Mit der Einkehr der kalten Jahreszeit zieht das Wild im Parc Ela in seine gewohnten Wintereinstandsgebiete. Was die Wölfe machen, die sich in der Region Mittelbünden angesiedelt haben, erklären die Wildhüter Ricardo Engler und Johannes Tomaschett im Interview. Als Bezirkschef des Jagdbezirks 5/6 vom Amt für Jagd und Fischerei (AJF) ist Ricardo Engler für die Regionen Albula, Davos und Surses zuständig, Johannes Tomaschett ist Wildhüter für das Gemeindegebiet von Bergün Filisur.
Was weiss man über das Wolfsrudel im Parc Ela, wie viele Tiere sind es und welchen Namen trägt es?
Tomaschett: Ende Juli 2020 beobachtete die Hirtin der Jungviehalp auf Falein ob Filisur mögliche Wolfswelpen. Einen Tag später konnten wir diese Beobachtung bestätigen. Es handelte sich um sechs Wolfswelpen. Im Verlauf des Septembers wiesen mehrere Beobachtungen auf den Verlust eines Welpen hin. Wir nannten die Wolfsfamilie «Muchetta-Rudel». Aufgrund des Aufenthaltsorts während der ersten Lebensmonate schien es uns naheliegend, das Rudel gleich wie den Berg oberhalb zu nennen.
In welchem Raum bewegt sich das Muchetta-Rudel und wie standorttreu sind die Tiere?
Tomaschett: Die Wolfsfamilie hielt sich bis zum Schneefall gegen Ende Oktober im Gebiet Falein auf und verschob sich dann in Richtung Bergün. Mit dem Heranwachsen der Welpen wurde das Rudel mobiler und sein Streifgebiet grösser. Es machte auch schon einen Ausflug bis ins untere Surses. Die letzte Beobachtung von Anfang Dezember stammt aus dem Val Tuors in Bergün. Bisher verhielt sich das Rudel eher unauffällig. Aufgrund der Erfahrungen der Vorjahre ist anzunehmen, dass sich das Rudel im kommenden Winterhalbjahr entlang des Albula-Haupttals und des unteren Surses bewegen wird, wo sich die Elterntiere bereits im letzten Winter aufhielten.
Ziehen die Wölfe im Winter ins Tal und wenn ja warum?
Engler: Zur Hauptnahrung der Wölfe gehört das Hirschwild. Das Muchetta-Rudel wird mit der Wanderung des Hirschwildes in die traditionellen Wintereinstände mitziehen. Die Einstände liegen hauptsächlich an den Südlagen des Albulatals und je nach Schneelage auch in der Umgebung der Dörfer. Das Rudel wird in den Wildeinständen wohl häufig das Jagdgebiet wechseln.
Sind nebst dem Muchetta-Rudel weitere Wölfe in der Gegend und welche Entwicklung der Population wird erwartet?
Engler: Seit 2014 gibt es regelmässig Wolfsnachweise in Mittelbünden. Im Frühjahr 2020 gab es sichere Nachweise von drei erwachsenen Wölfen im inneren Albulatal. Es kann davon ausgegangen werden, dass zwei davon die Elterntiere des Muchetta-Rudels sind. Während dem Sommer/Herbst 2020 gab es immer wieder sichere Hinweise und Beobachtungen von mindestens drei weiteren Wölfen im Surses. Zwei davon wurden regelmässig zusammen beobachtet, was eventuell auf eine neue Paarbildung schliessen lässt.
Wie verlief der Sommer 2020 in Bezug auf die Nutztiere? Gab es in Mittelbünden Nutztierrisse?
