Ein Beitrag in der Reihe des FH Blogs.
Direktvertrieb, regionale Produkte und regionale Produktion sind starke Trends mit Wachstum im zweistelligen Bereich. Gemeinsam stark! Das ist das Motto von Stizun Lumnezia (www.stizun-lumnezia.ch). Dieses Projekt der Genossenschaft ViVal Lumnezia hat zum Ziel, für die Produzierenden im Val Lumnezia und der Surselva ein Netzwerk für den effizienten Direktvertrieb von Nahrungsmitteln und Produkten aus der Region aufzubauen. Der digitalen Plattform zur Koordination von Produzierenden, ihren Produkten und den Kunden kommt dabei eine grosse Bedeutung zu.
Das Konzept von Stizun Lumnezia ist in mehrfacher Hinsicht neuartig und innovativ. Einerseits werden Sortiment und Angebot einer Vielzahl von Produzierenden zusammengeführt. Anderseits ist dieses integrierte Angebot attraktiv für B2B-Kunden im Hotel- und Gastrobereich oder im Detailhandel. Die Koordinationsaufwände im Einkauf von regionalen Produkten direkt vom einzelnen Produzierenden sind für diese Kundschaft zu hoch, um selbst ein ganzes Netzwerk von Produzierenden zu unterhalten. Hier kommt Stizun Lumnezia zum Zug. Stizun Lumnezia senkt diese Aufwände durch Integration von vielen Produzierenden und bietet trotzdem dieselbe ‘direkt vom Hof’-Qualität und eine direkte Beziehung zu den Produzierenden.
Für die FHGR und mich begann die Zusammenarbeit mit dem Team von Stizun Lumnezia im Mai 2021. Seither darf ich als Projektleiter und Konzepter der ersten Stunde das Projektteam aus lokalen Vertretern, der Genossenschaft ViVal und der Stiftung U.W.Linsi beraten und begleiten. Der Auslöser zum Projekt war die Herausforderung, den Dorfladen in Vignogn und damit ein Stück Dorfleben zu erhalten. Das bisherige Projektteam hatte bereits eine Umfrage bei der Bevölkerung und den Gästen in der Region gemacht, um das Interesse am Erhalt des Dorfladens zu erheben. Das Echo war eindeutig. Mit dem Dorfladen würde auch ein letztes Stück Dorfleben aus dem Dorf verschwinden. Der Laden soll gerettet werden.
Neue Ideen waren gesucht. Das Geschäft muss zusätzlichen Umsatz durch ein zusätzliches Geschäft generieren. Der Dorfladen allein wird nicht überleben können. So entstand die Idee des Handels mit Produkten – grösstenteils Nahrungsmittel – aus der Region. Mit Vignogn als Zentrale und ‘Flagship Store’ einer neuen Marke von regional hergestellten Produkten und dem Aufbau eines professionalisierten Direktvertriebs an B2B-Kunden und auch B2C-Kunden in der Region und vor allem Auswärts könnte der nötige Zusatzumsatz erzielt werden. Somit stand die Vision fest. Auf diese Weise werden gleich zwei Herausforderungen neu zu einer Stärke kombiniert: Der erhalt des Dorflebens und die Stärkung des Vertriebs der lokalen Produktion.
Die Anspruchsgruppen
Stizun Lumnezia koordiniert einerseits die einkaufsseitige Zusammenarbeit mit Produzierenden und weiteren Lieferenten von Regional- oder auch Standardprodukten. Anderseits baut Stizun Lumnezia Beziehungen zu Kunden aus der Region und natürlich ausserhalb der Region auf – sogenannte Fernkunden B2B und B2C.
Ermöglicht wird dieses Geschäftsmodell durch Digitalisierung. Die Koordination eine Vielzahl von Produzierenden mit kleinerem und mittlerem Angebot, die Akquisition B2B-Kunden in der Region und der ganzen Schweiz, die Logistik-Planung usw. wären ohne sei nicht wirtschaftlich machbar. Die Plattform Stizun Lumnezia wird allen Produzierenden eine App zur Verfügung stellen, mit der Sie alle ihre Verkäufe planen und abwickeln können. Sie geben auch an, wann im Jahresverlauf welche Produkte und Mengen verfügbar werden. Die Kunden können das so zusammengeführte Angebot sehen und ihre Bestellungen planen und verwalten. Somit wird es möglich, grössere B2B-Kunden regelmässiger und mit grösseren Mengen zu beliefern.
