Ein schwerwiegendes Erdbeben gehört zu den risikoreichsten Gefährdungen für den Kanton und seine Bevölkerung. Die Gefahr, dass es soweit kommt, wird allerdings als gering eingeschätzt. Dennoch: Ein solches Ereignis wäre sehr komplex in der Bewältigung und würde ein enormes Schadenspotenzial mit sich bringen. Dies zeigt die Gesamtkonzeption Erdbeben, welche unter der Leitung des Amts für Militär und Zivilschutz in den vergangenen drei Jahren erarbeitet wurde.
Gemäss dem Erdbebenrisikomodell der Schweiz ist mit einem starken Beben der Magnitude 6,5 rund alle 500 Jahre zu rechnen. Das letzte Erdbeben dieser Stärke im Kanton Graubünden hat sich vor über 700 Jahren im Jahr 1295 in Churwalden ereignet. Ein grosses Erdbeben mit Epizentrum im Kanton Graubünden würde heute schwere Personenschäden sowie Schäden an Gebäuden und der Versorgungsinfrastruktur verursachen. Zudem könnten Sekundärereignisse wie Felsstürze ausgelöst werden oder es könnte zu Umweltschäden beispielsweise durch das Auslaufen von Schadstoffen führen. Der Kanton sowie die betroffenen Gemeinden wären dabei vor grosse Herausforderungen gestellt.
Gemeinsam die Folgen bewältigen
Unter der Annahme eines solch verheerenden Erdbebens hat der Kanton Graubünden die nun vorliegende Gesamtkonzeption Erdbeben erarbeitet. Das Konzept entstand unter der Leitung des Amts für Militär und Zivilschutz (AMZ) in den Jahren 2021 bis 2023 unter Einbezug zahlreicher Fachpersonen des Kantons, von Gemeinden und des Bundes sowie externer Fachpersonen. Ziel dieser Gesamtkonzeption war es, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, wie Kanton, Gemeinden, Bund und Betreibende kritischer Infrastrukturen ein schweres Erdbeben bewältigen können.
In der Gesamtkonzeption wurden Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der verschiedenen Akteure festgelegt. Im Weiteren wurden in einer Defizitanalyse punktuelle Lücken in der Vorsorge, Bewältigung und der anschliessenden Regeneration identifiziert und entsprechende Massnahmen zur Beseitigung dieser Defizite formuliert. Nun liegt es an den festgelegten Dienststellen und den weiteren Akteuren ausserhalb der Verwaltung, sich eingehend mit dem Thema zu befassen und einem allfälligen Optimierungsbedarf nachzukommen.
Von der Vorsorge über die Bewältigung in die Regeneration
Mit der Gesamtkonzeption Erdbeben wurden die Teilbereiche Führung in einer Krisensituation, Information und Kommunikation, Ordnung und Sicherheit, Ortung und Rettung, Versorgung, Räumung und Entsorgung sowie Gebäude und Infrastrukturen eingehend analysiert. Zudem wurden die gewünschten Zielzustände in diesen Bereichen nach einem Erdbeben formuliert. Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch, dass die Wirtschaft nach einem starken Erdbeben möglichst rasch wieder alle Funktionen aufnehmen kann.
In der Vorsorge kommt insbesondere dem Bereich der Gebäude und Infrastrukturen eine zentrale Rolle zu, da das erdbebengerechte Bauen die effektivste Methode zur Verhinderung von Schäden darstellt. Spezialistinnen und Spezialisten des Fachverbands SIA/SGEB dokumentieren Erkenntnisse für das Bauwesen, damit normative Anforderungen und Anpassungen stetig verbessert werden können. Im Kanton Graubünden werden Neubauten und Sanierungen grundsätzlich nach den aktuellen Regeln der Baukunde erstellt.
Aufgrund von bisherigen Erfahrungen sind die Partnerorganisationen des Bevölkerungsschutzes des Kantons Graubünden für die Bewältigung sehr gut aufgestellt, wobei mit Bedarf zusätzlicher Mittel (bspw. der Armee) gerechnet werden muss.
Bevölkerung für Verhalten bei Erdbeben sensibilisieren
Ein wichtiger Punkt ist zudem die Sensibilisierung der Bevölkerung dafür, wie man sich vor, während und nach einem Erdbeben verhalten sollte. Der Schweizerische Erdbebendienst der ETH Zürich hat entsprechende Informationen publiziert. Denn: Erdbeben lassen sich nicht vorhersagen. Mögliche Auswirkungen und Schäden können aber mit einfachen Mitteln verringert werden, zu Hause und in den Ferien.
Bei der Erarbeitung der Gefährdungsanalyse für den Kanton Graubünden haben alle betroffenen kantonalen Stellen (Amt für Wald und Naturgefahren, Amt für Natur und Umwelt, Amt für Energie und Verkehr, Tiefbau- amt, Amt für Raumentwicklung, Amt für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit, Amt für Informatik, Gebäudeversicherung, Kantonspolizei und Gesundheitsamt u. a.) mitgewirkt. Im Weiteren wurde als Unterstützung – insbesondere für die Szenarienerarbeitung und Risikobeurteilung und für die Berichtverfassung – die Firma Ernst Basler + Partner AG, Zollikon, als externe Beratungsfirma beigezogen.
Die Analyse deckt insgesamt 23 untersuchten Gefährdungen aus den Bereichen Natur, Technik und Gesellschaft ab. Die vergleichsweise häufigen naturbedingten Gefährdungen befinden sich in der oberen Hälfte der Risikomatrix, die selteneren technikbedingten Gefährdungen liegen in der unteren Hälfte und die gesellschaftsbedingten Gefährdungen sind über die ganze Matrix verstreut.
Das höchste Risiko für den Kanton Graubünden geht jedoch nicht von einer naturbedingten Gefährdung aus sondern von einer Pandemie. Eine schwerwiegende Pandemie wird mit einer Eintretenshäufigkeit von einmal in 30 bis 100 Jahren erwartet und hat ein sehr hohes Schadenspotenzial; insbesondere ist mit vielen Todesfällen und einer hohen Anzahl Schwerkranker zu rechnen.
Das Szenario „erheblich“ der Gefährdung Unwetter und das Szenario „gross“ der Gefährdung Erdbeben weisen nach der Pandemie das zweithöchste Risiko aus.
Die komplette Studie mit allen Fakten und Wahrscheinlichkeiten gibts hier.
(Beitragsbild: Verwüstung nach Erdbeben im italienischen D’Aquila 2009/Pixabay)