Die Regierung nimmt die Berichte von Prof. Dr. Martin Beyeler sowie von Prof. Dr. Andreas Stöckli betreffend die Vorwürfe gegenüber kantonalen Behörden im Zusammenhang mit den Untersuchungsergebnissen der Wettbewerbskommission (WEKO) zu den Submissionsabreden zur Kenntnis. Die Professoren stellen keine systematischen Defizite oder Verfehlungen im Untersuchungszeitraum von 2004 bis 2012 fest, konnten jedoch ein Fehlverhalten bei einzelnen untersuchten Vorgängen identifizieren. Das im Jahr 2013 eingeleitete Massnahmenpaket zur Erkennung von Submissionsabreden würdigen sie positiv und regen punktuelle Verbesserungen an.
Im Zusammenhang mit den Untersuchungsergebnissen der WEKO zu den Submissionsabreden zwischen Bauunternehmungen im Unterengadin und im Strassenbelagsbau in Nord- und Südbünden wurden ab April 2018 (WEKO-Entscheid «Engadin I») in der Öffentlichkeit auch Vorwürfe gegen das Bau-, Verkehrs- und Forstdepartement (BVFD, heute Departement für Infrastruktur, Energie und Mobilität [DIEM]), sowie das kantonale Tiefbauamt (TBA) erhoben.
Einsetzung mehrerer unabhängiger Fachexperten
Die Regierung erachtete es vor diesem Hintergrund als angezeigt, die Vergabeabläufe im TBA im von der WEKO untersuchten Ermittlungszeitraum von 2004 bis 2012 sowie die in diesem Zusammenhang gegenüber dem BVFD und TBA erhobenen Vorwürfe durch unabhängige Fachexperten untersuchen zu lassen. Im Mai 2018 ordnete die Regierung deshalb eine externe Untersuchung an und beauftragte Prof. Dr. Martin Beyeler, Professor für Bau- und Vergaberecht an der Universität Freiburg, und Prof. Dr. Andreas Stöckli, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Freiburg, mit der Untersuchung der Rechtsgrundlagen, Prozesse und Praxen des BVFD sowie des TBA bei Arbeitsvergaben (Untersuchungsauftrag 1). Des Weiteren wurden Prof. Dr. Andreas Stöckli und Prof. em. Dr. Peter Hänni als unabhängige Fachexperten zur Führung der administrativen Untersuchung einzelner Vorgänge im TBA, die im Zusammenhang mit Preisabsprachen hätten stehen können, eingesetzt (Untersuchungsauftrag 2).
Methodik und Vorgehen der Untersuchungen
Zur Erstellung des Sachverhalts wurden den untersuchungsführenden Professoren alle erforderlichen Akten zur Verfügung gestellt. Für den Untersuchungsauftrag 2 wurden zudem mehrere Personen zu einzelnen Sachverhalten befragt. Ebenfalls fand ein Informationsaustausch mit der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) statt, welche vom Grossen Rat zeitgleich zur Administrativuntersuchung ebenfalls im Zusammenhang mit den Submissionsabreden in Graubünden eingesetzt worden war.
Untersuchungsergebnisse
Die Regierung nimmt zur Kenntnis, dass die Experten keine systematischen Defizite oder Verfehlungen im Untersuchungszeitraum von 2004 bis 2012 festgestellt haben. Es habe sich aber gezeigt, dass das damalige Verständnis hinsichtlich der Submissionsabreden vor allem von einer starken Gewichtung des Preisvergleichs zwischen Kostenvoranschlag und Offertpreisen im konkreten einzelnen Fall einer Vergabe geprägt gewesen sei und diese Praxis auch in der seinerzeitigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts eine Stütze gefunden habe. Dies habe zu einer eingeschränkten Wahrnehmung hinsichtlich möglicher unzulässiger Wettbewerbsbeschränkungen geführt. Ausserdem sei keine generelle und langfristige Überprüfung der Preisentwicklungen vorgenommen worden, um Indizien für Submissionsabreden erkennen zu können. Eine solche sei allerdings im untersuchten Zeitraum auch in anderen Kantonen nicht so durchgeführt worden.
