Die Künzliwiese in Zizers hat schon vieles gesehen: Weidende Kühe, schlittelnde Kinder, Gassi gehende Hunde, Kräuter sammelnde Pfarrer und rebbauende Bauern. Sie alle hatten keine Ahnung, dass tief unter ihnen seit Jahrhunderten Menschen begraben waren.
Der historische Kern von Zizers ist immer wieder für eine Überraschung gut. So fand man vor über zehn Jahren bei der reformierten Kirche einen karolingischen Königshof, der als Pfalz für König Otto diente. Dass es im Umkreis dieses Königshof noch mehr Funde geben könnte, war eigentlich klar – und nur eine Frage der Zeit.
Für weitere knapp zehn Jahre weideten im Sommer die Kühe auf der Wiese und gingen Hunde Gassi. In schneereichen Wintern rodelten die Zizerser Kinder den Hang hinunter.
Bis das gegenüberliegende St.-Johannes-Stift vom Bistum Chur an eine private Trägerschaft verkauft wurde. Die Künzliwiese gab es im Baurecht dazu. Die neuen Bauherren pflügten den Quartierplan «Schlossbungert West» auf der Parzelle 439 um – und der archäologische Dienst des Kantons Graubünden sondierte das Terrain. Erste Abklärungen im Frühling 2021 ergaben: Weit unter der Erde ist mehr als nur eine Leiche begraben, wie es am Mittwoch an einer Begehung mit den Medien in Zizers hiess.
Sechs Gräber gefunden
Knapp ein Jahr später ist von der Vialstrasse aus gesehen die linke Hälfte mindestens jedes Erdkorn bis zehn Meter Tiefe umgekehrt worden. «Wir haben Hinweise auf Erdbestattungen gefunden», sagt Christoph Walser, der beim Archäologischen Dienst die Bau- und Bodenforschung leitet. «Solche Funde kennen wir bisher nur aus Roveredo.» Die Brandbestattungen datieren aus dem 1. bis 5. Jahrhundert nach Christus.
Was man auch noch gefunden hat: Grabbeigaben. Ein noch nicht ganz ausgehobenes Grab zeigt einen Tonkrug, der noch halb in der Erde vergraben ist. Unter einem Zelt sieht man einen Schädel, dem ein Teil weggebrochen wurde. Man hat Bernsteinstückchen, eine Eisenfibel, viele, viele Tonscherben, einen Becher aus Speckstein und vieles andere gefunden. Das meiste stammt aus dem Spätmittelalter. Zu den Gräbern und Fundstücken gesellen sich zwei Grubenhäuser, von eines mindestens zwei Feuerstellen aufweist. Dazu entdeckte man eine Ofenanlage, weitere Feuer- und Ofenstellen, Pfostenlöcher und Abfallgruben.
Die Fundstücke kommen ins Depot
Überhaupt gibt es fast kein intaktes Grab unter der Künzliwiese. «Es wurde für den Ackerbau benutzt. Wenn man da mit einem Pflug den Acker umgegraben hat, kann es sein, dass diese Skelette erwischt wurden», sagt Christoph Walser. Ob es sich um Frauen oder Männer handelt, kann man noch nicht abschliessend sagen. Die meisten, davon kann man aber ausgehen, sind eines natürlichen Todes gestorben – soweit man das bis jetzt überblicken kann.» Die Funde schliessen auch eine Lücke – bisher waren Funde aus dem Frühmittelalter rar.
Und was passiert mit den Skeletten und den Fundstücken? «Wir putzen die Skelette. Alles wird noch näher untersucht und kommt dann ins Depot», sagt Thomas Reitmeier, der Leiter des Archäologischen Dienstes des Kantons Graubünden. «Wir sind ständig auf dem Stand des aktuellen Irrtums, wie man unter Archäologen sagt.» Bis Ende Jahr sollen die Ausgrabungen abgeschlossen sein.
Nächstes Jahr beginnen die Bauarbeiten für die neue Siedlung. Statt weidende Kühe und schlittelnde Kinder werden Menschen dort wohnen – wie damals im Mittelalter. Und statt Pflüge werden Autos durch das Gelände fahren, wenn auch nur unterirdisch.
(Bilder: zVg, GRHeute)