Schon so viel ist über den Stau geredet und geschrieben worden. Im Rahmen von 100 Jahre Automobil in Graubünden fand im Rätischen Museum in Chur eine Podiumsdiskussion statt – mit sehr interessanten Einsichten.
Was macht man, wenn man im Stau steht? Musik hören? «Ja», sagte Regierungsrätin Carmelia Maissen. Irgendetwas zwischen Volksmusik und Jazz. Der schlimmste Stau, in dem sie jemals stand, war in den letzten Sommerferien auf der Fahrt nach Tallinn in Estland. «Es wurde eine Brücke saniert und wir standen wirklich fast zwei Stunden im Stau», sagte sie. Es sei aber sehr entspannt gewesen, sie hätten sogar den Mann im Auto vor ihnen kennen gelernt. «Er war auf dem Weg zu einem AC/DC-Konzert.»
Der schlimmste Stau, den Reto Loepfe, Gemeindepräsident von Rhäzüns, jemals erlebt hat, fand nicht vor seiner Haustüre statt. Sondern auf der Fahrt nach Rosenheim auf einen Geschäftstermin, wohin er für seinen damaligen Arbeitgeber Hamilton gehen musste. «Ich reagiere dann immer gleich: Meine Temperatur erhöht sich, mein Kopf wird rot.» Er kann im Auto keine Musik hören; er braucht eine Stimme, die über irgendwas spricht.
Stau-Forscher Lukas Ambühl von der ETH Zürich hat wegen eines Stau auf einer achtspurigen Autobahn in San Francisco einmal einen Flug verpasst. Im Auto hört er am liebsten das Echo der Zeit – auch wenn es schon von gestern ist.
Es gibt dieses Bild von der Prättigauerstrasse: Die Autos verstopfen die Strasse am späten Nachmittag. Sie kommen alle von Davos herunter, wo sie wahrscheinlich einen schönen Tag auf den Skiern verbracht haben. Moderator Andri Franziscus zeichnete es mit Worten in den Saal und wollte von den Gesprächsteilnehmern wissen: Was machen Sie in dieser Situation? Carmelia Maisen und Reto Loepfe würden tendenziell später gehen; Stau-Forscher Lukas Ambühl wäre natürlich lieber mittendrin statt nur dabei. Alle drei verstehen nicht, wie man sich das freiwillig antun kann.
Sechs Stunden pro Jahr steht man in der Schweiz im Stau, wenn man alle Stauminuten zusammenzählt, wie Moderator Andri Franziscus sagte. «Eine beeindruckende Zahl.» Bei Unterländern hinterlässt der Stau am Wochenende nur ein müdes Lächeln. Doch wie Reto Loepfe treffend sagte: «Man kann den Stau der Unterländer nicht mit einem Stau bei uns vergleichen. Wir werden am Wochenende dabei gehindert, Dinge zu tun, die wir gerne tun würden.» Ausserdem sähe er es so, dass man den Stau auf der Prättigauerstrasse wohl akzeptieren müsse. «Aber vom Transitverkehr über den San Bernardino haben wir nichts.»
Ausserdem sei es so, dass man in Graubünden im Gegensatz zum Unterland vielerorts keine Umfahrung bauen könne. «Nehmen wir Rhäzüns. Da ist auf der einen Seite die Autobahn und auf der anderen eine Felswand und die RhB. Wo will man da noch eine Strasse bauen?» Aber wenn gar nichts mehr wirkt, so hat er mit den Bauern bereits besprochen, würden die am Sonntag auch einmal einfach ganz langsam auf der Strasse durchs Dorf hin und herfahren. Er spricht sich ganz klar für eine Diskriminierung aus: Die Strassen in den Dörfern sollen den Einwohner:innen gehören.
Einig sind sie sich alle drei: Der Freizeitverkehr hat einen anderen Zeitwert als wenn man zur Arbeit muss und dann im Stau steht. Und ob E-Autos zumindest den CO2-Ausstoss vermindern werden, bleibt abzuwarten. Niemand rechnet damit, dass trotz sinkender Bevölkerungszahlen in ein paar Jahren der Verkehr weniger wird. Carmelia Maissen rechnet damit, dass Road Pricing in 20 Jahren ein Thema sein könnte. Zusammenfassend lässt es sich mit einem Zitat von Reto Loepfe sagen: «Es gibt nichts Positives an einem Stau.»
(Bilder: GRHeute. Das Bild im Artikel stammt von Ostern 2017. Die Linienführung der A13 zwischen Chur und Trimmis ist heute eine andere als damals. Dennoch ist das Bild ein schönes Abbild für den Feiertagsverkehr.)