Im Juni 2024 führten starke Gewitter im Misox zu erheblichen Schäden. Dabei kamen zwei Menschen ums Leben, eine Person gilt immer noch als vermisst. Eine Analyse des Ereignisses zeigt auf, dass dieses als «grosses – sehr grosses» Ereignis einzustufen ist, das alle 100 bis 300 Jahre eintreten kann. Das Amt für Wald und Naturgefahren (AWN) überarbeitet nun gestützt auf die Ereignisanalyse die bestehenden Gefahrenkarten.
Am Abend des 21. Juni 2024 führten intensive Gewitter im gesamten Misox zu Verwüstungen. Murgänge und Übersarungen aus Bächen sowie spontane Hangmuren verursachten beträchtliche Schäden im Tal. Zwei Menschen verloren ihr Leben. Eine Person gilt immer noch als vermisst. Fünf Wohnhäuser wurden durch das Unwetter vollständig zerstört, viele weitere beschädigt. Die Nationalstrasse A13 und abschnittsweise auch die Kantonsstrasse waren für mehrere Tage vollständig oder teilweise unterbrochen. Neben der Umsetzung von Sofortmassnahmen war es entscheidend, die einzelnen Ereignisse zu dokumentieren und ihre Dimensionen einzuordnen. Das geowissenschaftliche Büro geo7 aus Bern hat im Auftrag des AWN eine detaillierte Ereignisanalyse für das Misox durchgeführt.
Hierzu wurden aus über 50 Bächen, bei denen Ereignisse und Schäden dokumentiert wurden, 18 ausgewählt. Für diese 18 Bäche erstellte das externe Büro eine Analyse mit dem Ziel, möglichst rasch einen Überblick über die abgelaufenen Prozesse zu gewinnen. Basierend auf den vorliegenden Informationen konnte das AWN das Ereignis einer theoretischen Wiederkehrperiode einordnen. Diese Einordnung ist für die Überarbeitung der Gefahrenkarte entscheidend, weil für Ereignisse mit einer Wiederkehrperiode von mehr als 300 Jahren keine Gefahrenzonen ausgeschieden werden.
Hohe lokale Ereignisdichte
Auslösender Faktor für die Murgänge war eine Reihe von sehr starken Gewittern. Gemäss der Analyse von MeteoSchweiz gab es am 21. Juni 2024 zwei kurz aufeinanderfolgende 30-minütige Starkniederschlagsphasen. Die Intensität einer solchen Phase entspricht einem Ereignis, das statistisch alle 30 Jahre auftritt. Im Hauptniederschlagszentrum im mittleren Misox fehlt allerdings eine Messstation, um die Wiederkehrperiode zuverlässig zu bestimmen. Der
Einfluss des niederschlagsreichen Frühlings dürfte das Ereignis verstärkt haben.
Auffallend für die Expertengruppe war insbesondere die hohe lokale Ereignisdichte: In der Region zwischen Cama und Cabbiolo (Gemeinde Lostallo) kam es in fast jedem Bach zu einem Murgang, und auch weiter nördlich bis nach Mesocco gab es Murgänge.
Grosse – sehr grosse Ereignisse
In zwei Dritteln der analysierten 18 Bäche wurde das Unwetterereignis vom Juni 2024 als «grosses – sehr grosses» Ereignis eingestuft. In Bezug auf die in den Gefahrenkarten verwendeten Jährlichkeiten heisst das, dass ein solches Ereignis eine theoretische Wiederkehrperiode von 100 bis 300 Jahren aufweist. Im restlichen Drittel kam diese erste Einordnung zum Ergebnis, dass es sich um ein «kleines – mittleres» Ereignis handelte. Die theoretische Wiederkehrperiode beträgt 30 bis 100 Jahre. Auch wurden bei allen untersuchten Bächen Hinweise gefunden, dass frühere Ereignisse ähnlich abgelaufen sind oder grössere Ereignisse möglich wären. Aufgrund der Analyse empfiehlt die Expertengruppe vom Büro geo7 dem Amt für Wald und Naturgefahren, die Gefahrenkarten der analysierten Bäche zu überprüfen und wo nötig zu überarbeiten.
Arbeiten werden bereits umgesetzt
«Wir nehmen die Empfehlungen vom Büro geo7 auf und sind dankbar für die detaillierte Analyse, die uns bei unserer Arbeit unterstützt. Viele Arbeiten sind bereits umgesetzt worden oder in Gang», sagt Kantonsförster Urban Maissen, Leiter des Amts für Wald und Naturgefahren. Die bereits eingeleitete Überprüfung der Gefahrenkarten im Misox für den Prozess Wasser hat ergeben, dass den Gefahrenkarten zugrunde liegende Geschiebepotenzial tiefer angenommen wurde, als es am 21. Juni 2024 real passiert ist. Für die Mobilisierung des Geschiebes waren intensive Niederschläge sowie die vorgängig nasse Witterung verantwortlich. In der Folge gelangten enorme Geschiebemengen bis in die Talsohle.
Erste Ergebnisse werden im ersten Quartal 2025 erwartet
Aufgrund der hohen lokalen Ereignisdichte hat das AWN eine Priorisierung der Überarbeitungen der Gefahrenkarten vorgenommen. Dabei wurden neben der Übereinstimmung der bestehenden Gefahrenkarten insbesondere das potenzielle Schadensrisiko berücksichtigt. Für Gebiete mit höchster Priorität, darunter Rià de Polon, Rià de la Val del Bianch, Rià de la Molera und Rià Bosch Grass, laufen die ersten Überarbeitungen bereits und weitere werden in Auftrag gegeben. Die vorhandenen und wieder instand gestellten Schutzbauten sowie die Auswirkungen des Klimawandels werden dabei berücksichtigt. Die ersten Ergebnisse für diese Gebiete werden im ersten Quartal 2025 erwartet. Diese neuen Gefahrenkarten werden als Grundlage für die Überarbeitung der Gefahrenzonen in den betroffenen Gemeinden sowie zur Evaluation und Dimensionierung allfälliger Hochwasserschutzmassnahmen dienen.
«Der Klimawandel hat diesen Sommer in der Schweiz und, in vielen europäischen Ländern, seinen Einfluss auf Naturereignisse gezeigt. Zum Beispiel treten Starkniederschlagsereignisse häufiger und mit höherer Intensität auf. Das Auftauen von Permafrost hat neue Hanginstabilitäten zur Folge», sagt Kantonsförster Urban Maissen. In Graubünden werde diesem Umstand bei der Gefahrenbeurteilung, das heisst in der Erarbeitung von Gefahrenkarten bis zur Realisierung robuster Schutzbauwerke Rechnung getragen. «Es gibt hierzu aber kein »Rezept», wir werden alle laufend Erfahrungen machen müssen. Wir stehen hierzu in engem Austausch mit dem Bund, anderen Kantonen sowie Partnern aus der Forschung und der Privatwirtschaft.»
(Archivbild: GRHeute)