die Google für die Unterstützung von Lernprozessen anbietet. Das zweite Produkt das uns vorgestellt wurde sind Google Expeditions. Google Expeditions basiert auf Google Cardboard, einer einfachen Lösung, mit der jedes Smart Phone in eine Virtual Reality Brille verwandelt werden kann. Diese Lösung basiert auf 3D-Videos, die in YouTube gespeichert sind. Lehrende können mit diesen Videos virtuelle Expeditionen mit ihrer Klasse durchführen. Google Expeditions verfügt dafür über ein einfaches Steuerungswerkzeug, dass es Lehrenden ermöglicht, die Klasse zu führen, so dass die Lernenden das entsprechende Video nicht selbst auswählen müssen. Google Course Builder und Expeditions sind jedoch nicht integriert.
Berkley Resource Center For Online Education
Am Vormittag waren wir an einer weiteren Traditionsuniversität der USA: Berkley University. Dort waren wir zu Gast bei der Berkley Extension. Die Berkley Extension fokussiert auf untypische Studierende. Dies sind überwiegend Fachkräfte mit Berufserfahrung. Die Berkley Extension bietet 72 Weiterbildungsangebote an und hat über 30’000 Teilnehmer. Diese Angebote entsprechen im Wesentlichen den CAS und MAS Programmen der Schweizer Hochschulen. Gleichzeitig ist die Berkley Extension Selbsttragend, d.h. formal ist sie nicht Teil der Hochschule und erhält auch keine Unterstützung für die Aus- und Weiterbildung.
Seit 2000 gibt es das Berkley Resource Center for Online Education und seit 2012 hat Berkley eine Gesamtinstitutionelle Online-Strategie. Das Berkley Resource Center ist Teil der Berkley Extension und entsprechend ist auch das Resource Center for Online Education selbsttragend. Am Resource Center arbeiten ca. 50 Mitarbeiter, von denen etwa 20 für die didaktische Konzeption und Feinarbeit der Angebote beschäftigt sind. Mit der online Strategie hat das Resource Center die Verantwortung für online Lernangebote und Infrastrukturen von der zentralen IT in Berkley übernommen, weil deutlich wurde, dass sich online Aus- und Weiterbildung nicht ausschliesslich auf technische Funktionen reduzieren lässt. Von dieser Strategie erhofft sich Berkley einen Transfer von online Strategien in die konventionelle akademische Lehre.
Das Berkley Resource Center stellt sicher, dass online Lernangebote an der Berkley Universität sich nicht organisch als „Wildwuchs» entwickeln. Zusätzlich sichert das Resource Center die wirtschaftliche Tragfähigkeit der neuen online Angebote. Die Rolle des Resource Centers in der online Strategie ist die einer Zentralen Fachstelle und Expertisezentrums für alle Professoren und Dozierenden in Berkley. Anders als die anderen besuchten Institutionen setzt Berkley nicht auf MOOCs. Stattdessen stehen kleine personalisierte online Angebote im Zentrum der Arbeiten. Dazu gehören inzwischen drei online Masterprogramme mit Schwerpunkt auf die berufliche Weiterqualifikation, von denen der erste 2015 gestartet wurde.
Die Herausforderungen vor denen das Berkley Resource Center steht sind sehr hohe Qualitätsanforderungen, lange Entwicklungszyklen (3 Jahre für ein online Masterprogramm) sowie die Forderung der Hochschule, dass die Module genauso wie konventionelle Universitätsangebote durchgeführt werden. Der letzte Punkt führt dazu, dass die online Kurse keine günstigere Durchführung ergeben, weil die Anzahl der Studierenden trotz vorhandener Technologien und Didaktiken nicht erhöht wird. Gleichzeitig machen die online Kurse auch keine Verluste, weil die Kosten für das Angebot ebenfalls genauso hoch sind wie bei Angeboten im Kontaktmodus.
(Bilder: zVg.)