Ohne digitale Plattform und Internet wäre das Geschäftsmodell nicht rentabel umsetzbar. Das ist heute zum Glück anders und das ist ein sehr schönes Beispiel der Chancen der Digitalisierung. Ein neuartiges Geschäftsmodell wird möglich, wirtschaftlich und die Perspektiven als Produzierende im Tal können im Erfolgsfall von Stizun Lumnezia wesentlich verbessert werden. Vielleicht wird es künftig sogar möglich sein, die Produktion in der Region zu steigern. Stizun Lumnezia ist kein Spezialitätenvertrieb. Es gibt bestimmt auch Spezialitäten im Sortiment, aber der Fokus liegt auf dem Vertrieb von Produkten wie Fleisch, Käse, Konfitüre usw. die in der Region und unter sehr guten Rahmenbedingungen hergestellt und also von sehr guter Qualität sind.
Viele Megatrends inbegriffen
Mehrere Megatrends werden mit diesem Modell angesprochen und genutzt, resp. in der Realität umgesetzt: regionale Produktion, regionale Produkte, Nachhaltigkeit, gesunde Produkte, gesunde Ernährung, gesunde Nutztiere und sogar die regionale Kreislaufwirtschaft.
Im Verlauf der Zusammenarbeit seit Mai 2021 wurde nebst der Schärfung des Konzepts bereits einiges erreicht. Der Dorfladen konnte im November 2021 neu eröffnet werden. Er verfügt über einen kleinen Bistroteil, wo man sich im Dorf treffen kann. Stizun Lumnezia hat ein eigenständiges Logo und auf Weihnachten 2021 hin stand auch bereits die Website und es konnte ein erstes Produkt ‘Stizun Lumnezia Geschenkkorb’ bestellt werden. Die Idee hiervon war, einen Botschafter für das kommende im Laden und auf der Website zu haben und das Projekt auf die Wintersaison hin bekannt zu machen. Übrigens, die Website wurde von einem Startup von FHGR-Studierenden erstellt. Auch auf Social Media ist Stizun Lumnezia aktiv. Man findet es auf LinkedIn, auf Twitter, auf Instagram und auf Facebook. Sitzun Lumnezia baut so parallel zur Projektumsetzung auch die eigene Community auf. Künftig sollen auch Events und Erlebnisse rund um die regionale Produktion einen zusätzlichen Beitrag zum Gesamtumsatz leisten.
Nun bin ich mit meinem Bericht in der Gegenwart angelangt. Der wichtige nächste Schritt ist nun der Aufbau der Zusammenarbeit mit den Produzierenden. Wenige Tage nach der Veröffentlichung dieses Blogs wird im Val Lumnezia ein grosser Informationsabend für Produzierende stattfinden und – so viel sei verraten – die Produzierenden-App wird bereits in einer ersten Version gezeigt und auch zum Einsatz kommen. Den ersten Prototypen entwickelten übrigens Studierende der FHGR im Rahmen der Innovators Challenge. Das Ziel ist, möglich viele Produzierende für Stizun Lumnezia zu begeistern und als Partner-Lieferanten gewinnen zu können. Auf der App werden Sie sich bereits registrieren und ihr Sortiment erfassen können. Danach wird es möglich sein, die Vertriebsseite aufzubauen. Zunächst wird B2B im Vordergrund stehen: Hotel, Gastro und Detailhandel in der Region und in der ganze Schweiz. Der erste Business Plan wurde ebenfalls von Studierenden im Rahmen des Best Businessplan Wettbewerbs entwickelt und vom Stizun Lumnezia Projektteam bereits weiterentwickelt.
