Ende Jahr ist die Zeit der Abrechnungen – auch beim Lokpersonal der RhB. Ihre Stundenabrechnungen sind teilweise so gross, dass die RhB die Lokführerinnen und -führer gebeten hat, auf die Einforderung der Überzeit zu verzichten und statt dessen eine Auszahlung zu wählen.
Die schönsten Strecken der Welt, ein Weltrekord und eine Identifikation mit der Bevölkerung, die seinesgleichen sucht: Die RhB ist und bleibt die kleine Rote in Graubünden. Doch das allein reicht nicht mehr. Aktuell befindet sich die RhB bei den Lokführerinnen und Lokführer in einem Unterbestand, wie Yvonne Dünser, Leiterin der Unternehmenskommunikation, auf Anfrage von GRHeute sagt. Einer der Gründe dafür ist auch das neue Depot der Südostbahn SOB in Sargans. Nach der Standorteröffnung im Jahr 2020 sind im Jahr 2021 gut 15 Lokführerinnen und Lokführer dort hin gewechselt. Den umgekehrten Weg ging nur eine Person.
Das hat gravierende Folgen: Auf dem Überzeiten-Konto des Lokpersonals häuften sich die Überstunden – teilweise sind es bis zu 150. «Die Mehrzeiten haben seit Ende 2021 bis Ende Oktober 2022 aufgrund von bestellten Mehrleistungen, Personalunterbestand und krankheitsbedingten Ausfällen sowie saisonalen Schwankungen durchschnittlich 49 Stunden pro Lokführerin und Lokführer zugenommen», sagt Yvonne Dünser.
Verzicht auf Freitage
In einem internen Dokument, das GRHeute vorliegt, werden die Lokführerinnen und Lokführer aufgefordert, auf die Einforderung der Überstunden zu verzichten. «Um die Umsetzung möglichst im Sinne jedes Einzelnen zu ermöglichen, möchten wir hiermit alle Lokführer/innen mit Überzeitguthaben auffordern, eine Auszahlung von bis zu 150 Stunden Überzeit fundiert in Betracht zu ziehen», heisst es in der internen Mitteilung. Im Moment gehe die RhB zudem davon aus, dass Überzeit in Form von Freizeit nur punktuell bezogen werden könne. Diese Auszahlungen sind gemäss Yvonne Dünser auch eine gesetzliche und sozialpartnerschaftliche Vorgabe. Diese verlangt, dass Überzeitguthaben grundsätzlich innerhalb eines Jahres durch Freizeit bezogen oder – wenn dies nicht möglich ist – mit einem Zuschlag von 25 Prozent mittels Auszahlung abgegolten werden sollen.
Aber: Nicht alle beim Lokpersonal wollen das Geld – sie würden die Freizeit bevorzugen. Wieviele Personen und Stunden das ausmacht, will man bei der RhB nicht sagen. «Die Vorgesetzten befinden sich mit den betroffenen Mitarbeitenden aktuell im Dialog, weshalb keine weiteren Angaben hierzu gemacht werden können», sagt Yvonne Dünser. Auf die Gesamtrechnung der RhB haben diese Beträge auch keine grossen Einflüsse. «Die Mehr- und Überzeiten werden buchhalterisch jährlich abgegrenzt, womit Auszahlungen von Mehrzeiten finanziert sind», sagt Yvonne Dünser.
Ein 50-Franken-Gutschein für einen Arbeitstag
The struggle is real. Im Oktober und November gab es für die Lokführerinnen und Lokführer keine Wünsche für zusätzliche Ruhetage frei. Dazu «mussten» gut 80 Lokführer einen bereits fix eingeteilten Ruhetag hergeben, um den Betrieb ohne Zugsausfälle aufrecht erhalten zu können. «Das basiert auf Freiwilligkeit, und wir sind dankbar, dass sich einige dazu entschlossen haben», sagt Yvonne Dünser. Dafür gab es ein Zückerli: Einen 50-Franken-Gutschein von Coop oder einem Online-Versand.
Ist das nicht ein Hohn? «Für diese Flexibilität über mehrere Monate wollten wir uns im Oktober und November mit entsprechenden Gutscheinen erkenntlich zeigen. In dieser Zeit fokussierten wir bei der Planung auf das Gewähren der Ferien gemäss Jahresplanung und beschränkten uns bei Wünschen auf die Verschiebung von Rasttagen und lehnten Wünsche von zusätzlichen Rasttagen ab», sagte Yvonne Dünser.
Diese Probleme, das muss fairerweise auch erwähnt werden, betreffen nicht nur die Rhätische Bahn – auch bei den SBB fehlt Lokpersonal. Im Gegensatz gar zur Deutschen Bahn, bei der Abfahrt und Ankunft einem Glücksspiel gleich kommt, halten sich die Zugsausfälle bei der RhB aber in Grenzen. «Wenn überhaupt, dann nur wegen kurzfristigem Personalausfall. Somit sind wir – auch dank der Einsatzbereitschaft unserer Mitarbeitenden – weit von aktuellen Verhältnissen bei anderen Bahnunternehmen oder der Flugbranche entfernt», sagt Yvonne Dünser.
Weltrekordversuch nicht auswertbar
Und es gibt glücklicherweise auch regelmässig Nachschub: Die Rekrutierung und Ausbildung neuer Mitarbeitenden im Bereich Lokpersonal läuft unverändert seit 2018 mit zwei Klassen à grundsätzlich zehn Anwärterinnen und Anwärter pro Jahr. Sie wird ergänzt durch die Ausbildung von Lokführern anderer Unternehmen, die zur RhB wechseln. Die Ausbildungen starten jeweils im Februar und August in Landquart und neu auch in Samedan.
Ob sich der Weltrekordversuch der RhB von Ende Oktober auch als Werbeplattform für die Rekrutierung von Lokpersonal nutzen lässt, ist gemäss Yvonne Dünser nicht auswertbar. Ganz allgemein ist das Interesse an der kleinen Roten seither aber gross, wie die Leiterin der Unternehmenskommunikation sagt.
(Bild: GRHeute/Martina Bisaz, Film: Otto Bisaz)