Beurteilung der Nachhaltigkeit als hilfreiches Instrument

Die Schweiz hat sich seit über 20 Jahren zur Förderung einer Nachhaltigen Entwicklung verpflichtet. Ein hilfreiches Instrument zur Umsetzung dieses Ziels in der Praxis ist die Nachhaltigkeitsbeurteilung. Durch die Zusammenführung einer systematischen Untersuchung der Auswirkungen eines Projekts auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft mit der Diskussion und Bewertung dieser Folgen entsteht ein ganzheitliches Bild und somit eine transparente Grundlage für die Entscheidungsträger.

Als ein für alle Staatsebenen verbindliches Ziel ist die nachhaltige Entwicklung seit 1999 im Artikel 2 in der Schweizer Bundesverfassung verankert. Die entsprechenden politischen Schwerpunkte legt der Bundesrat für jede Legislaturperiode in der «Strategie Nachhaltige Entwicklung» fest. Darin zeigt die Landesregierung auf, welchen Beitrag die Schweiz zur Erreichung der globalen Agenda 2030 und den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (UN Sustainable Development Goals, SDG) leisten will.

Nachhaltige Entwicklung ist kein Zustand sondern ein Prozess

Nachhaltige Entwicklung ist dabei nicht als ein zu erreichender Fixzustand sondern als Prozess zu verstehen. Es handelt sich um ein normatives Konzept, und dieses wird je nach Kontext (Land, Branche, Unternehmung, Person) unterschiedlich verstanden und ausgelegt. Obschon dem Begriff das gemeinsame Prinzip der inter- und intragenerationellen Gerechtigkeit zu Grunde liegt, bestehen viele unterschiedliche Meinungen wie dies in der Praxis zu berücksichtigen ist. Interessenskonflikte sind somit unausweichlich. Aus diesem Grund gilt es, Zielkonflikte frühzeitig und gemeinsam zu bewältigen. Aus wissenschaftlicher Sicht stellt sich hierbei die Frage, wie Politikmassnahmen und Projektvorhaben aus Sicht einer Nachhaltigen Entwicklung beurteilt und bewertet werden können.

Die Nachhaltigkeitsbeurteilung als Praxisinstrument

Die Nachhaltigkeitsbeurteilung (NHB) hat zum Ziel, bei Projekten und politischen Entscheiden die Grundsätze der Nachhaltigen Entwicklung zu berücksichtigen. Dabei geht es aber weniger um die Frage, ob ein Vorhaben absolut nachhaltig ist oder nicht, sondern um eine Optimierung in Bezug auf die Zielsetzungen einer Nachhaltigen Entwicklung. Die NHB bietet sich somit als Ergänzung zu etablierten Methoden und Instrumenten der Folgenabschätzung und Projektbewertung an. Dabei hilft sie transparente Entscheidungsgrundlagen für den politischen Prozess zur Verfügung zu stellen. Im Grundsatz erfordert eine NHB die systematische Untersuchung der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen in allen Projektphasen – von der Planung über die Realisierung, der Nutzung bis zum Rückbau respektive der Nachnutzung.

Obschon dazu ein generelles Raster anlehnend an die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen als Grundlage verwendet werden kann, müssen meist noch spezifische Anpassungen an den jeweiligen Kontext vorgenommen werden. Dies erfordert einerseits fachspezifische Kenntnisse und Analysen in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft und andererseits den Einbezug relevanter Stakeholder, mit denen die Auswirkungen eines Projektes diskutiert und gemäss ihrer Bedeutung im Gesamtkontext gewichtet respektive bewertet werden können.

In der Praxis sind zahlreiche Instrumente und Leitfäden im Umlauf, die auf die jeweiligen Anwendungsbereiche zugeschnitten sind. Auf kantonaler Ebene gilt der Kanton Bern mit seinem Nachhaltigkeitskompass als Vorreiter. Auf Bundesebene nimmt das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) eine zentrale Rolle ein und publiziert Studien, Leitfäden und Erfahrungsberichte aus der ganzen Schweiz. In der Baubranche gab der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) zwei Normen zum nachhaltigen Bauen (SIA 112 und SIA 112/2) heraus. Weit bekannt ist ebenfalls der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz des Netzwerks Nachhaltiges Bauen Schweiz (NNBS), das die bundesrätliche Strategie für eine nachhaltige Entwicklung in ein übergreifendes Konzept und einen Leitfaden für den Hochbau überführte.

Forschende der FH Graubünden entwickeln eigenes Instrument

Anlehnend an die Ziele für eine Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und der «Strategie Nachhaltige Entwicklung» des Bundesrates entwickelten Forschende der FH Graubünden ein eigenes Instrument zur NHB. Dieses basiert auf vielen bisherigen Werkzeugen, ergänzt diese aber um eine wichtige Komponente: Neben einer wissenschaftlich-technischen Beurteilung der Auswirkungen eines Projektvorhabens auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft wird unser Ansatz mit der Bewertung respektive Gewichtung dieser Auswirkungen durch Vertreterinnen und Vertreter relevanter Interessensgruppen ergänzt. Wir nennen dies deshalb eine integrierte Nachhaltigkeitsbeurteilung.

