«Es sind die Menschen und ihre Geschichten»

«Laut gedacht» heisst das aktuelle Buch des Prättigauer Journalisten Christian Imhof. Im Interview erzählt der Redaktionsleiter des «Prättigauer & Herrschäftlers», warum es sich lohnen kann, sich für den Journalismus zu begeistern – auch wenn es dazu «Haltung» und zuweilen auch ein «dickeres Fell» braucht. 

Christian Imhof, Sie nennen Ihren neuen Titel «Laut gedacht» ein «Medienbegeisterungbuch». Jetzt wissen wir alle, dass die klassischen Medien in einer anhaltenden Krise stecken, Zeitungstitel werden zusammengelegt, die Verlage klagen über Geldmangel angesichts schwindender Einnahmen durch Inserate, die Journalisten über zu wenig Zeit für gute Arbeit, wofür kann man sich in dieser Lage denn noch begeistern?

Es sind die Menschen und ihre Geschichten, die mich begeistern. Bei jedem Gespräch kann ich vieles und immer wieder Neues für mein Leben mitnehmen. Die Arbeit ist spannend, jeden Tag anders und sehr abwechslungsreich. Ausserdem liebe ich das Erzählen. Ich fühle mich hin und wieder wie ein Geschichtensammler, der gar nicht anders kann, als immer weiter zu schreiben. Dieses Feuer – für die Menschen und ihre aussergewöhnlichen Geschichten – versuche ich im Buch weiterzugeben.

D’accord. Bleibt allerdings die Krise der klassischen Printmedien, in die sich junge Kollegen hineinbegeben, wenn sie Ihrer Begeisterung folgen. Wie schätzen Sie die Zukunft der klassischen lokalen und regionalen Printmedien ein?

Ich denke, dass guter Lokaljournalismus immer einen Weg zu den Leuten finden wird. Vieles wird sich ins Internet verlagern, aber ganz verschwinden werden Printprodukte nie. Die haptische Erfahrung, eine Zeitung umzublättern, das gibt es bei einem digitalen Gerät einfach nicht. Bücher wurden ja seit der Erfindung der E-Reader auch schon oft totgesagt, doch heute sieht man in der Öffentlichkeit immer mehr Leute, die mit einem echten Buch unterwegs sind. 

Also doch keine umfassende Krise der Printmedien?

Für den Lokaljournalismus bin ich optimistisch, für die grossen Verlagshäuser eher weniger. Den Entscheid, verschiedene Lokalzeitungen mit nur einem «Mantelteil», also einem identischen überregionalen Bund, finde ich suboptimal, weil so jede Zeitung abgesehen von zwei, drei Seiten gleich aussieht. Die Leserinnen und Leser lassen sich glücklicherweise nicht mehr für dumm verkaufen und greifen dann vermehrt zu eigenständigen regionalen Titeln. Ich habe das Gefühl, dass die Dinge, die vor der Haustüre passieren, mehr interessieren als Meldungen aus dem Ausland. Die hat man heute meist auch schon 15-mal gehört, wenn die Zeitung im Briefkasten liegt.

Sie selbst sind täglich als Lokaljournalist unterwegs, ein Kapitel in Ihrem Buch trägt den Titel «Geschichten spielen vor Ort». Was heisst das für den Lokalredaktor?

Dass man hingehen sollte, wenn irgendwo etwas passiert oder veranstaltet wird. Das Ergebnis wird immer ein anderes sein, als wenn man nur Pressetexte redigiert oder kurz anruft, um sich den Weg zu ersparen. Die Geschichten werden authentischer, als wenn man bloss Fragen mailt oder telefoniert. Beiträge, die beim Publikum unter die Haut gehen, sind nie Schnellschüsse, sie entstehen durch genaues Hinhören, Beobachten und das Aufnehmen der Atmosphäre. Und das geht eben nur durch «Vor-Ort-sein». Deshalb kann ich es allen Journalisten nur ans Herz legen, raus auf die Jagd nach Geschichten zu gehen, statt in der Redaktion zu sitzen und vergebens auf gute Stories zu warten. 

