Umsiedlungskonzepte für Brienz werden konkret

Sollte Brienz/Brinzauls teilweise oder ganz aufgegeben werden müssen, stehen zeitnah Grundstücke für Neubauten zur Verfügung. Neben Tiefencastel und Alvaneu Dorf wird auch Vazerol West ein Umsiedlungsstandort. Eine Volksabstimmung zu allen drei Standorten ist noch 2025 vorgesehen. Auch zur Finanzierung des neuen Baulandes können nun zentrale Fragen beantwortet werden.

Am Dienstagabend trafen sich Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinde, der Kantonsregierung und Fachleute mit mehr als 40 evakuierten Bewohnerinnen und Bewohnern. Die Frage, ob Brienz/Brinzauls mittel- und langfristig bewohnt werden kann, hat durch die zweiten Evakuierung an Bedeutung gewonnen. Mit der Hilfe des Kantons und des Bundes arbeitet die Gemeinde an verschiedenen Varianten. Sie sollen Umsiedlungen möglich machen und dabei die finanziellen Schäden für die Betroffenen in engen Grenzen halten, wie der Gemeindeführungsstab Albula/Alvra am Freitag mitteilte. 

Gestützt auf die positiven Rückmeldungen des BAFU könne in Aussicht gestellt werden, dass Bund und Kanton für die präventive Umsiedlung 90 Prozent der anrechenbaren Kosten übernähmen, sagte Regierungsrätin Carmelia Maissen, Vorsteherin des Departement für Infrastruktur, Energie und Mobilität am Dienstagabend vor evakuierten Bewohnerinnen und Bewohnern.

Umsiedelung für Winter 25/26?

Es sei wichtig, dass die Sicherung der Existenzen in der Landwirtschaft durch die kantonalen Amtsstellen und dem Bundesamt für Landwirtschaft unterstützt und prioritär behandelt werde, erklärte Regierungsrat Marcus Caduff, Vorsteher des Departements für Volkswirtschaft und Soziales. Die Standortevaluation für die landwirtschaftlichen Betriebe sei bereits im Sommer 2023 erfolgt. Wenn alles nach Plan läuft, wäre eine Umsiedlung bereits im Winter 2025/26 denkbar.

Beide Regierungsräte zeigten Verständnis für die Sorgen und Ängste der Brienzerinnen und Brienzer. Die Situation sei nicht nur emotional belastend, sondern auch finanziell. Die Bündner Regierung stehe zum Dorf Brienz/Brinzauls und unterstütze die Bevölkerung – egal, wie sich die Lage entwickle, betonten sowohl Carmelia Maissen wie Marcus Caduff. Allen involvierten Fachpersonen sowie dem Gemeindeführungsstab dankten sie für den unermüdlichen Einsatz.

 

Die Abklärungen zu möglichen Umsiedlungen aus Brienz/Brinzauls sind in den letzten Monaten sehr gut vorangekommen. Die Kommission Siedlung der Gemeinde hat drei Standorte für grössere Neuansiedlungen benannt. Im kommenden Mai sollen sowohl die Um- und Einzonungen in Tiefencastel und Alvaneu Dorf, als auch die Standorte in Vazerol West zur Abstimmung kommen, erläuterte Kommissionspräsident Benno Burtscher.

Als Gründe für eine Umsiedlung kommen wie bisher die Zerstörung eines Gebäudes oder das Verhängen eines dauernden Nutzungsverbotes in Frage. Neu wird auch eine präventive Umsiedelung wegen der Belastung durch die Risikosituation möglich. «In intensiven Gesprächen zwischen der Kommission, der Gebäudeversicherung GVG und den Verantwortlichen von Kanton und Bund konnte auch dafür eine Lösung für die finanzielle Entschädigung gefunden werden», sagte Urban Maissen, Leiter des Amts für Wald und Naturgefahren. Sobald die neue Bevölkerungsumfrage ausgewertet sei, könne man darauf basierend ein entsprechendes Umsiedlungsprojekt nach Waldgesetz ausarbeiten.

Stollen senkt Wasserdruck

Vermutlicher Hauptgrund für mögliche Umsiedlungen ist aber die weitergehende Beschädigung der Gebäude durch die Rutschung. «Brienzerinnen und Brienzer fragen sich, ob der Entwässerungsstollen früh genug seine Wirkung zeigen wird», sagte Gemeindepräsident Daniel Albertin. «Sie fürchten, dass weitere Häuser unbewohnbar werden, bevor der Stollen beruhigend auf die Rutschung wirkt.»

Die Geologen und Naturgefahrenexperten sind von der Wirksamkeit des Entwässerungsstollens überzeugt. Rund 80% des Nordarmes sind erstellt und die bislang ausgeführten Bohrungen in die Rutschmasse und unter das Dorf waren erfolgreich. Der Wasserdruck in der Rutschmasse über dem Nordarm konnte lokal um über 60 m abgesenkt werden. «Eine so grosse Druckentlastung konnte im Sondierstollen selbst mit drei Bohrungen in die Rutschmasse nicht erzielt werden», sagte der Geologe Reto Thöny. «Wir erwarten daher, dass der Nordarm mit seinen Bohrungen bereits in den kommenden Monaten eine beruhigende Wirkung auf die Rutschung haben wird.»

«Wir haben Brienz/Brinzauls nicht aufgegeben. Wir möchten, dass das Dorf weiterleben kann», sagte Gemeindepräsident Albertin. «Bis vor Kurzem war eine Umsiedlung nur unser ”Plan B”. Jetzt ist sie zu einer Alternative geworden, die wir für sie so weit wie möglich abklären. Wir wollen sie ihnen anbieten können, falls sie sie brauchen sollten.»

Beim Bau des Entwässerungsstollens sind 80% des Nordarms ausgebrochen und es konnten schon mehrere Entwässerungsbohrungen in das feste Gebirge (rot-weisse Pfeile) und hinauf in die Rutschmasse (rot-weisse Punkte) ausgeführt werden. Die Bohrungen führen grosse Wassermengen ab und konnten den Wasserspiegel in der Rutschmasse örtlich bereits senken.

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(Bild/Grafik: zVg)