Nachhaltigkeitsaspekte messen mit einer integrierten NHB

Die integrierte NHB verknüpft die technische Projektfolgeabschätzung einer klassischen NHB mit einem Stakeholderdialog. Die mittels Indikatoren gemessenen Auswirkungen eines Vorhabens auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft werden zusätzlich von betroffenen Interessensgruppen diskutiert und gewichtet. Der frühzeitige Einsatz einer integrierten NHB hilft ein Projektvorhaben hinsichtlich der Ziele der Nachhaltigen Entwicklung zu optimieren und stärkt zugleich dessen öffentliche Akzeptanz. Dies ist allen voran bei grösseren Projekten von zentraler Bedeutung, wie ein Praxisbeispiel aus dem Kanton Graubünden gezeigt hat.

Eine integrierte NHB verknüpft eine technische Analyse der Projektfolgen mit einer Gewichtung dieser Folgen durch Stakeholder.

Fallstudien: integrierte NHB von Schweizer Wasserkraftprojekten

Im Rahmen eines nationalen Forschungsprojekts zur «Zukunft der Schweizer Wasserkraft» haben wir integrierte NHB zu ausgewählten Wasserkraftprojekten durchgeführt. Unsere Fallstudie zum Ausbau der Wasserkraftanlagen im Valposchiavo (GR) verdeutlichte rückwirkend, wie ein Generationenprojekt so geplant werden konnte, dass sich am Ende alle Interessensgruppen – von der Energiegesellschaft über die Umweltverbände bis zur Bevölkerung – dafür einsetzten.  In einer weiteren Fallstudie wurden mit einem Kraftwerksbetreiber im Tessin verschiedenen Projektalternativen mit Hilfe einer integrierten NHB evaluiert.

Die Beurteilungen wurden jeweils von einer Expertengruppe auf einer Skala von -3 bis +3 für rund 150 Indikatoren zu verschiedenen Kriterien in den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft durchgeführt. In einem Stakeholderdialog wurden diese Auswirkungen besprochen und gemäss ihrer Bedeutung bewertet. So lassen sich wirtschaftlich wichtige, doch gesellschaftlich umstrittene Bauvorhaben durch einen sorgfältig durchgeführten Stakeholderdialog in einem iterativen Prozess schrittweise optimieren, bis eine für alle Interessensgruppen zufriedenstellende Lösung gefunden ist.

Ausblick – die NHB wird in Zukunft immer bedeutender

Eine NHB kann über alle Phasen der Projektplanung hinweg ein hilfreiches Instrument zur Projektoptimierung darstellen und helfen, Widerstände abzubauen. In diesem Zusammenhang erhöht eine integrierte NHB die Erfolgschancen eines Projekts. Mittels einer NHB können die Auswirkungen eines Projektvorhabens auf die Nachhaltige Entwicklung einer Region bzw. einer Volkswirtschaft auf einfache Weise qualitativ und quantitativ beurteilt und bewertet werden. Eine integrierte NHB kann insbesondere helfen den sozialen Wert eines Projekts aufzuzeigen und zusätzliche Informationen zu liefern, wenn es darum geht den Entscheid über die Durchführung eines Vorhabens zu unterstützen – selbst wenn der rein betriebswirtschaftliche Wert des Projekts negativ ist.

Was die Untersuchungen zur integrierten NHB bei Wasserkraftprojekten zeigten, gilt auch für andere (Bau-)Vorhaben oder Politikmassnahmen. So sind die Anwendungsmöglichkeiten vielfältig und eine integrierte NHB dürfte beispielsweise im Kanton Graubünden auch für touristische Grossprojekte oder städtebauliche Massnahmen ein interessantes Instrument darstellen.

Zur Herkunft des Begriffs

Der Begriff der Nachhaltigkeit hat seinen Ursprung in der Forstwirtschaft. Dort wurde er im 18. Jahrhundert erstmals im Zusammenhang erwähnt, dass dem Wald nicht mehr Holz entnommen werden soll als wieder nachwachsen kann. Eine Nutzung wird daher als nachhaltig bezeichnet, wenn die Ressource dadurch mittelfristig nicht gefährdet ist (bspw. Forstwirtschaft, Fischerei). Die moderne Auslegung des Begriffs der Nachhaltigen Entwicklung geht auf die 1983 gegründete Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen zurück. Unter dem Vorsitz der norwegischen Politikerin Gro Harlem Brundtland entstand 1987 das Leitbild zur heutigen Auffassung der Nachhaltigen Entwicklung – der als «Brundtland-Bericht» bekannte Bericht «Our Common Future». Eine Nachhaltige Entwicklung wird darin so definiert, dass diese die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche befriedigen zu können.

Autoren

Marc Herter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung ZWF der Fachhochschule Graubünden. Er arbeitet an verschiedenen Forschungs- und Dienstleistungsprojekten mit Schwerpunkten in den Bereichen Regionalentwicklung und Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik mit.

Prof. Dr. Werner Hediger ist Leiter des Zentrums für wirtschaftspolitische Forschung ZWF der Fachhochschule Graubünden und leitet Forschungs- und Beratungsprojekte in den Themenbereichen der Energieökonomie und Regionalentwicklung.