Eine Geburtstags-Soirée für den grössten Sohn des Zauberbergs: Wo anders als auf der Schatzalp hätte man diesen feiern sollen als dort, wo man zwischen «Atemzug und Röntgenbild» lebte?
«Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.» So beginnt der «Zauberberg» von Thomas Mann und damit der Auftritt von Hans Castorp in der Weltliteratur. Aus drei Wochen werden sieben Jahre, aus den ersten beiden Sätzen fast 1000 Seiten zwischen zwei Buchdeckeln (S. Fischer Verlag, 1995).
118 Jahre später wird Hans Castorp auf der Schatzalp wiederbelebt. Man trifft sich zu einer Soirée auf dem Zauberberg, mit Apero in der Halle, einem Dinner im Belle-Epoque-Saal und zum Dessert einem Ball in der Halle. Dazwischen zaubert ein Magier eine 20er Note aus einer Zitrone. Die Tische und Stühle sind in weisses Tuch verpackt; neben den schneeweissen Tellern liegt Silberbesteck. Die gut 90 Gäste sind ebenfalls in feines Tuch verpackt: Es glitzern die 20er Jahre, auf den Häuptern Federn und Zylinder. Durch die riesigen Fenster sieht man Wolken vorbei ziehen; ab und zu geben sie den Blick auf die gegenüberliegende Bergkette frei. Wenn der Nebel zu dick ist, fühlt man sich wie auf einer Insel – der Welt entrückt, allein im Universum. Der einzige Unterschied zur Welt vor 120 Jahren: Die Tuberkulose als ständige Mitbewohnerin ist nur noch ein Schatten in der Weltgeschichte.
Zwischen den Gängen («Er hatte allen sieben Tischen des Speisesaales gesessen, an jedem ungefähr ein Jahr») spielen Johnny Ferrari, Petra Aleardi und Lorenz Polin Dialoge aus dem Zauberberg. Hans Castorp debattiert mit Ludovico Settembrini über das Leben und die Liebe; als ewige Verführung winkt Clawdia Chauchat mit dem Stock. Es fallen Sätze wie: «Man lebt hier zwischen Atemzug und Röntgenbild», «an diesem Ort zwischen Lethargie und Landschaft», «sind sie gekommen um zu träumen oder zu atmen» und «die Romantik mag gut klingen, aber sie verführt zum Irrationalismus». Man will sich nur zu gern in die Diskussion einbringen; doch das würde die Worte, die das Geburtstagskind den Protagonisten seines Romans in den Mund gelegt hat, zerstören. So wird als Zuschauer:in nicht debattiert, sondern geatmet – eine sinngemässe Verfremdung eines Zitats von Hans Castorp über Clawdia Chauchat: «Weil sie nicht debattiert, sondern atmet».
Der Abend endet mit einem Tanz und einer zur damaligen Zeit üblichen Séance. Man kann sich schlecht vorstellen, dass zwischen der Liegekur am Morgen und der Liegekur am Abend und der Nachtruhe noch Energie für ein Tänzchen blieb (man nannte das damals «Kurmusik») – aber an diesem Abend wird die grosse Halle zum Schauplatz grossartiger Tänzerinnen und Tänzer. Der Magier zaubert zum Abschied aus den Worten Nashorn, Asthma und Emoji «150 Jahre Thomas Mann».
«Wird aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmsten Fieberbrunst, die rings den gegnerischen Abendhimmel entzündet, einmal die Liebe steigen?», schrieb Thomas Mann im letzten Satz des «Zauberbergs». Hans Castorps Leben verliert sich nach den sieben Jahren in Davos-Platz in den Feldern Flanderns im Krieg. Die Gäste, die nur einen Abend lang blieben, fahren mit der letzten Bahn ins Tal. Thomas Mann in Gedanken; ein strahlendes Lachen im Gesicht.
(Bilder: Christian Rogantini; Organisation: Fachstelle Kultur Davos, Christoph Luzi; Regie: Felicitas Heyerich)