Spontane Auslösung in Brienz wird immer unwahrscheinlicher 

Die Gefährdungslage für das Dorf Brienz/Brinzauls hat sich positiv entwickelt. Dass sich aus der ”Schutthalde oben” ohne externe Auslöser ein schneller Schuttstrom bildet, der das Dorf erreicht, wird nun immer unwahrscheinlicher. Viel Niederschlag oder Felsstürze auf die Schutthalde können allerdings noch immer zu einer solchen Schuttlawine führen. Das Dorf muss deshalb weiter evakuiert bleiben.

Rund 1,2 Millionen Kubikmeter Schutt liegt in der «Schutthalde oben» hoch über Brienz/Brinzauls. Im Vergleich zum Rest der Rutschung Berg bewegt sich diese Masse viel schneller. 10 bis 40 Zentimeter pro Tag rutscht sie talwärts Richtung Dorf. Würde sie sich massiv beschleunigen, könnte sie den Halt im Untergrund verlieren und als Schuttstrom mit 80 oder mehr Stundenkilometern abgehen. Eine solche Schuttlawine könnte das Dorf erreichen, es schwer beschädigen oder sogar zerstören, wie der Krisenstab Albula/Alvra am Freitag mitteilte. 

Plötzlicher Prozesswechsel

Als Brienz/Brinzauls im vergangenen November zum zweiten Mal evakuiert werden musste, beschrieben die Geologen die Gefahr für das Dorf in drei Szenarien: Ein Schuttstrom könnte durch grosse Niederschläge, durch Felsstürze, die auf die Schuttmassen stürzen oder spontan ausgelöst werden. 

Eine spontane Auslösung ist dann möglich, wenn sich die unteren Schuttschichten durch die ständige Rutschbewegung stark zerreiben. Die unterste Schicht von Felsbrocken, die sich untereinander und mit dem Untergrund verhaken, wird immer mehr zerbrochen und zerrieben. Es entsteht eine eher feinkörnige Masse, auf der der schwere Schutt kaum mehr Halt findet. Bei fortschreitender Bewegungen kann es plötzlich zu einem totalen Verlust der Kornstruktur kommen. Dann versagt die Schutthalde und rutscht sehr schnell ab. 

«Wir wissen aus anderen Ereignissen, dass es zu einem plötzlichen Prozesswechsel kommen kann, wenn die Kornstruktur in der Gleitschicht verloren geht», erklärt der Geologe Stefan Schneider, Leiter des Frühwarndienstes. «Dann kann sich die Schuttmasse auch ohne äusseren Einfluss schnell in Bewegung setzen und als Schuttstrom ins Dorf abgehen.» 

Der erwähnte Verlust der Kornsturktur entsteht normalerweise, wenn sich eine Schuttmasse einige Meter talwärts bewegt hat. Dieser Punkt ist bei der ”Schutthalde oben” längst erreicht. «Seit November ist die Schutthalde rund 17 Meter talwärts gerutscht», bestätigt Stefan Schneider. Dennoch sei es nicht zu einer spontanen Auslösung eines Schuttstroms gekommen. «Da die Schutthalde schon so weit gerutscht ist, ohne dass es zu einer spontanen Auslösung kam, gehen wir nun davon aus, dass es eine solche Auslösung ohne externe Faktoren nicht mehr geben wird.»

Niederschläge oder Felsstürze bleiben gefährlich

Mit «externen Faktoren» meint Schneider starke oder länger anhaltende Niederschläge oder Felsstürze auf die Schutthalde oben. «Seit dem Jahreswechsel haben wir mehrfach gesehen, dass sich die Schutthalde nach Niederschlag stark beschleunigt, aber dann auch wieder beruhigt. Auch Felssturzereignisse haben zu kurzfristigen Geschwindigkeitssprüngen geführt.»

Obwohl die Geologen die spontane Auslösung eines schnellen Schuttstroms nun für unwahrscheinlich halten, hat sich die Lage noch nicht so entspannt, dass die Evakuierung von Brienz/Brinzauls aufgehoben werden kann. «Kommt es durch Niederschlag oder Felsstürze zu einer starken Beschleunigung, besteht die Gefahr eines Schuttstroms bis ins Dorf oder darüber hinaus», warnt Stefan Schneider. «Dann wäre ein Aufenthalt im Dorf lebensgefährlich.»

Nach wie vor können die Betroffenen und die Verantwortlichen von Gemeinde und Kanton also nur abwarten, wie sich die Schutthalde oben weiter verhält. Am wahrscheinlichsten ist noch immer eine Beruhigung der Lage. Wie lange sich diese aber noch Zeit lässt, können die Expertinnen und Experten leider immer noch nicht sagen.

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(Bild: GRHeute)