Meinungen: Lesen wir zu wenig?

Die Lesekompetenz mangelhaft, Textverständnis kaum noch vorhanden: Fast könnte man denken, das Lesen sei ein vom Aussterben bedrohtes Phänomen. Tatsächlich ist da etwas Wahres dran, zumindest oberflächlich betrachtet. Woran könnte das liegen? Kann das Ruder noch herumgerissen werden? Oder ist es einfach nur natürlich und quasi nur ein weiterer Schritt in der Evolution, dass das Lesen irgendwie aus der Mode gekommen zu sein scheint?

Die Tage scheinen kürzer zu werden und somit auch die Texte

Beginnen wir doch einfach mit der Frage, was zum Lesen überhaupt benötigt wird. Natürlich, Lesematerial. Solches ist reichlich vorhanden, somit kann dies kaum ein Argument dafür sein, dass der Literaturkonsum rückläufig ist. Was noch benötigt wird, ist aber die Zeit. Oder nennen wir es «Musse». Nun wird schon viel eher ein Schuh draus. Ist das Leben nicht viel zu hektisch geworden? Insgesamt betrachtet wird fast alles nur noch schnell, schnell, schnell gemacht. Schnell das Fastfood in die eine Hand, die Zeitung passt nicht mehr in die andere. Also das Smartphone gezückt, wo alles so schön auf winzige Schlagzeilen komprimiert ist, mobilfreundlich sozusagen. Dank der Multitaskingfähigkeit werden nebenbei noch schnell ein paar Dinge bestellt, 5 Euro ohne Einzahlung als Bonus im Casino geschnappt, ein Spiel beendet, der Kontostand bei der Online-Bank überprüft und was eben noch so getan werden muss. Die Zeit rennt und rennt. Wir rennen eben mit. Zeit und Musse? Das ist doch ein Luxusgut, das sich höchstens Pensionäre gönnen können. Die Glücklichen! All das mag übertrieben klingen, aber etwas Wahres ist dran. In Ruhe lesen, also nicht einfach nur das Querlesen oder Überfliegen des Nötigsten, ist gar nicht mehr so einfach in all der Hektik und Zeitnot. Das Resultat? Kurze Texte überall.

Kurz oder gleich ganz in gesprochener Form

Aus der (Zeit-)Not wurde eine Tugend gemacht, so könnte man denken. Wann sind eigentlich diese ganzen Hörbücher auf den Markt gekommen? Irgendwie schienen sie plötzlich dagewesen zu sein und im Eiltempo haben sie es mit den Verkaufszahlen der entsprechenden Schmöker aufgenommen. Praktisch, so ein Hörbuch. Man sitzt im Auto und kann lesen. Indirekt, denn in Wirklichkeit liest ein Sprecher alles vor. Ist doch eine tolle Alternative, nicht wahr? Dann ist da noch etwas Auffälliges, was sich irgendwie in unseren Alltag geschlichen hat. Erinnern Sie sich an die Anfänge der SMS? Inzwischen gibt es stattdessen ja kostenlose Messenger, die fast jeder Mensch auf dem Smartphone nutzt. Hier wurden von jeher kurze Texte getippt und folglich auch vom Empfänger gelesen. Inzwischen ist es jedoch mehr in Mode, die Informationen nicht in einen Text, sondern in eine Sprachnachricht zu verpacken. Das sei bequemer, so meinen die Fans dieser Art der Kommunikation. Aber, diesbezüglich gibt es auch noch eine weitere Entwicklung, die sich im Nachhinein betrachtet, allmählich entwickelt hat.

