Am 5. März 1972 beschlossen die Bündner Männer, den Frauen das kantonale Stimm- und -wahlrecht zu gewähren. Am Jubiläumstag, macht die Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann in der Rathaushalle in Chur Frauenstimmen sichtbar – mit der Stimm-Performance «Vuschs visiblas – Visible Voices» zu John Cages FOUR6 und einer Ausstellung zum Frauenstimmrecht. Danach geht’s mit Gastspielen in die Regionen.
Graubünden war in Sachen Frauenrechte ein Spätzünder. In anderen Kantonen, etwa in der Westschweiz, konnten die Frauen schon seit 1959/1960 mitbestimmen. Ein Treiber, der dem langjährigen Anliegen der Bündner Frauen 1972 zum Durchbruch verhalf, war sicherlich die Einführung des Stimm- und -wahlrechts auf eidgenössischer Ebene 1971, das im letzen Jahr landesweit ausgiebig gefeiert wurde.
Vielfältige Jubiläumsfeier
Am 5. März 2022, 50 Jahre nach der Urnenabstimmung, lädt die Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann zur kantonalen Jubiläumsfeier in die Rathaushalle in Chur. Mit «Vuschs visiblas – Visibel Voices», einer Performance zu John Cages Stück FOUR6, lassen die Regisseurinnen Manuela Steiner und Marisa Waldburger in den steinernen Gewölben vier Frauenstimmen erklingen. Ihre unterschiedlichen Blickwinkel und Gefühlswelten vermischen sich zu einem vielschichtigen Spiegel auf weiblichen Selbstausdruck und stellen die Frage, wie viel Recht wir uns auf unsere eigene Stimme nehmen dürfen. Die halbstündige Performance wird am Jubiläumstag dreimal aufgeführt (11 Uhr, 14 Uhr, 16 Uhr) und von einer mobilen Ausstellung zum Frauenstimm- und -wahlrecht in Graubünden begleitet. Eröffnet wird das Jubiläumsjahr um 11.30 Uhr von Regierungsrat Jon Domenic Parolini. «Noch ist es keine Generation her, seit die Bündner Frauen mitbestimmen können. Doch für viele junge Frauen ist die politische Beteiligung heutzutage zum Glück eine Selbstverständlichkeit.»
Bedeutung auch für Gemeinden
Mit Gastspielen in Pontresina am 30. Juni und in Davos am 27. August wird der kantonsweiten Bedeutung des Ereignisses Anerkennung gezollt. Zwar waren die Bündner Gemeinden seit 1962 ermächtigt, die Frauen bei kommunalen Angelegenheiten mitbestimmen zu lassen. 1968 setzten fünf Gemeinden dieses Recht erstmals in Kraft: Chur, Landarenca, Marmorera, Pontresina und Sils i.D.. Doch die Ausdehnung des Stimm- und -wahlrechts auf alle Gemeinden und den Kanton wurde im gleichen Jahr vom Stimmvolk abgelehnt. Als es dann 1972 für den Kanton beim zweiten Anlauf klappte, verblieb den Frauen die kommunale Mitbestimmung in 153 von damals 219 Gemeinden nach wie vor verwehrt. Elf Jahre später, 1983, zwang das kantonale Gemeindeobligatorium die letzten 13 Gemeinden, die noch kein kommunales Frauenstimm- und -wahlrecht hatten, dieses einzuführen. Welche das sind, verrät die mobile Ausstellung.
Wählen ist das eine, gewählt werden das andere. Als erste Frauen wurden 1973 die drei Churerinnen Lisa Bener (FDP), Ida Derungs (CVP) und Elisabeth Lardelli (SVP) in den Grossen Rat gewählt. Heute zählt das kantonale Parlament einen Frauenanteil von 21,7 Prozent. Graubünden steht damit im schweizweiten Vergleich zusammen mit Nidwalden und Glarus an letzter Stelle.
Stimmen aus der Vergangenheit
«Ihren Trieb ‹Gutes zu tun› können die Frauen ohne politische Rechte wirkungsvoller ausleben.» (Leserbrief 1959)
«Was den Urnengang betrifft, kann die Hausfrau ihn verbinden mit Samstags‑Einkäufen.» (Leserbrief 1959)
«Die Betreuung der Kinder, die Besorgungen von Kleidern und Wäsche, beschäftigt sie (die Frau) derart bis in die späten Abendstunden, dass sie froh ist, von der Politik entlastet zu sein.» (Leserbrief 1959)
«Ist der neue Besen Frauenstimmrecht erst mal abgenützt, so wird der politische Eifer und die Bereitschaft der Frauen zur Übernahme untergeordneter politischer Ämter sehr bald abschwächen – sie werden sich wieder naheliegenden Aufgaben zuwenden.» (Leserbrief 1968)
«Ich halte mich an die Mahnung des Apostel Paulus ‹Das Weib schweige in der Gemeinde› und stimme Nein!» (Leserbrief 1972)
(Quelle: Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann)