Joachim B. Schmidt erhält für «Tell» den mit 10’000 Franken dotierten Bündner Literaturpreis 2023. Eine zügige, spannende und kluge Geschichte, pfiffig und brillant erzählt.
Joachim B. Schmidt, aufgewachsen am Heinzenberg, wanderte vor sechzehn Jahren nach Island aus. Reykjavik ist Genua, ist Foggia, ist St. Petersburg oder Venedig. Und so ist die Jury des Bündner Literaturpreises glücklich, dass die Zuckerbäcker von gestern heutzutage Schriftsteller sind, wie sie in einer Mitteilung vom Dienstag schreibt. Und wie die Jost, Gadmer und Klaingutti einst, kehrt auch Joachim Schmidt immer wieder zurück. Er schreibt im «Pöstli» und in der «Bündner Zeitung» und feiert die meisten seiner Buchvernissagen am Heinzenberg.
«Mitten auf der Wiese hockt ein Bär.» Schon der erste Satz ist stark. Und von diesem einsamen Bären aus spannt Joachim Schmidt Satz um Satz mit Schwung und Sprachfreude das Schicksal des armen Menschen Tell auf. Er taugt nicht für nationale Mythen, er ist ein Knurrhahn und Eigenbrötler, ein Grobian und stinkt nach Mist. Er hat weder Zeit noch Kraft für Freiheitskämpfe, er hat genug mit sich zu tun. Freilich baut Schmidt alles vom Hutgruss über den Apfelschuss bis zum Tyrannenmord in seine Geschichte ein. Und wildert so in den Beständen von Tschudi, Schiller, Frisch, Silvia Andrea Garbald, Annette Hug und anderer Tellen.
Er komponiert die Dramen mit Drehungen, Brechungen, Ironie und unbändiger Fantasie zu einer temporeichen Erzählung. Zwanzig Täterinnen, Opfer und Komplizen berichten in hundert kurzen Sequenzen über Tells Leben – anschaulich, plastisch und mit je eigener Sicht auf Tell. Er selbst tritt markant auf, als er den Apfel vom Kopf seines Sohnes Walter geschossen hat. Nun begleitet ihn der Autor in seine skurrile Gedanken- und Gefühlswelt, dorthin, wo die Sagen und Legenden wohnen. Und er strickt eine um die andere neue dazu, schöpfend auch aus seiner Erfahrung als Älpler am Heinzenberg. Nichts stimmt und alles ist wahr, denn wir lernen von Tell, dass die Wirklichkeit dehnbar ist und die Wahrheit immer auch in der Fantasie der Betrachterin liegt.
Kurz, eine vielfältige Collage und ein Lesevergnügen – ein Pageturner, nun mit dem Bündner Literaturpreis ausgezeichnet. Die Preisverleihung findet am 14. April 2023 um 18.30 Uhr im Alten Konsum in Cazis statt. Es gibt Lobesworte, Dichterworte und zum Umtrunk die Cuvée littéraire 2023 aus dem Weingut Hanspeter Kunz, Fläsch.
(Bild: zVg/Eva Schram)