Weltpremiere in der Ogna, der begehbaren Skulptur in Trun

In der begehbaren Skulptur Ogna des Truner Künstlers Matias Spescha fand diesen Sommer eine Weltpremiere statt. Einige Eindrücke.

Am 17. Juli 1925, also vor fast genau 100 Jahren wurde in Trun Matias Spescha geboren. Sein Wirkungsweg führte ihn über Zürich nach Paris, das Mekka der Künstler und weiter ins südfranzösische Bages, wo er über drei Jahrzehnte seiner Kunst frönte und seine (arche)-typische Bildsprache entwickelte. 4 Jahre nach seinem Tod im 2008 liess sich der lange gehegte Wunsch und sorgfältig geplante Bau eines begehbaren Kunstwerks, die Ogna – romanisch für Erle, die typische Baumart in dieser Auenlandschaft – eine 40 x 30 Meter grosse und 5.5 Meter hohe, gegen oben offene Skulptur realisieren.

Und zum 100 Geburtstag von Matias Spescha organisierte die Fundaziun Ogna am 19. Juli ein denkwürdiges, atemberaubendes und fast «weltbewegendes» Konzert von Christoph Sietzen, einem erst 32-jährigen Schlagwerker mit internationalem Renommée. Von Kritiker wurde der Shooting Star am Himmel der klassischen Musik und Professor an der Universität Hamburg sowie an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz als Wunderkind bezeichnet, das seine internationale Karriere im zarten Alter von 12 Jahren an den Salzburger Festspielen begann. Heute gibt es wohl kein Konzertsaal von Rang und Namen, in dem der nahbare Künstler nicht schon die zauberhaften Klänge seiner Marimba entlockte.

Am Samstagabend, nach einem heftigen nachmittäglichen Wärmegewitter wagten es die Veranstalter, die lange geplante Open-Air Vorführung zu Ehren Matias Speschas in der Ogna durchzuführen.

Punkt acht hörte man aus dem Rauschen des nahen Rheines ein leises Trommeln, es erinnerte etwas an Schlagzeugübungen mit den Holzsticks auf den harten Holzböcklein in den Schlagzeugschulen, jedoch viel verspielter und viel virtuoser, vom leisen Singlestroke bis zu stürmisch-rhythmischen, synkopischen Wirbeln und der grosse Künstler kam einem kleinen Jungen gleich auf dem massiven Betonwände der begehbaren Skulptur trommelnd in die «Manege». Kaum möglich, was Christoph Sietzen auf einer 30 cm dicken Betonwand herausspielte! Dann folgte ein Konzert mit diversen an fünf Standorten aufgestellten Schlaginstrumentengruppen.

Im Zentrum des Konzertes und Ognas stand das erwähnte Marimba, ein grosses ursprünglich aus Afrika stammendes Xylophon, das in Mittelamerika weiterentwickelt und schliesslich zum chromatisch gestimmten Orchesterinstrument perfektioniert wurde. Die magischen, warmen Klänge der Holzstäbe erfüllten die begehbare Skulptur mit ihrer einzigartigen Akustik und Sietzen verzauberte das Publikum mit eigens einstudierten Improvisationen sowie mit klassischen, jazzigen bis rockigen Songs und Rhythmen.

Im wörtlichen Sinn speziell aufhorchen liess seine Improvisation auf einer Öltonne mit monotonen archetypischen Schlägen bis hin zu zwirbelnd verspielten Rhythmen und das Publikum war sichtlich begeistert vom Spektrum der Klangfarben, die Sietzen dieser scheinbar simplen grünen
Motorex-Öltonne abgewinnen konnte.

Nach einem weiteren Intermezzo auf der Marimba «bearbeitete» der Schlagwerker Sietzen sein improvisiertes Schlagzeug aus vier Toms, einer Autofelge, diversen Vierkanteisen, einem Fassdeckel und einem verbeulten Blech und malte ein buntes Klangbild, das in einem wundervollen Kontrast zu den schemenhaft, doch klaren Schwarzweissformen Speschas stand. Das Ende des offiziellen Konzertes bildeten schliesslich weitere Improvisationen auf mit Naturfellen bespannten Holztrommeln und einer Pauke, ergänzt durch einen Satz hölzerne Tempelblocks, deren knöcherne Klänge eine faszinierende Bereicherung waren zu den tiefen Wirbeln der Pauke und den klaren durchdringenden Schlägen der Bongos und der Konga.

Und ehe man es gewahr wurde, war schon mehr als eine Stunde vorbei – die Zeit verflog wie der Schall und die Schläge in der Weite der oben offenen Skulptur Ogna – und Christoph Sietzen setzte nach einem frenetischen Applaus zu zwei finalen Zugaben an. Zuerst eine ruhige Weise aus dem Lautenwerk von Bach auf der Marimba. Der krönende Abschluss jedoch erfolgte wieder – wie der Anfang – auf einer «Snaredrum», die bekannte kleine silberne Trommel, die Sietzen der Akustik wegen direkt in die Mitte der Zuschauer stellte.

Seine Schlussimprovisation begann mit kräftigen klaren Schlägen auf das Trommelfell, um dann – über sogenannte «Rimshots», Kantenschläge mit dem typisch metallischen Ton auf den Trommelständer übergehend, die nächsten Holzklappstühle mit einbeziehend wie auch einen Betonblock und sogar den baren Kiesboden – in erneut heisse, verspielte – und wie gewohnt – höchst präzise Rhythmen auszubrechen, die bald wie ein Feuerwerk, bald wie ein zarter Regenschauer auf die Zuhörer niedergingen.

Am Schluss stand der Virtuose wieder da, mit seinem gewinnenden Lächelnd, tief atmend und sich ebenso tief verbeugend, unglaublich sympathisch und bescheiden nach einer einmaligen zauberhaften Klangreise durch die Zeit und durch Speschas begehbare Skulptur Ogna.

Wahrlich ein bravouröser und äusserst würdiger Abend in Speschas eindrücklicher Skulptur, bis zum letzten Applaus vor einer von Regen verschonten, überwältigenden Berglandschaft des Bündner Oberlandes.

 

(Bilder Ogna: Wikipedia)