Ein Blick auf die Verkehrserschliessung macht es immer noch überdeutlich: Graubünden ist der am meisten vernachlässigte Kanton der schweizerischen Verkehrspolitik.
Drei Punkte sind augenfällig:
- Bezogen auf das Strassennetz verfügt Graubünden – mit Ausnahme des Kantons Appenzell Innerrhoden – über am wenigsten Nationalstrassen. Nationalstrassen sind Strassen, für die der Bund aufkommt.
- Die Schweizerischen Bundesbahnen erschliessen die meisten Kantone auf vorbildliche Art und Weise. In Chur endet dieses nationale Erschliessungswerk. Dank der RhB besteht überhaupt noch in unserem Kanton eine Bahnerschliessung.
- Die Schweiz ist im Norden, Westen und Süden mit Bahn und Nationalstrasssen international angebunden. Eine Anbindung des östlichsten Teils der Schweiz an die Nachbarländer mit nationalen Verkehrsanlagen fehlt gänzlich. Dafür investiert bzw. investierte die Schweiz sogar im Ausland, um die Verkehrsverbindungen der andern Regionen zu verbessern!
Vor rund 10 Jahren gab es einen kleinen Hoffnungsschimmer: Der Bund erklärte sich bereit, die Julierstrasse als Verbindung ins Engadin zur Nationalstrasse aufzuwerten und sich an der Sanierung bzw. des Albulatunnels der Rhätischen Bahn stark zu beteiligen. Während der Ausbau des Albulatunnels in Angriff genommen werden konnte, weil die Baufälligkeit offensichtlich war, ist es in den letzten Jahren still geworden um die Verbesserung der Verkehrsgunst des östlichsten Teils der Schweiz. Dabei ist die Grunderschliessung entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Volkswirtschaft unseres Kantons in Zukunft wettbewerbsfähig sein kann.
Und unsere Politiker? Was hat man in diese Richtung in letzter Zeit gehört? Kurz vor den Wahlen ein paar Versprechen, Umsetzungen fehlen aber weitgehend. Oder man hält sich an die Grünen, für die jedes zusätzliche Fahrzeug, das nach Graubünden kommt, die weltweite CO2-Problematik nachhaltig beeinflusst? In der Tat, man traut sich offenbar nicht, entscheidende Wachstumsimpulse über eine Verbesserung der Verkehrsgunst auszulösen.
Was sind nun die Projekte, die anstehen und für die auf Bundesebene dringend eine Diskussion ausgelöst werden muss? Dabei geht es nicht darum, für Graubünden irgendwelche Almosen zu erbetteln, es geht darum, eine gerechte Gleichbehandlung mit der übrigen Schweiz zu verlangen.
Dazu fünf Punkte:
- Verbindung nach Österreich/Deutschland. Die Bahnanbindung von Graubünden mit dem Grossraum München ist mit einer Verbindung Scuol-Landeck möglich und könnte wichtige wirtschaftliche Impulse auslösen.
- Eine Verbindung von Scuol Richtung Südtirol würde wichtige Tourismusregionen miteinander verbinden und ebenfalls wichtige Impulse für eine unserer peripheren Regionen auslösen.
- Die Umsetzung der Umklassierung der Julierstrasse darf sich nicht nur auf die Namensgebung beschränken. Vielmehr sind zur Umsetzung Investitionen zu tätigen und zwingend die Nationalstrasse bis zur Grenze nach Castasegna zu verlängern. Damit wäre die erste nationale Anbindung des Engadins zu einem Nachbarstaat sichergestellt.
- Auch im Unterengadin stellt sich die Frage der nationalen Anbindung zu den Nachbarstaaten. Sei dies nun über den Ofenpass oder Martina. Zu dieser West-Ost-Verbindung gehören auch wesentliche Verbesserungen beim Autoverland am Vereina.
- Wie das Engadin ist auch die Surselva heute von guten Verkehrsverbindungen nach aussen praktisch abgeschnitten. Die Forderungen nach einer Ost-Tunnelverbindung von Sedrun nach Andermatt wie auch die Umsetzung der Bahnstation im Gotthardtunnel sind aus dieser Sicht mehr als gerechtfertigt. Auch diese Themen dürfen nicht eine CVP-interne Sache der Cadi sein, sie haben nur eine Chance, wenn sie zum Bündner Anliegen erhoben werden.
Ich bin mir bewusst, dass viele Leute den Kopf schütteln werden und die vorliegenden Projekte als Utopien abtun werden. Das Risiko, dass es Utopien sind, ist vorhanden, solange jede Region und jeder Ort sich für sein Projekt engagiert und die Projekte gegeneinander ausgespielt werden. Ein Durchbruch zu einer gerechteren nationalen Verkehrspolitik verlangt, dass Graubünden geschlossen auftritt und der übrigen Schweiz die Benachteiligungen bewusst macht. Es braucht dazu eine kämpferischere Regierung und vor allem eine geschlossenere Bündner Parlamentariervertretung in Bern. «Vo nüt, kunnt nüt» heisst ein bekanntes Sprichwort. Es ist zu hoffen, dass sich dies unsere Politiker hinter die Ohren schreiben!
(Bild Julierpass: Archiv/zVg.)