Unternehmen haben einen wesentlichen Einfluss auf die Nachhaltigkeit einer Gesellschaft. Besonders die Prozesse des Supply Chain Managements beeinflussen, wie nachhaltig ein Produkt ist. Die Verfügbarkeit fortgeschrittener IT-Systeme und Technologien eröffnet neue Möglichkeiten, die Nachhaltigkeit durch die Digitalisierung von Supply Chains zu fördern. Besonders dadurch, dass in modernen Supply Chains hunderte von Unternehmen global zusammenarbeiten, entstehen Multiplikationseffekte mit bedeutender gesellschaftlicher Relevanz.
CO2-Emissionen entstehen in Supply Chains
Eine Studie des World Economic Forums und des Beratungsunternehmens BCG von Januar 2021 zeigt, dass ein wesentlicher Teil der CO2-Emissionen in vielen Branchen nicht durch deren operative Aktivitäten selbst, sondern in den jeweiligen Supply Chains entstehen. In der Konsumgüterbranche werden z.B. 90% der CO2-Emissionen durch Supply Chain Aktivitäten verursacht.
Nachhaltige Produkte schaffen Wettbewerbsvorteile
Eine Reduktion der CO2-Emission innerhalb von Supply Chains ist für Unternehmen nicht nur aus ökologischer Sicht relevant. Die Global Sustainability Study 2021 des Beratungsunternehmens Simon Kucher zeigt, dass 34% der befragten Konsument*innen bereit sind, für nachhaltige Produkte mehr zu bezahlen. Gemäss einer Analyse von Deloitte werden für nachhaltige Lebensmittel Preise akzeptiert, die im Schnitt 26% über dem Preis eines nicht-nachhaltigen Vergleichsprodukt liegen.
Umgestaltung von Supply Chains durch Kreislaufwirtschaft
Das Modell der Kreislaufwirtschaft hat sich etabliert, um die Nachhaltigkeit von Supply Chains zu verbessern. Es betrachtet den Lebenszyklus eines Produkts, von der Extraktion von Rohstoffen aus der Natur und verläuft vom Produktdesign über die Produktion sowie den Vertrieb bis zu dessen Nutzung, Sammlung und Entsorgung oder Aufbereitung. Der Kerngedanke der Kreislaufwirtschaft ist es, die Lebens- und Nutzungsdauer von Produkten zu verlängern und den Ressourceneinsatz zu minimieren.
Dessen Umsetzung in Supply Chains bietet Chancen für Volkswirtschaften und Unternehmen. Die EU sieht das Potenzial einer Steigerung des Brutto-Inlandprodukts um 0.8%, der Schaffung von zwei Millionen neuen Arbeitsplätzen und einer Reduktion des Energieverbrauchs während der Herstellung um 20 – 90%. Gleichzeitig kann damit die Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Ressourcen reduziert werden.
Entmaterialisierung als Prinzip des Produktdesigns
Das Produktdesign spielt im Lebenszyklus eine wesentliche Rolle. Unternehmen wie z.B. IKEA zeigen bereit heute, wie Designentscheidungen die Herstellungs-, Lagerungs- und Transportprozesse beeinflussen. Das Produktdesign bestimmt auch darüber, wie einfach ein Produkt gemeinsam genutzt, wiederaufbereitet, repariert oder wiederverwendet werden kann.
Der Laufschuh-Hersteller On führt im Sommer 2022 mit dem Cyclon Cloudneo einen Schuh ein, der nicht gekauft, sondern über ein Abonnement genutzt wird. Durch die Verwendung von biobasiertem Kunststoff und optimierten Produktionsverfahren reduziert sich der CO2-Ausstoss gegenüber einem gewöhnlichen Schuh um voraussichtlich 50%. Zudem kann der Abfall um 90% und der Energieverbrauch in der Produktion um 70% reduziert werden. Mit dem Ansatz, den Cyclon Cloudneo über ein Abonnement zu vertreiben, hat On den Weg der Servitisierung gewählt. Dieser Ansatz zur Innovation von Geschäftsmodellen verfolgt das Ziel, statt eines physischen Produkts (Schuh) den Nutzen des Schuhs (Laufen) zu verkaufen.
Neben der Servitisierung gehört auch die Digitalisierung zu den Ansätzen der Entmaterialisierung in der Kreislaufwirtschaft. Diese verfolgt das Ziel, dasselbe Produkt durch Reduktion von Masse oder Material bereitzustellen. Netflix ist heute beispielsweise als führender Streaminganbieter bekannt. Serien und Filme können über das Internet konsumiert werden, statt wie früher als DVD in Videotheken oder per Versand ausgeliehen zu werden. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen für Netflix und dem Zeitgewinn für den Kunden, wurde die Umweltbelastung reduziert, da weniger DVDs hergestellt und transportiert werden müssen.