Das Vorgehen im Projekt ist stark von agilen Methoden inspiriert. Anstatt eine grosse Gesamtplanung zu erstellen, konnten wir die Vision fixieren und seither setzen wir Teilprojekte, welche alle in sich wirtschaftlich Sinn machen, in Sprints um. Auf der Roadmap, im agilen Jargon unter den ‘Stories’, ist da zum Beispiel auch eine 24/7-self-checkout Lösung für den Dorfladen zu finden. Das wird ermöglichen, die Öffnungszeiten zu flexibilisieren und zu Zeiten offen zu haben, wenn ein Personaleinsatz nicht möglich oder wirtschaftliche ist. Self-checkout liefert so einen Beitrag dazu, dass bei sehr tiefen marginalen Kosten ein Mehrumsatz erzielt werden kann und damit die Arbeitsplätze besser abgesichert werden können.
Viele Herausforderungen stehen bevor
Noch gibt es für Stizun Lumnezia viele Herausforderungen zu meistern. Aber ‘Gemeinsam stark!’ ist nicht nur einfach der Slogan von Stizun Lumnezia. Da es ein genossenschaftliches Modell ist, wird der Slogan aktiv in der Zusammenarbeit mit den Produzierenden und der Bevölkerung gelebt. Ich bin überzeugt: das ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Stizun Lumnezia ist ein Vertriebsnetzwerk von Produzierendem mit Dorfladen und dortiger Verarbeitungs- und Logistikzentrale plus digitaler Plattform, das entlang den aktuellen Trends eine Vorreiter-Rolle spielen und künftig sogar in andere Regionen übertragen werden kann.
Die Produzierenden ‘verschwinden’ dabei nicht unter einer Dachmarke, das Gegenteil ist der Fall. Geplant ist, dass die Produzierenden durch die digitale Plattform selbst auch zu besseren Verkäufern werden. Dass sie nicht nur ihr Angebot, sondern auch den Kundenkontakt und ihre Eigendarstellung selbst übernehmen und gestalten. Für einen B2B-Kunden wird es deshalb sehr nahe am Direkteinkauf ab Hof sein. Ein Restaurant z.B. wird genau wissen, von welchem Hof und unter welchen Qualitätsstandards ein Produkt auf Stizun Lumnezia hergestellt wurde und kann diese Informationen auch nutzen, um diesen regionalen Bezug direkt den speisenden Gästen transparent zu machen. Das schöne Abendessen wird so noch authentischer und um einen Erlebnis-Aspekt reicher, da sich die Gäste selbst und in bisher nicht erreichtem Detail über die Herkunft und die Produktionsart der Speisen informieren können.
Der Dorfladen
Stizun heisst auf Deutsch übrigens einfach ‘Laden’. In Falle unseres Projekts als ‘Dorfladen’ zu verstehen. Stizun Lumnezia ist also gewissermassen der digitale Dorfladen und das Vertriebsnetzwerk des ganzen Tals, der ganzen Region. Dieser Ansatz – generell Produkte guter Qualität aus er Region und der offene Vertriebsnetzwerkgedanke – ist in der Landschaft der Regionalprojekte einzigartig und es ist für mich persönlich eine einmalige Gelegenheit und Erfahrung, zudem ein besonders sinnreiches Erlebnis, ein Projekt in diesem heute so aktuellen und wichtigen Themenumfeld begleiten zu dürfen. Dem Projektteam Stizun Lumnezia und den bereits genannten Partner die das ermöglichten danke ich herzlich!
Ein weiterer besonderer Punkt ist auch die vielseitige Zusammenarbeit mit der FHGR und den Studierenden: einerseits im direkten Auftrag an das KMU-Zentrum Graubünden www.kmuzentrum.ch und das Schweizerisches Institut für Entrepreneurship SIFE, anderseits als Partner und Challenge-Geber in der Innovators Challenge vom HS21 und im Studierendenprojekt Best Businessplan sowie als Auftraggeber an das studentische Startup Ryse. Ausblickend ist auch die ergänzende Finanzierung mit Fördermitteln und durch Förderinstrumente durch Einreichung etwa bei GRdigital, der Schweizerischen Berghilfe oder INOS Innovationsnetzwerk Ostschweiz vorgesehen.
‘Tut bien, Stizun Lumnezia!’ Alles Gute, Stizun Lumnezia, ich bin gespannt, wohin es uns noch tragen wird.
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Nico Tschanz ist Dozent am Schweizerischen Institut für Entrepreneurship (SIFE) und Leiter KMU-Zentrum Graubünden.
(Bilder/Grafiken: zVg.)