Tomaschett: Im Streifgebiet des Rudels am Muchetta befinden sich zwei grosse Schafalpen mit insgesamt 2000 Schafen. Beide Herden werden behirtet und zusätzlich durch Herdenschutzhunde geschützt. Nachts sind die Tiere eingepfercht. Seitens der Hirtschaft wurden während der Sömmerungszeit keine Auffälligkeiten beobachtet. Nachts gaben aber gelegentlich die Herdenschutzhunde an, was auf die Anwesenheit der Wölfe in der Umgebung der Herde schliessen lässt. Im Einzugsgebiet des Rudels wurde während der Sömmerungsperiode nur ein Schafriss registriert.
Engler: Im Surses gibt es dagegen alle Formen der Kleinviehsömmerung. Die einzelnen Wölfe sorgten in den Sömmerungsgebieten bei den Landwirten und bei der Wildhut für viel Arbeit und Ärger. Insgesamt wurden 25 Schafe und 14 Ziegen gerissen. Schmerzhaft wurde aufgezeigt, dass mit der Anwesenheit des Wolfes eine Sömmerung nach gewohnter Praxis in Zukunft wohl nicht mehr möglich sein wird und dass je nach den Gegebenheiten vor Ort ein ausreichender Schutz gar nicht mehr gewährleistet werden kann.
Welchen Einfluss hat die Wolfspräsenz auf das Verhalten und die Population des Schalenwildes?
Tomaschett: In diesem Sommer haben im Albulatal nur die Elterntiere des Rudels gejagt. In der näheren Umgebung des Aufzuchtgebietes der Welpen wurde weniger Wild beobachtet. Allgemein ist das Schalenwild (Hirsch, Reh, Gämse) viel aufmerksamer und scheuer geworden. Im Vergleich zu den Vorjahren fiel die Jagdstrecke, das während der gesamten Jagd erlegte Wild, jedoch nicht geringer aus.
Engler: Lokal ist ein Einfluss des Rudels auf das Schalenwild möglich. Eine Reduktion der Hirschpopulation in Mittelbünden ist kurzfristig aber eher nicht zu erwarten. Wenn sich das Rudel mit erwachsenen Tieren etabliert hat oder sich angrenzend ein weiteres Rudel bildet, wird sich das längerfristig aber auf den Schalenwildbestand auswirken.
Wie soll man sich verhalten, wenn man Wölfen begegnet?
Engler: Wer einem Wolf begegnet, sollte stehen bleiben und den Augenblick geniessen. In der Regel zieht sich der Wolf zurück oder flieht. Man sollte nicht versuchen, sich dem Wolf zu nähern, auch nicht um das Tier zu fotografieren. Auf keinen Fall sollen Wölfe verfolgt werden. Zudem soll jede Beobachtung dem örtlichen Wildhüter gemeldet werden. Für weitere Details verweise ich auf die Merkblätter auf der Webseite des Amtes für Jagd und Fischerei des Kantons Graubünden.
Was kann die Bevölkerung dazu beitragen, die Konflikte zu minimieren?
Engler: Auf jegliche Fütterung von Schalenwild und Grossraubwild ist zu verzichten. So sind Komposthaufen, Futterabfälle, Schlachtabfälle etc. so zu sichern oder zu entsorgen, dass sie für das Wild nicht erreichbar sind. Denn Futterquellen ziehen viele Wildtiere an und sind deshalb auch für Wölfe attraktiv. Diese folgen der Beute – den Rehen und Hirschen – bis in Siedlungen und das kann zu Problemen führen. Mit der Teilrevision des Jagdgesetztes besteht seit 2017 übrigens ein absolutes Fütterungsverbot für Schalenwild und Grossraubwild.
Wo findet man weitere Informationen?
Weiter Infos und Merkblätter zum Thema Wolf finden sich auf den Webseiten des Amtes für Jagd und Fischerei Graubünden und der Infoplattform Grossraubtiere:
(Text/Interview: Regula Ott von der Regionalen Koordinationsgruppe Grossraubtiere (RKG) Parc Ela/Bild: Wildhüter Johannes Tomaschett (links) und Ricardo Engler/Reiner Schilling, zVg.)