Nicht jedes Unternehmen ist in der Lage, Produkte vollständig zu digitalisieren. Technologien wie die additive Fertigung («3D-Druck») schaffen aber neue Möglichkeiten für Unternehmen, die an physische Produkte gebunden sind. Der Einsatz von 3D-Drucktechnologie erlaubt es andere und z.T. nachhaltigere Rohstoffe für die Herstellung zu verwenden und auf dezentralisierte und ggf. kleinere Herstellungsstandorte umzustellen, die näher bei der Kundschaft sind. Durch solche Verfahren kann nicht nur die Umweltbelastung reduziert werden, die beim Bau von Fabriken anfällt, sondern auch der Energie- und Kostenaufwand für Transport. Eine dezentrale Herstellung von Produkten erhöht zusätzlich die Flexibilität der Supply Chains und schafft damit Widerstandsfähigkeit in Krisensituationen wie der Covid-19 Pandemie.
Granulare Daten ermöglichen nachhaltiges Supply Chain Management
Um die Nutzungsdauer eines Produkts zu verlängern sind aber nicht nur Innovationen beim Produktdesign und dessen Herstellung notwendig. Der Austausch von Informationen zwischen Akteuren in einer Supply Chain ermöglicht es, Produkte nachverfolgen zu können bezüglich der verwendeten Komponenten und Rohstoffe. Kombiniert mit zeitnah verfügbaren Daten zur Nachfrage der Endkundschaft können Entscheidungen über die Beschaffung, Herstellung, Lagerung sowie den Transport und die Rücknahme von Produkten optimiert werden.
Viele Unternehmen stehen erst am Anfang ihrer Bemühungen, den Informationsfluss in Supply Chains zu integrieren. Vorreiter wie SEAT oder Proctor & Gamble setzen bereit heute zentralisierte Kontrolltürme, oder «Supply Chain Control Towers» ein, in denen Sie Informationen aus unterschiedlichen Datenquellen, teilweise in Echtzeit, zusammenführen. Aufgrund der grossen Menge an Daten und deren Komplexität werden Entscheidungen mithilfe von IT-Systemen getroffen. Diese bereiten mithilfe künstlicher Intelligenz Szenarien auf und bewerten diese. Im Anschluss trifft ein Mensch oder in gewissen Anwendungsfälle automatisierte Lösungen die nötigen Entscheidungen.
Um diese Lösungen zu nutzen, müssen in einer Supply Chain aber zuerst Daten von Lieferanten und Vertriebspartnern auf mehreren Stufen zusammengeführt werden. In Supply Chains in denen hunderte von Unternehmen weltweit miteinander verbunden sind, ist dies eine Herausforderung. Neben technischen Herausforderungen gilt es zudem auch die Frage zu beantworten, wie Unternehmen darauf vertrauen können, dass die einmal erfassten Daten nicht mehr verändert werden.
GS1, Partnerorganisation des Digital Supply Chain Managements Bachelorangebots der FHGR, ist eine weltweit tätige Nonprofit-Organisation, die Standards im Supply Chain Management entwickelt. Dazu gehören die omnipräsenten Barcodes (EAN/UPC) und RFID Chips (EPC) sowie der «Electronic Product Code Information Service» (EPCIS). EPCIS erlaubt den Austausch von Informationen zu Ereignissen in Supply Chains und damit kann nachvollzogen werden, «was, wann, wo und wieso» mit einem Rohstoff oder Produkt geschehen ist.
Die Genossenschaft Migros Ostschweiz, ebenfalls Partnerunternehmen des Digital Supply Chain Management Bachelorangebots, hat diesen Standard für ausgewählte Warengruppen und Lieferanten gemeinsam mit GS1 implementiert. Die verbesserte Transparenz hat nicht nur interne Prozesse vereinfacht, sondern auch fehlerhafte Lieferungen und Verluste reduziert und den Ressourceneinsatz verbessert. Die Nutzung von Blockchain, bzw. Distributed Ledger Technologies, Lösungen erlaubt es, einmal erfasste Daten vor Veränderungen zu schützen. Unternehmen wie TE-Foods oder VeChain bieten entsprechende Lösungen bereits erfolgreich an.
Talente als Flaschenhals
Unternehmen, welche die ökologischen, aber auch sozialen und wirtschaftlichen Chancen der Kreislaufwirtschaft nutzen wollen, sind mit einem Fachkräftemangel konfrontiert. Diese werden jedoch benötigt, um Prozesse und Strukturen in Unternehmen und Supply Chains zu analysieren und zu optimieren, den Einsatz von Technologien zu steuern sowie Daten wirksam in Informationen umzuwandeln und für Entscheidungen zu nutzen. Die Handelszeitung bezeichnet das Supply Chain Management als einen Zukunftsberuf, der die Digitalisierung der Schweizer Wirtschaft wesentlich prägen wird, trotzdem fehlt es an Expertinnen und Experten in der Schweiz, um die Nachfrage am Arbeitsmarkt zu decken. Mit der Bachelorstudienrichtung Digital Supply Chain Management bietet die FH Graubünden eine schweizweit einzigartige Ausbildung an, welche es möglich macht, in Teilzeit die Kompetenzen zu entwickeln, um eine nachhaltige und digitale Veränderung von Supply Chains mitzugestalten.
(Quelle: FHGR)