Nah an den Menschen, nah an den Geschichten, das heisst auch nah dran sein an den Reaktionen auf einen Zeitungsbericht. Da kann man als Lokalreporter auch schnell mal ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Wie gehen Sie damit um?

Solider Journalismus kann und darf auch gar nicht allen gefallen. Ich bin ein Mensch, der alle Meinungen zulässt, sich selber und seinen Prinzipen aber treu bleibt. Wer Kritik ernst nimmt und eine Kommunikation auf Augenhöhe pflegt, kann auch wirklich wachsen als Journalist und Mensch. In den knapp vier Jahren als Redaktionsleiter vom «Prättigauer & Herrschäftler» musste ich mir ein dickeres Fell zulegen und lernen, Kritik nicht allzu persönlich zu nehmen. Und von einem einzelnen negativen Kommentar sollte man nicht automatisch auf alle Leserinnen und Leser schliessen. Es wird meist schneller reklamiert als gelobt. Aber man kann auch selbst ein Stück weit beeinflussen, wie das Publikum reagiert. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es bekanntlich zurück. Wer Menschen also gegeneinander aufhetzt, statt sie zusammenzubringen, muss sich nicht wundern, wenn der Ton von aussen harscher wird.

Seinen Prinzipien treu bleiben, aber sie nicht militant vertreten – ist es das, was Sie im Buch mit «Haltung» beschreiben?  

Genau. Denn die lautesten sind nicht immer die, die recht haben. Meine Erfahrung zeigt, dass man mit Argumenten besser fährt als mit Lautstärke.

Ihre Haltung zeigt sich ja auch regelmässig in Ihrer Zeitungskolumne «Laut gedacht», die Ihrem Buch den Titel geliehen hat. Was reizt Sie daran, ab und aus dem Korsett des Berichterstatters auszubrechen und Dinge auch mit einem persönlichen Blick aufs Korn zu nehmen? 

Die persönliche Note verleiht Würze und lässt Nähe zu. Zudem gibt es in der heutigen Zeit genügend schlechte Nachrichten, sodass ein paar witzige Anekdoten aus dem Leben dem Ganzen ein wenig Leichtigkeit schenken. Es ist auch für mich eine schöne Abwechslung neben den Hardfacts hin und wieder frei und kreativ zu schreiben. Ausserdem finde ich es auch für mich als Leser immer interessant, zu wissen, wer hinter den Texten steckt und ob es Parallelen zu meinem Alltag gibt.  

Ist dass dann der Grund, warum Sie in Ihren Kolumnen, wie man sie auch im Buch findet, teils Anekdoten aus Ihrem privaten Alltag zum Thema machen? Damit Ihr Publikum weiss, wie Christian Imhof als Mensch ist?

Das ist in der Tat so. Eine Geschichte wird anders wahrgenommen, wenn man zeigt, dass man auch Mensch mit Stärken und Schwächen ist. Das unterscheidet uns doch von der KI. 

Machen Ihnen diese elektronischen Textautomaten Sorgen? Oft heisst es ja, Journalisten brauche es bald gar nicht mehr?

Nein, gar nicht. Sprachmodelle wie «ChatGPT» erschaffen keine Brillanz, kennen keine Haltung und Moral. Alle Texte, die von einem Computer verfasst werden, bauen auf Dingen auf, die schon mal da waren und können auch gar nicht wirklich etwas Neues zu Tage fördern. Der Mensch als Autor kann nicht ersetzt werden, denn er kennt Gesetze und kann sich in Menschen einfühlen. Die menschliche Komponente ist die Würze, die dafür sorgt, dass der Journalismus eine Zukunft hat.  

Das Buch «Laut gedacht» ist im Verlag qultur.ch erhältlich – und überall, wo es Bücher gibt.

(Bild: zVg)