«Psychische Krankheiten müssen entstigmatisiert werden»

Rund 120 Besucherinnen und Besucher nahmen am Donnerstag, 2. Februar, an der ibW Höhere Fachschule Südostschweiz an einer Fachtagung zum Thema «Stress – Burnout – Resilienz: Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz» teil. Das einhellige Credo: Psychische Krankheiten müssen entstigmatisiert werden.

Wie aktuell das Tagungsthema ist, zeigte sich nicht nur daran, dass alle Plätze am Fachanlass der ibW Höhere Fachschule Südostschweiz innert weniger Tage weg waren. Die Zahlen aus der Wirtschaft sind tatsächlich alarmierend, ist doch jede/r dritte Arbeitnehmer/-in der Schweiz heute von einem Stress-bedingten Burnout bedroht – mit entsprechend einschneidenden Folgen für die Unternehmen, die Wirtschaft und natürlich besonders für die Betroffenen selbst.

In einer Reihe kurzweiliger Keynotes mit anschliessenden Diskussionsrunden in Kleingruppen wurden an der Fachtagung die unterschiedlichen Perspektiven auf den Themenkreis beleuchtet. Michael Scholtyssek, Facharzt für Psychiatrie und Pschotherapie in Sargans, startete mit Informationen zum Thema Stress: wie sich dieser vom beflügelnden positiven Eustress zum negativen und bedrohlichen Dysstress wandeln kann – oder anders ausgedrückt: vom «Burning» zum «Burnout». Die Folgen der Burnout-Krankheit sind vielfältig und reichen von körperlichen Auswirkungen bis zu gefährlichen Schädigungen des Gehirns.

«Unternehmen müssen gesundheitsförderndes Umfeld schaffen»

Daniela Angius, Head of HR von Würth International, zeigte am Fallbeispiel der Würth, seit zehn Jahren Trägerin des «Friendly Works Space»-Labels, die Bedeutung der Gesundheitsförderung für Unternehmen und für Mitarbeitende auf: «Organisationen haben die Aufgabe, ein gesundheitsförderndes betriebliches Umfeld zu schaffen. Und die Mitarbeitenden stehen in der Verantwortung, Angebote zu nutzen und sich um die eigene Gesundheit zu kümmern.»

Organisator Urs Brandenburger.

Manuela Widera, Beratende von Gesundheitsförderung Schweiz, sowie Désirée Stocker, Geschäftsführerin der Stiftung Artisana, zeigten in der Folge Tipps und Tools, wie Unternehmen Gesundheitsförderung und Prävention von Stress und Burnout in ihre Unternehmensagenda aufnehmen können. Eine besonders wichtige Rolle nehme dabei die interne Firmenkommunikation ein, so Stocker.

Ein Gefühl der Ausweglosigkeit

Über Therapiemöglichkeiten sprach am Nachmittag der stellvertretende Chefarzt der Privatklinik Mentalva in Cazis, Enrico Frigg, der in seinem Beitrag betonte, dass niemand mit einem Burnout rechne, bis man selbst betroffen sei: «Zentral und gemeinsam bei Burnout-Betroffenen ist ein Gefühl einer Ohnmacht und das Erleben von Ausweglosigkeit.»

Lars Stiffler, Leiter Care Management der Swica, veranschaulichte anhand verschiedener Zahlen einer Studie, wie dringlich das Thema ist. «Die Anzahl psychischer Krankheiten hat sich in den letzten 20 Jahren verdreifacht», so Stiffler. Am Ursprung stünden zu 57% Konflikte oder Kränkungen am Arbeitsplatz. Unternehmen hätten Möglichkeiten, der Entwicklung entgegenzutreten, zum Beispiel mit Sensibilisierungs- und Präventionsmassnahmen sowie konkreten Umsetzungen wie beispielsweise der Einrichtung einer neutralen Anlaufstelle.

Gruppenarbeit an der ibW.

In einem weiteren Input-Referat erläuterte Thomas Pfiffner, Leiter der IV-Stelle Graubünden, wie die Prozesse bei der IV bei einer entsprechenden Anmeldung ablaufen. Über die Hälfte aller IV- Fälle betreffen in der Schweiz bereits psychische Erkrankungen. Die IV habe aber immer noch ein Image-Problem, meinte Pfiffner und bekräftigte den Nutzen der IV bezüglich der beruflichen Wiedereingliederung: «Die IV ist eine Eingliederungsversicherung.»

Wie Betroffene nach überstandener Burnout-Erkrankung Begleitung finden, erläuterte in der letzten Keynote Markus Zwicky, Präsident von Equilibrum, einem schweizweit aktiven Verein zur Bewältigung von Depressionen in Selbsthilfegruppen. Ein Burnout sei ein moderneres Wort für Erschöpfungsdepression, so Zwicky, der betonte: «Depressionen sind keine Schande, sondern eine Krankheit, die bewältigt werden kann. Sprechen wir darüber!» Der Verein setze sich primär für eine Entstigmatisierung von psychischen Krankheiten ein – ein Vorum, das alle Rednerinnen und Redner unterstützten.

Souveräne Moderation

Die von Coach Urs Brandenburger organisierte und von der dipl. Journalistin und Fachpsychologin für Psychotherapie, Seraina Venzin, souverän und kompetent moderierte Fachtagung schloss mit der Erkenntnis, dass zum einen noch viel Potenzial für Unternehmen und Betroffene bestehe, aber auch schon zahlreiche Institutionen und Möglichkeiten existierten, auf die man in Krisensituationen zurückgreifen kann.

Grosses Interesse an der Fachtagung in Chur.

Die Fachtagung war die erste in einer Reihe von fünf Fachveranstaltungen, die dieses Jahr an der ibW Höhere Fachschule Südostschweiz im Rahmen der Fachreihe 2023 in Chur organisiert und durchgeführt werden.

Weitere Informationen und die Präsentationen gibt es hier.

 

(Bilder: zVg.)