Graubünden feiert sich ein fast letztes Mal gross: Mit Bundesrätin, Landammännern, Regierungsrätinnen und dem Freiluft-Theater «1524» von Origen – vor der sagenhaften Kulisse von Lantsch.
Es ist eine Bilderbuch-Landschaft, in die das offizielle Graubünden zum offiziellen Festakt für das 500-Jahr-Jubiläum geladen hat. In ein Kartenhaus aus Holz, aufgestellt von Origen, doch dazu später. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider ist da, die komplette Regierung des Kantons Graubünden, Vertreterinnen und Vertreter von anderen Kantonen und angrenzenden Ländern. Am gegenüberliegenden Hang klebt Stierva am Berg; die Wiesen stürzen sich ins Albulatal. Von der Ferne grüsst die Julier-Passstrasse, links rutscht das Geröll in Richtung Brienz.
Regierungspräsident Jon Domenic Parolini begrüsst die Gäste von heute in Worten von gestern: «Hoch- und Wohlgeachtete, Edle, Gestrenge, Ehren- und Notfeste, fromme, fürsichtige, wohlweise, sondern hochehrende, grossgünstige Herren!» So war das damals, wobei er mit «altezze serenissime oder durchlauchte Hoheiten auch die Damen anspricht: «Fühlen sie sich für einen Abend als Königin, Herzogin oder Contessa!»
«Chronischer Fieberkranker»
Früher, sagte Jon Domenic Parolini, habe man die Regierungsform (den Freistaat) Graubündens mit grossem Misstrauen gesehen, sie sei bestenfalls als organisierte Anarchie, immer wieder erschüttert durch gewalttätige Aufläufe, die sogenannten Fähnlilupfe, gesehen worden, die manche aristokratische Führungsfigur um ihr Vermögen oder sogar um Kopf und Kragen gebracht habe. «Der rätische Freistaat galt den übrigen Kantonen – ich zitiere Fritz Allemann – als ‹chronischer Fieberkranker, den man besser in strikter Quarantäne halte›.»
Eine Rede später zitiert auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider Fritz Allemann: «Manche Kantone lassen sich gerne als eine Eidgenossenschaft in der Eidgenossenschaft nennen. Auf kein anderes Staatswesen aber trifft diese Kennzeichnung exakter zu als auf Graubünden. Es ist viel mehr als ein gewöhnlicher Kanton: Eine Welt für sich, voll der verwirrendsten Gegensätze und Widersprüche.»
In der Pause servieren Absolvierende der EHL in Passugg Sandwiches und Nusstörtchen aus der Küche von Spitzenkoch Hansjörg Ladurner, Koch im Scalottas Terroir, das zum Schweizerhof auf der Lenzerheide gehört. Die Sandwichs haben verschiedene Farben und sind Boden und Deckel für ein Innenleben aus Ackerbohnen, Rauchlachs oder Bündnerfleisch-Tartar. Das Kartenhaus aus Holz wird zu einem Begegnungsort für Politik und Kultur, auf einer Wiese, wie es sie in Graubünden zu Hunderten gibt.
Wir hätten Freunde gebraucht
Diese Wiese wird nur wenig später zum Fenster in die Welt von Giovanni Netzer und seinen Akteuren von Origen. Eine Stimme aus dem Off erzählt die teilweise fiktive Geschichte von Gian Travers, dem einstigen Landeshauptmann, der im Engadin die Reformation vorantrieb. Düstere Klänge wechseln ab mit fröhlichen Weisen; professionelle Tänzer umgeben von Laien spielen die Legende nach. «Wir lebten in einem zerklüfteten Land, in kargen Bergen. Das Leben hat mich den Krieg gelehrt», sagt die Stimme aus dem Off, während die Sonne ihre letzten Strahlen auf den Brienzer Rutsch scheint. «Wir hätten Freunde gebraucht, statt dessen schufen wir uns Untertanen.»
Am Schluss landet Gian Travers im Kerker. Sein Sohn Tumasch ist im Krieg gefallen. «Es werden dunkle Tage kommen. Die Welt muss sich versöhnen. Ich habe mein Leben gelebt. Ich habe versagt», sagt die Stimme aus dem Off. Auf der Bühne läuft der Tod in dunklen Gestalten über die Wiese davon. Von Ferne leuchtet die Kirche von Stiervas, die Weibelinnen und Weibel fahren ihre Würdenträger:innen wieder nach Hause.
Es ist wieder 2024 in Lantsch.
Das Freilichtspiel «1524» wird noch bis am 12. Oktober jeweils um 18:30 Uhr aufgeführt. Wir empfehlen dringend warme, windfeste Kleidung! Mehr dazu: origen.ch.
(Bilder: zVg/Mattias Nutt/Benjamin Hofmann)