Rutschung oberhalb von Brienz nimmt wieder zu

Seit dem vergangenen Spätsommer nehmen die Geschwindigkeiten der Grossrutschung Brienz wieder kontinuierlich zu. Die Messstelle im Dorf zeigt fast so hohe Werte wie vor dem Bau des Sondierstollens. Grund zur Sorge bestünde aber nicht, sagen die beiden Geologen Stefan Schneider und Reto Thöny.

Die hellgelben und gelben Messpunkte auf der Rutschung Dorf zeigen, dass sich die Rutschung im Bereich des Sondierstollens stärker verlangsamt hat als in den übrigen Teilen. 

Die hellgelben und gelben Messpunkte auf der Rutschung Dorf zeigen, dass sich die Rutschung im Bereich des Sondierstollens stärker verlangsamt hat als in den übrigen Teilen./Grafik: BTG Büro für Technische Geologie

 

Dass die Geschwindigkeiten des Brienzer Rutsches in der nassen und kalten Jahreshälfte jeweils zunehmen, ist seit Jahren bekannt. In diesem Winter scheint die Zunahme aber stärker als in anderen Jahren. Reto Thöny vom Büro für technische Geologie BTG bestätigt: «Die Geschwindigkeitszunahme seit August war bisher die stärkste gemessene. Vergleichbar, aber weniger stark, war die Beschleunigung im Februar/März 2021, bei einem extremen Wärmeinbruch mit starker Schneeschmelze.»

Auch in diesem Winter habe die Zunahme mit der Wassermenge zu tun, die in den Untergrund gelange, sagt Stefan Schneider, Leiter des Frühwarndienstes vom Büro CSD Ingenieure: «Wir hatten einen überdurchschnittlich nassen Spätsommer und Herbst. Anfangs Winter hat es im Vergleich zu den Vorjahren mehr Schnee gegeben, der dann in den mittleren Lagen wieder geschmolzen ist. Dieses Wasser ist das Schmiermittel der Rutschung.» Die monatlichen Niederschlagsmengen seien zwischen August und Dezember bis zu 220 Prozent über dem Durchschnitt gelegen, ergänzt Reto Thöny. «Viele der Quellen, die wir überwachen, zeigen die höchsten Schüttmengen seit dem Messbeginn 2018.»

Auch wenn in diesem Winter nicht mehr viel Schnee oder Regen fallen sollte, dürfte die Beschleunigung noch eine Zeitlang weitergehen, sagen die beiden Geologen übereinstimmend: «Wir gehen davon aus, dass die Spitze in diesem Winterhalbjahr noch nicht erreicht ist und die Geschwindigkeiten während der Schneeschmelze im Februar/März noch weiter ansteigen können», sagt Reto Thöny. «Danach kommt es im Sommerhalbjahr erfahrungsgemäss zu einer Verlangsamung der Geschwindigkeiten.»

Aus dem Sondierstollen wird eine Entwässerungsbohrung in die darüber liegende Rutschmasse getrieben./Bild: Tiefbauamt Graubünden, Ivan Degiacomi

 

Sorgen um die Sicherheit von Brienz/Brinzauls machen sich die beiden verantwortlichen Geologen aber keine: «Die Geschwindigkeiten sind zwar auf einem sehr hohen Niveau, wir sehen aber keinen Bereich, der sich derart schnell beschleunigt, dass er akut absturzgefährdet wäre», sagt Stefan Schneider vom Frühwarndienst. Alle Bereiche der Rutschung Dorf und Rutschung Berg werden durch den Frühwarndienst engmaschig überwacht.

Weil die Messwerte wieder fast so hoch sind wie vor dem Bau des Sondierstollens, stellt sich die Frage, ob die Wirkung des Stollens schon verflogen ist. Reto Thöny verneint: «Dort, wo aus dem Stollen Entwässerungsbohrungen hinauf in die Rutschmasse führen, bewegt sich die Rutschung markant langsamer als im gesamten Rest der Rutschung Dorf.» Dies zeige, dass die Entwässerungsbohrungen eine bremsende Wirkung hätten. Der Sondierstollen sei nicht darauf ausgelegt, die gesamte Rutschung zu stabilisieren. Er habe lediglich die Aufgabe gehabt, nachzuweisen, dass eine Tiefenentwässerung der Rutschung eine bremsende Wirkung habe, sagt Thöny. «Mit nur drei funktionierenden Entwässerungsbohrungen hinauf in die Rutschmasse ist er nicht wirksam genug, um die ganze Rutschung zu beeinflussen. Dennoch hat er gezeigt, dass die Tiefenentwässerung funktioniert.»

 

(Bilder: zVg.)