Kurz vor der Bekanntgabe des nächsten Prämienschubs der Krankenkassen hat die Rehaklinik Seewis zu ihrem Jubiläum eine Podiumsdiskussion zum Thema Gesundheit veranstaltet. Fazit: Die Kostentreiber sind die Demographie, der Fachkräftemangel und die fehlende Digitalisierung.
150 Jahre Rehaklinik und Kurhaus Seewis. Man kann es sich kaum vorstellen – aber vor 150 Jahren wurde das Kurhaus errichtet, um Lungenkranke auf dem Weg nach Davos an die Gegebenheiten von Bergdörfern zu akklimatisieren, wie Michele Genoni, ärztlicher Direktor der Rehaklinik, am Samstag zur Eröffnung der Festivitäten verkündete. 150 Jahre später ist alles anders. «Wir können überall hin, Flüge, Hotels – und niemand spricht über die Kosten. Wenn es um Gesundheit geht, redet man nur von den Kosten. Und niemand über den Nutzen.» Er fühle sich manchmal wie der Arno del Curto von Seeis. «Das ist eine Klinik mit Herzblut. Ich mache das extrem gern.»
In der anschliessenden Podiumsdiskussion diskutierten Regierungsrat Peter Peyer, Markus Furrer, Senior Consultant des KSGR, der Geschäftsführer der Rehaklinik Seewis, Marco Näf, und Sanjay Singh, Leiter Leistungen beim Krankenversicherer CSS zum Thema: «Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen: krisenfest und zukunftssicher?». Moderiert wurde die Gesprächsrunde von unserem SRF-Korrespondenten in New York, Roger Aebli, der in Seewis aufgewachsen ist.
Eins vorneweg: Die Frage konnte nicht abschliessend geklärt werden. Einig waren sich aber alle vier, dass noch grosse Herausforderungen auf die Schweiz zukommen. So sagte Markus Furrer, dass man nicht von einer Kostenexplosion reden könne: «Es ist eine Leistungsexplosion.» Es werde immer mehr Leistung erbracht für immer ältere Menschen. Als er als Assistenzarzt angefangen habe, habe man gewisse Eingriffe bei über 70-Jährigen gar nicht mehr diskutiert. «Das ist heute kein Thema mehr.»
Ein weiterer Kostentreiber: Die fehlende Digitalisierung. So berichtete Marco Näf, dass es während Corona noch Spitäler und Ämter gegeben habe, denen man alles per Fax hätte schicken müssen. Er persönlich lehnt den komplett gläsernen Patienten ab, sieht aber durchaus Verbesserungsbedarf. «Es kann nicht sein, dass man heute bei digitalen Krankenakten verschiedene PDF aufmachen müsse.» Auch die Ärzte seien mit dem Schreiben von Berichten, die sie dann an andere Ärzte oder Ämter per Post schicken müssten, zunehmend überlastet. «Die Kosten dafür gehen in die Millionen, da gibt es ein riesiges Einsparpotential.»
Für Peter Peyer ist neben anderen vor allem der zunehmende Fachkräftemangel ein Problem, der mit der demografischen Entwicklung – immer mehr ältere Menschen müssen von weniger jungen Nachwuchskräften gepflegt werden. «Wir müssen uns überlegen, wie wir junge Menschen dazu bringen können, sich in der Pflege ausbilden zu lassen.» Doch die demografische Entwicklung birgt noch weitere Herausforderungen. So würden das Val Müstair in ein paar dutzend Jahren komplett überaltert sein. «Da geht es auch um die Infrastruktur: Was braucht es, wie müssen wir im Val Müstair für diese Menschen eine Infrastruktur bereit stellen.»
Sanjay Singh, der die Seite der Krankenversicherer vertrat, kennt die genannten Probleme natürlich. Bei ihm kommen sie in Zahlen an und werden auch so umgerechnet: In Form von Krankenkassenprämien und Leistungserbringungen. Die regionale Gesundheitsversorgung müsse neu gedacht werden. Die CSS sei derzeit in Versuchen in Morges und im Jura dran, geeignete Wege zu finden. «Ein Wandel könnte sein, dass Spitex und Hausarzt von Anfang an involviert werden.» Die Daten seien für alle einsehbar und man versuche so auch, Wiedereintritte in Spitäler möglichst zu vermeiden.
Das Ei des Kolumbus wurde auch in Seewis nicht gefunden. Doch die Diskussion zeigte, was Peter Peyer während dessen einmal sagte: «Alle haben irgendwie recht.» Wohin die Zukunft führt, weiss man derzeit noch nicht – aber der Rehaklinik Seewis und dem Kurhaus wünscht man sich noch mindestens weitere 150 Jahre.
(Bild: GRHeute)