Jugendsprache, SMS-Sprache, Bildsprache

Wäre es dreist, die Umwandlung von Text in Bild als «Lese-Evolution rückwärts» zu betiteln? Wir erlauben uns dieses Spässchen einfach einmal, da es sich schliesslich nur um eine Meinung handelt. Natürlich muss eine Textnachricht auch nicht einem Bestseller-Niveau gerecht werden, aber teilweise treibt die Vereinfachung der ohnehin schon einfachen Kurznachrichten schon interessante und, naja, absurde Blüten. Hier hat uns die Zeitverknappung mit voller Wucht getroffen, wenn man es so nennen darf. Da wurde aus dem «lieben Gruss» ein «LG», was ja noch verständlich ist. Lol ist nicht mehr nur ein PC-Spiel, sondern auch das Lachen des Textverfassers. Na gut, alles noch zu verkraften. Interessant ist, dass die Jugendlichen, die es gar nicht anders kennen, die witzigen Kürzel auch in den mündlichen Sprachgebrauch übernehmen. Dort existieren sie weiter, die «Lols» und «Rofls». Wo sie allerdings immer weniger anzutreffen sind, die possierlichen Wortneugeschöpfe, ist in den Textnachrichten. Dort werden sie neuerdings von Emoticons verdrängt. Diese kleinen Gesichter vermehren sich in den Messengern wie die Häschen und drücken Gefühle aus. Ein Smiley sagt eben mehr als tausend Worte. Wenn nicht, und hier schliesst sich der Kreis, muss eben die Sprachnachricht herhalten. Vom Text über die vereinfachte Messenger-Sprache über die Bildsprache bis hin zur gesprochenen Sprache. Was bleibt auf der Strecke? Das Lesen.

Ist das Lesen wirklich vom Aussterben bedroht?

Bevor wir nun alles zu schwarz malen, sollten wir Lesefans einen Lichtblick und Zuversicht geben. Wir glauben nicht, dass das Lesen aussterben wird. Das geschriebene Wort mag im Alltag hier und da verzichtbar geworden sein durch die Hörbücher, die Messenger und die Emoticon-Bildchen. Aber, und das ist der Punkt: Echte Literatur ist eine Kunstform. Kunst ist zeitlos, aber auch veränderlich. Sie entwickelt sich im Laufe der Zeit. Bricht eine neue Epoche heran, bleiben die vorherigen trotzdem bestehen. So gibt es auch heute noch Jugendliche, die den Faust lesen oder die Stephen-King-Klassiker verschlingen. Manchmal erkennt man die Leser gar nicht als solche, denn die Bücher tarnen sich gut. Sie sind versteckt in Tablets, eBook-Readern oder sogar auf dem Smartphone. Ja, und manchmal werden sie eben auch vorgelesen, weil Hörbücher wirklich unglaublich praktisch sein können. Keine Sorge, das Lesen stirbt nicht aus, es existiert weiter, aber die Medien werden transformiert. Es ist nicht mehr notwendig, ein echtes Buch zu besitzen.

Da scheiden sich die Geister

Es ist schwer zu sagen, ob das Lesen ein Auslaufmodell ist. Richtig ist, dass viele Kinder, Jugendliche und Junge Erwachsene schon jetzt Probleme haben, ein komplexes Thema in Textform zu erfassen, obwohl sie eigentlich über eine gute Bildung verfügen müssten und Lesematerial reichlich vorhanden wäre. Die Betroffenen werden wohl auch eher dazu neigen, ihre Texte im Messenger nicht zu tippen, sondern aufzusprechen. Wird dann doch einmal geschrieben, geht es kaum ohne die besagten Emoticons. Leider führt genau das dazu, dass das Problem sich nicht bessert. Es wird ja auch gar nicht wahrgenommen. Wieder andere junge Menschen sind wahre Bücherwürmer und Literaturkenner. Sie lesen viel, auch wenn das aufgrund der Digitalisierung vielleicht nicht mehr so auffällt. Was früher einen kiloschweren Schmöker brauchte, findet heutzutage digital auf einem winzigen Smartphone Platz. Dieses verrät übrigens auch gleich die Trends und Bestsellerlisten, Autobiografien der Autoren, Reviews und viel mehr. Das Fazit lautet also in etwa: Die Gesellschaft spaltet sich zunehmend in Leser und Nichtleser, ohne dass man davon etwas hört oder liest.

 

(Bild: Pixabay)