Betreffend die untersuchten Vorgänge im TBA stellten die Experten fest, dass in mindestens einem Fall auf ungeklärte Weise eine interne Projektliste des TBA an Bauunternehmer gelangt sei. Weiter zeigte sich, dass das TBA im untersuchten Zeitraum von 2004 bis 2012 eine nicht sachgerechte Praxis pflegte, an sogenannten Regionalversammlungen und an Sektionsversammlungen des Graubündnerischen Baumeisterverbands (GBV) über Budgetzahlen für spezifische, im Folgejahr vorgesehene Tiefbauprojekte zu informieren, was Submissionsabreden begünstigt haben könnte. Hingegen fanden sich keinerlei Hinweise, dass Mitarbeitende des TBA bzw. des BVFD über Absprachen in konkreten Submissionsverfahren informiert gewesen seien und durch die Herausgabe von Projektlisten absichtlich mit den Bauunternehmern kolludiert hätten. Hinsichtlich des Vortritts von A.Q. beim TBA im Jahr 2009 sei einzelnen Mitarbeitenden des TBA ein Fehlverhalten anzulasten. Es sei aus heutiger Sicht nicht zu übersehen, dass den Mitarbeitenden im Umgang mit dem Vortritt von A.Q. tatsächlich eine mangelnde Sensibilität hinsichtlich des Themas von Submissionsabreden vorzuhalten sei. Diese Fehleinschätzung sei nicht zuletzt einer im TBA vorherrschenden Sichtweise geschuldet gewesen, die stark auf das einzelne Submissionsverfahren und darin zu treffende submissionsrechtliche Massnahmen fokussiert gewesen sei. Abschliessend hielt die Untersuchung fest, dass einzelne Mitarbeitende des TBA über Kenntnisse von Submissionsabreden verfügt hätten, woraus geschlossen werden könne, dass im TBA ein allgemeines Wissen, dass es im Baugewerbe zumindest zeitweise Absprachen gegeben habe, vorhanden gewesen sei. Allerdings hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass Mitarbeitende über konkrete Auftragszuteilungen und Preisabreden informiert gewesen seien oder diese mitgetragen hätten. Sowohl den Mitarbeitenden des TBA als auch denjenigen des BVFD könne somit kein Fehlverhalten in Bezug auf die generelle Erkennbarkeit von Absprachen vorgeworfen werden.
Die Untersuchungen haben im Weiteren ergeben, dass die Regierung seit Eröffnung der WEKO‐Untersuchung im Jahr 2012 zahlreiche Verbesserungsmassnahmen getroffen hat. Insgesamt wird dem BVFD resp. dem DIEM und dem TBA bei der Anpassung seiner Vergabeabläufe aus Sicht der Experten eine sehr sorgfältige und gründliche Vorgehensweise attestiert. So hätten die Bündner Behörden bereits ab 2013 Handlungsbedarf erkannt und Massnahmen zur Optimierung der Vergabeprozesse ergriffen und diese seither aufmerksam weiterentwickelt. Zu den eingeführten Massnahmen gehörten namentlich die standardisierte Verwendung von Kontroll-Checklisten zur besseren Erkennung von Abspracheindizien sowie die Einrichtung einer Anlaufstelle beim BVFD, damit ein möglicher Verdacht auf Submissionsabreden zentral gemeldet, gehört und abgeklärt werden könne. Ausserdem würden auch neue digitale Technologien (Angebotsscreening) angewendet, um Indizien auf Submissionsabreden zu erhalten und rechtswidrige Absprachen zu verhindern.
Handlungsempfehlungen
Diese gutachterliche Beurteilung wird mit einzelnen Handlungsempfehlungen zur weiteren Verbesserung der bereits eingeleiteten Massnahmen ergänzt. So schlagen die Experten insbesondere vor, die Checkliste in einigen Punkten zu präzisieren oder zu ergänzen, Schulungen auch für beauftragte Architektur- und Ingenieurbüros durchzuführen sowie zu prüfen, ob die bestehende Anlaufstelle für die Meldung von Submissionsabsprachen verwaltungsextern angesiedelt werden solle. Der Kanton nimmt dies zum Anlass, seine Prozesse und Massnahmen zur Bekämpfung von Submissionsabreden anhand der Empfehlungen zu überprüfen und weiter zu verbessern.
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